Startseite
Inhalt
Inhalt 1955
Jahrgänge
Autoren
Suchen


Die Zoe-Bruderschaft in Griechenland
von Klaus Thomas

LeerDie Bewegung christlicher Ärzte, die sich unter dem Namen „Médecine de la Personne” um Dr. Paul Tournier zusammengeschlossen hat, hielt ihre diesjährige internationale Tagung in Athen, der Hauptstadt des alten und neuen Griechenland. Die Teilnehmer, die aus allen Teilen Europas oder sogar aus Übersee erschienen waren, zeigten sich nicht nur beeindruckt von der Anteilnahme des Königs Paul von Griechenland, der den ersten Tag zusammen mit dein Kongreß verbrachte, sie waren nicht nur erfreut über die Förderung ihrer Anliegen durch die Universität und ihre maßgeblichen Persönlichkeiten, - vielmehr hat ein Erlebnis am letzten Tag einen besonders nachhaltigen Eindruck hinterlassen: Es war ein Besuch in dem Athener Hause der Bruderschaft 'Zoe', zu deutsch „Leben”.

LeerMancherlei hatten wir zu sehen erwartet, als wir vor dem großen Gebäude dieser Bruderschaft standen; nicht aber, daß wir im Erdgeschoß zunächst in einen großen Maschinensaal geführt wurden. Zuerst glaubten wir, hier läge eine Verbindung mit der Apostel-Paulus-Ingenieurschule vor, die 1947 von der Christlichen Akademikerbewegung Griechenlands in Piräus gegründet wurde und dort ständig 600 Studenten auf allen Gebieten moderner Technik (besonders Elektrotechnik und Schiffsbaukunde), zugleich aber auch über Bibelkunde und Fragen christlicher Lebenskunde unterrichtet.

LeerAber diese Verbindung besteht nur mittelbar; in diesem Maschinensaal begrüßte uns alsbald ein bärtiger orthodoxer Priester, und nachdem die Maschinen angehalten waren, begann er seinen ersten erklärenden Bericht: „In diesem Haus wohnen und arbeiten fünfzig junge Theologen, die meist noch studieren und sich zugleich ihr Brot als Werkstudenten in diesem Betrieb verdienen. Sie sehen hier einen der größten und modernsten Druckereibetriebe von Athen, der das Eigentum unserer Bruderschaft ist. Bis auf zwei Maschinen-Schriftsetzer wird hier jede Arbeit von den Theologen selbst verrichtet: sie werden in den oberen Stockwerken die Schriftleitungs- und Verlagsräume unserer Zeitungen, Zeitschriften und Bücher finden - und ein großer Teil unserer Autoren lebt hier mit uns in dieser Bruderschaft. Die Bedienung sämtlicher Druck-, Buchbinde- und Adressiermaschinen bis hin zum Versand geschieht durch unsere Brüder, die halbtags in diesem Betrieb arbeiten, in der übrigen Zeit aber sich ihren theologischen und sonstigen Studien widmen.”

LeerWir begannen nun, die einzelnen Säle mit der Vielzahl ihrer Aufgaben zu besichtigen. Fast sämtliche Maschinen wurden in den letzten Jahren in Deutschland bar gekauft. Von den Setzmaschinen bis hin zu der riesigen Fünffarben-Rotationsdruckmaschine, die einen ganzen Saal für sich in Anspruch nimmt und einen Wert von über 600 000 DM darstellt. Sie ist imstande, 72 000 Exemplare einer sechzehnseitigen Zeitung in einer Stunde auszudrucken. Anders könnten die hohen Auflagen der christlichen Wochenzeitschriften und Evangelisationsblätter, die teilweise über 150 000 liegen, nicht bewältigt werden. Aber nicht nur das Setzen und Drucken, das Binden und Verpacken der Zeitschriften geschieht automatisch, sondern auch das Adressieren. In einem Saal stehen mehrere Adressiermaschinen, die die Hunderttausende der Anschriften auf die Verpackungszettel drucken.

Linie

LeerDie sachkundigen Teilnehmer, die diesen in fast amerikanischer Weise mechanisierten Musterbetrieb modernen Druckereigewerbes begutachteten, stellten zunächst eine ganz nüchterne Frage: Wer finanziert denn diesen Betrieb? Sie erhielten die ebenso nüchterne Antwort: Alle unsere Brüder stehen unter dem alten Mönchsgelübde: Armut, Keuschheit und Gehorsam. Sie selbst haben kein Privateigentum. Wir erhalten auch keinerlei Beihilfe weder vom Staat noch von der Kirche und auch nicht vom Ausland, etwa aus Amerika. Unsere Zeitschriften und Bücher haben aber einen immer größeren Leserkreis gefunden, und aus dem Erlös für die Bücher und den Abonnementsgebühren konnten wir in den letzten Jahren diesen Betrieb aufbauen, der sonst über kein Kapital, aber auch keine Schulden verfügt und mit all seinen Einrichtungen nur das eine Ziel verfolgt: noch wirksamer die Evangelisationsarbeit in unserem Lande zu fördern.

