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von Christoph Obermüller |
Die Stuttgarter Wochenzeitung Christ und Welt” brachte in ihrer Sondernummer zum Leipziger Kirchentag (Nr. 27 vom 8. Juli 1954) einen Beitrag über die Imshäuser Untermühle als einen „Ort der Zuflucht und zum Anders-werden”. der inzwischen einigen wohltätigen Rumor verursacht hat. Wir hoffen diesen mit dem Abdruck zu vermehren, haben den Aufsatz aber um einen Passus gekürzt, der sich auf das Verhalten der Kirche gegenüber den Untermüllern bezieht. Wir hoffen, auf diese Seite der Angelegenheit in einem der nächsten Quatemberhefte ausführlicher eingehen zu können. Als der ehemalige Kultusminister 1938, weit über achtzig Jahre alt, starb, war seine Tochter inzwischen in die halbwegs zwischen Imshausen und Solz gelegene Untermühle übergesiedelt in eine ebenso romantische wie verwahrloste Behausung, in der mit frischen Kräften eine ganz neue Arbeit begann. Die sangesfreudigen Untermüller veranstalteten in ihrer Mühle, nachdem sie sie wieder bewohnbar gemacht hatten, Jugend- und Kinderfreizeiten, die wachsenden Zuspruch, aber auch steigenden Argwohn des Hitlerstaates fanden, der die Untermühle schließlich nach dem 20. Juli der Aufgabe der Jugendbetreuung unwürdig erklärte. Wie durch ein Wunder überstand die Untermühle aber den Zusammenbruch, und nun begann abermals ein neues Stadium ihrer Arbeit. Aus einem Zufluchtsort für Kinder in den turbulenten Nachkriegsjahren entwickelte sich ein regelrechtes Kinderheim mit durchschnittlich etwa sechzig Kindern aller Altersstufen, dem allerdings schon wegen seiner Lage in einem Zonengrenzbezirk ganz besondere Aufgaben zufielen und das auch in mancher anderen Hinsicht ein Kinderhaus ganz eigener Art und Prägung wurde. Von jeher war in der Untermühle viel gesungen worden. Begabte Kirchenmusiker wie Gerhard Schwarz waren schon von vergangenen Singefreizeiten her dem Hause eng verbunden. Aus Begegnungen mit den Alpirsbachern, die die Gregorianik neu entdeckt hatten, erwuchs ein immer intensiveres liturgisches Leben, durch das dieses Haus der Kinder mit den Jahren fast das Gepräge eines evangelischen Ordenshauses erhalten hat. Aber inzwischen sind der Untermühle - wie sie immer noch genannt wird, obwohl mittlerweile in einem Schlosse angesessen - ganz andere und noch bedeutendere Aufgaben zugewachsen. Aus den Hunderten und Aberhunderten, ja vielleicht Tausenden von Kindern, die im Laufe der Jahre durch die Untermühle gingen, sind junge Frauen und Männer geworden, die dem Hause weiter mit ungewöhnlicher Treue anhängen. Als das Imshäuser Schloß bald nach der Übersiedlung zu eng wurde, taten sich die ehemaligen Untermüller zu einer Baumannschaft zusammen, die in zwei aufeinanderfolgenden Sommern unter Anleitung eines Fachkundigen zwei Fachwerkhäuser errichteten, in denen jetzt ein Teil der Kinder untergebracht ist. Aus dieser Gruppe ebenso besinnlicher wie tatenlustiger junger Männer ist in den letzten drei Jahren die sogenannte Kumpanei der Untermühle hervorgegangen, die durchaus nicht nur aus ehemaligen Untermüllern besteht, sondern auch auf andere junge Menschen eine wachsende Anziehungskraft ausübt. Studenten verbringen hier ihre Semesterferien, künftige Heimleiter ihre Praktikantenzeit. Einem Junglehrer, dem das Elternhaus vieles schuldig geblieben ist und der nun seinen künftigen Zöglingen nicht ebensoviel schuldig bleiben möchte, wurde auf einem Amt von der Untermühle als einem Ort erzählt, an dem man „anders” würde. Er ist hingegangen. Alljährlich pflegt die Kumpanei zu Weihnachten die drei überlieferten Oberuferer Spiele aufzuführen, in der Adventszeit das Paradeisspiel, in den zwölf heiligen Nächten nach Weihnachten das Krippenspiel und zu Epiphanias das Spiel von den heiligen drei Königen. Die Jungen und Mädchen sind beim Einstudieren der drei Spiele von einem ungewöhnlichen Ernst und Eifer beseelt. Sie müssen sich um die gar nicht einfachen Rollen dieser Bauernspiele sehr bemühen. Sie haben dazu wie ehedem die Bauernburschen von Oberufer einen eigenen Lehrmeister gewählt, der ein ganzes diakonisches Jahr in der Untermühle verbringt. Und es bedarf darüber hinaus der tatkäftigen Hilfe von „Bruder Hans”. der die liturgischen Dienste des Hauses versieht, sowie des ständigen Rates der Hausmutter Vera von Trott, ehe etwas Gutes und Brauchbares herauskommt. Aber es ist dann eine Freude zu sehen, wie die jungen Menschen in ihre Rollen hineinwachsen und an ihnen reifen. Und wenn sie ihrer dann Herr geworden sind, behalten sie ihren Gewinn nicht für sich, sondern ziehen mit den Spielen rings in die Dörfer des Richelsdorfer Gebirges und bis hin in das alte Landgrafenstädtchen Rotenburg an der Fulda, dessen Landrat ein Freund des Hauses ist. Man sollte meinen, daß solch pulsierendes und in vielerlei Weise weit in das Land hinausstrahlendes Leben von einer Kirche, deren Gotteshäuser immer leerer werden, mit der größten Bereitwilligkeit akzeptiert und gefördert würde. Jedoch findet die Untermühle bis jetzt einen stärkeren Rückhalt als bei den kirchlichen Instanzen bei denen der weltlichen Öffentlichkeit. Hier weiß man immerhin die Qualität der Arbeit zu schätzen, die in diesem Hause getan wird. Aber auch in dieser Hinsicht bleibt noch unendlich viel zu wünschen übrig. Die Untermüller sind noch heute erschreckend arm. Wenn sie auch nicht mehr in jener unvorstellbaren Armut wie vor zehn Jahren leben, wo ein als Gast in ihre Mühle gekommener Franziskanermönch sagte, hier habe er erst wirkliche Armut kennen gelernt, so fehlt es doch immer wieder und wieder am Allernötigsten. Daß das Personal des Hauses ohne Bezahlung arbeitet, beruht auf dessen freiwilligem Verzicht und sollte wohl auch so bleiben. Aber daß jede Reparatur, etwa an den uralten und verfallenen Schornsteinen, zu einem Existenzproblem für das Haus wird, das sollte in einer Zeit, in der so viel Geld für die unsinnigsten Dinge ausgegeben wird, nicht sein. Als Vera von Trott vor einiger Zeit in einer ganz dringenden Notsituation den Bundespräsidenten Heuß um eine Beihilfe von 5000 Mark bat, wurden ihr 500 bewilligt. Vielleicht hätte er die umgekehrte Rechnung gemacht und 50000 Mark gegeben, wenn er das Haus und seine Arbeit selbst kennen gelernt hätte. Denn wo könnten solche Summen bessere und sinnvollere Verwendung finden als in einem Hause, das nicht allein den Kindern Zuflucht und Heimat, sondern allen Menschen Einkehr und Besinnung zu schenken bereit ist. Quatember 1954, S. 240-242 [Kommunität Imshausen] |
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