LeerEvangelisation im weitesten Sinne dieses Wortes, das heißt Ausbreitung des Evangeliums, ist in der Tat der Leitgedanke, der über den sehr verschiedenartigen Veröffentlichungen steht. „Damaskus-publications” ist daher der Name des 1948 gegründeten Verlages, der die Erinnerung an die Paulusstunde der Wandlung auch durch den Namen aussprechen will. Als erstes und wichtigstes Buch wurde daher das Neue Testament selbst gedruckt, bisher in einer Auflage von über 350 000. Das Alte Testament wurde in der Ausgabe der Septuaginta veröffentlicht, und mehrere Kommentarwerke haben sich die Aufgabe gestellt, tiefer in das Wort Gottes einzuführen. In bisher zehn Auflagen mit über 150 000 Exemplaren erschien das Buch „Metannoia”, die Buße, die Wandlung, das zu einer Erweckungs- und Beichtbewegung innerhalb der Griechisch-Orthodoxen Kirche führte und auch ins Serbische und Bulgarische übersetzt wurde. Doch nicht nur diese zentralen Bücher haben das Anliegen der Seelsorge zu einer Lebensfrage der Kirche und Öffentlichkeit werden lassen, sondern auch viele andere theologische Bücher (z. B. Holzners „Paulus”), studentische Lehrbücher. Bücher über Kirchenmusik und Liturgik, apologetische Bücher, bisher neun verschiedene Werke über christliche Pädagogik, eine Sammlung von Biographien christlicher Persönlichkeiten bis hin zu guter christlicher Familien- und Unterhaltungsliteratur, Märchenbüchern und Werken christlicher Kunst bilden das Buchprogramm dieses Verlages.

LeerManche Bücher wurden auch ins Englische übersetzt, so die Lebensgeschichte des Gründers dieser Bruderschaft, aber auch das bedeutsame Werk: „Towards a Christian Civilisation”, in dem 200 führende griechische Universitätsprofessoren, darunter besonders viele Ärzte mit einem persönlichen Bekenntnis zu einer entschiedenen christlichen Lebensgestaltung aufriefen. Es war vornehmlich dieses Buch mit seinen Tatsachenberichten, das den Titel einer Arbeit rechtfertigte: „Ärzte und Wissenschaftler im Mittelpunkt einer christlichen Erneuerungsbewegung in Griechenland”.

LeerAlle die genannten Bücher sind in verhältnismäßig hoher Auflage, meist von 20 000 Exemplaren erschienen, und diese Zahlen wiegen um so schwerer, als die arme Bevölkerung Griechenlands insgesamt nur acht Millionen Seelen zählt.

Linie

LeerDie Wochenzeitschrift, die den Namen der Bruderschaft „Zoe” trägt, geht in jeder Woche mit fünffarbigen Bildern in 150 000 Exemplaren in alle Teile des Landes . Ebenso zahlreich erscheint eine Zeitschrift für die über 1 700 Sonntagsschulen, die in den letzten Jahren überall von der Bruderschaft ins Leben gerufen wurden. Fast sämtliche Brüder stehen irgendwo aktiv in der Kinder- oder Jugendarbeit. Sie ziehen zu jedem Wochenende zum Evangelisations- und Jugenddienst irgendwohin ins Land und kehren am Montag zu ihren Arbeitsplätzen im Verlag oder der Druckerei zurück.

LeerSchon die praktische Tätigkeit der jungen Theologen in dieser Bruderschaft beugt der Gefahr einer etwaigen allzu mönchischen Weltabgeschiedenheit vor. Die Mehrzahl unter ihnen bringt es in irgend einem Handwerk bis zum Meister nach dem Vorbild ihres Leiters, der als Pfarrer ebenfalls gelernter Drucker- und Schriftsetzermeister ist. Besonders stark aber tritt die wissenschaftliche Note hervor, wenn etwa einer der Brüder und Verlagsleiter, Dr. D. Kotsikis, zugleich Professor für Astronomie an der Universität Athen ist. Aber auch die Zeitschrift Aktines, die von der christlichen Akademikerbewegung in Verbindung mit der Zoe-Bruderschaft herausgegeben wird, erscheint nicht nur äußerlich im Hause und unter den Händen dieser Bruderschaft, sondern geht allmonatlich mit ihren 20 000 Exemplaren in besondere wissenschaftlich Interessierte Kreise, die in regelmäßigen Zusammenkünften den Inhalt der einzelnen Hefte dieser Zeitschrift besprechen.

LeerDie praktischen Wirkungen der Arbeit dieser Bruderschaft können nicht leicht überschätzt werden. Sie haben zunächst zu einer Erneuerung der Kirche selbst geführt. Die orthodoxe Kirche in Griechenland wurde, vornehmlich durch diese Arbeit, in den letzten Jahren zu einer Kirche der Predigt, des Sakramentes und der Beichte und Seelsorge. Noch vor vierzig Jahren war die Predigt in der orthodoxen Kirche Griechenlands fast völlig außer Übung gekommen. Heute gibt es kaum einen Gottesdienst ohne Predigt. Früher wurde höchstens vier mal im Jahre Abendmahl gefeiert. Heute ist der allsonntägliche Abendmahlsgottesdienst eine Selbstverständlichkeit. Gemeinsamer Abendmahlsbesuch ist ein organischer Bestandteil der christlichen Jugendveranstaltungen, und fünf- bis sechshundert Jugendliche als Abendmahlsgäste bei kirchlichen Jugendveranstaltungen eines Landstädtchens sind keine Seltenheit. Im Mittelpunkt aber steht, wie bereits erwähnt, die Erneuerung der persönlichen Beichte und Seelsorge. Es ist kein Zufall, daß das einzige Fachinstitut für Psychotherapie in Europa, das zugleich in seinen Vorlesungen und Veröffentlichungen der Ausbildung und den Fragen der Seelsorge den gebührenden Raum gibt, unter der Leitung des Nervenarztes Dr. med. Asplotis in Athen von der christlichen Akademikerbewegung in engster Verbindung zur Zoe-Bruderschaft gegründet wurde und eine vorbildliche Arbeit leistet.

LeerNoch wesentlich mehr wäre von dieser Bruderschaft zu berichten, von den Seminaren für Sonntagsschullehrer, die sie gegründet haben und leiten, von den Leihbüchereien, die sie überall im Lande eingerichtet haben, von ihren Jugendsommerlagern, von ihren Kursen für Seelsorge von ihrer Geschichte, von dem Märtyrertod von fünf Brüdern unter den Nationalsozialisten und fünf unter den Kommunisten.

Linie

LeerHier soll nur der Eindruck wiedergegeben werden, den ein Professor der Athener Universität mit der Überzeugung zum Ausdruck brachte: Griechenland ist heute anders geworden; seine Kirchen wurden wieder Stätten des Gebets; die Katheder seiner Hochschulen sind nicht nur Stätten strenger Wissenschaft, sondern auch des Zeugnisses für eine christliche Kultur und einen ganz persönlichen Christusglauben. Die Überwindung des Kommunismus in unserem Lande geschah nicht in erster Linie durch Waffengewalt, sondern durch „das Schwert des Geistes, weiches ist das Wort Gottes”.

LeerEs besteht kein Zweifel, daß diese Wandlung in Griechenland ihren geschichtlichen Ausgang nahm und ihren tragenden Grund empfing, als vor 40 Jahren der Vater Eusebius Matthopoulos die Bruderschaft „Zoe” gründete, die ihrerseits all die anderen Bewegungen, Schulen, Hochschulen, Studenten- und Jugendorganisationen, die Zeitschriften und Mitarbeiterkreise ins Leben rief, allen voran die christliche Akademikerbewegung unter der Schirmherrschaft des Königs. Nach dieser Leistung möchten wir einen großen Mitarbeiterkreis erwarten; doch es sind nur 65 Theologenbrüder. 50 von ihnen wohnen zusammen in dem großen Verlagsgebäude. 25 Laienbrüder haben sich ihnen angeschlossen.

LeerAls die riesigen Rotationsdruckmaschinen ihren ohrenbetäubenden Lärm einstellten, damit die ausländischen Gäste etwas von ihrer Bruderschaft erfahren könnten, da stellten sich die Brüder zu einem Chor zusammen; es war der musikalisch beste Männerchor, den ich je gehört habe. Sie sangen alte gregorianische Choräle und moderne Erweckungslieder. Manche hatten biblische Texte, eines aus dem Matthäusevangelium, wo das Wort geschrieben steht: „Ihr seid das Salz der Erde”.

Quatember 1955, S. 40-42

Ergänzend ein Auszug aus dem Buch des orthodoxen Bischofs Kallistos Ware (Großbritannien) - Orthodox Church (2000):
»In the Greek Church of the present century there has been a striking development of „home missionary” movements, devoted to evangelistic and educational work. Apostoliki Diakonia („Apostolic Service”), the official organization concerned with the „Home Mission,” was founded in 1930. Alongside it there are a number of parallel movements which, while cooperating with the bishops and other Church authorities, spring from private initiative - Zoe, Sotir, the Orthodox Christian Unions, and others. The oldest, most influential, and most controversial of these movements, Zoe („Life”), also known as the „Brotherhood of Theologians”, was started by Father Eusebius Matthopoulos in 1907. It is in fact a kind of semi-monastic order, since all its members must be unmarried, although they take no formal vows and are free to leave the Brotherhood at any time. About a quarter of the Brotherhood are monks (none of whom live regularly in a monastery) and the rest laymen. One wonders how far Zoe, with its monastic structure, points the way to future developments in the Orthodox Church. In the past the primary task of an eastern monk has been prayer; but, besides this traditional type of monasticism, is there not also room in Orthodoxy for „active” religious orders, parallel to the Dominicans and Franciscans in the west, and dedicated to the work of evangelism in the world?«
Zitiert nach www.fatheralexander.org

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-19
Haftungsausschluss
TOP