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Evangelisches Franziskanertum in England
von Reinhard Mumm

LeerEine Einladung des British Council of Churches und des englischen Auswärtigen Amtes führte durch Vermittlung des westfälischen Präses D. Wilm eine Gruppe von sechs deutschen evangelischen Pfarrern aus verschiedenen Landeskirchen für zwei Wochen nach England. Wir sahen London und Cambridge, Windsor und Eton, die alte kleine Bischofsstadt Ely und eine Landgemeinde. Wir lernten die Church of England in ihren verschiedenen Lebensäußerungen kennen, dazu die Ausbildung der Theologen, aber auch einige Freikirchen wie Baptisten, Presbyterianer und Kongregationalisten.

LeerZu den eindrucksvollsten Begegnungen dieser Tage gehörte die Berührung mit dem anglikanischen Franziskaner-Orden. Die Neugründung von Orden innerhalb der anglikanischen Kirche ist aus den Erschütterungen des ersten Weltkrieges erwachsen. Man muß dazu wissen, daß es in England keine „Innere Mission”, Diakonissen- oder Diakonenhäuser in unserem Sinne gibt. Die englische Kirche ist in einem weit höheren Maße, als die meisten evangelischen Christen in Deutschland sich vorstellen, eine katholische und keine protestantische Kirche. Gewiß ist die englische Kirche von Rom gelöst und steht in ökumenischer Gemeinschaft mit den Kirchen reformatorischer Herkunft. Aber ihr geistliches Leben und Bewußtsein ist katholisch geprägt. Deshalb entspricht es dem inneren Wesen der anglikanischen Kirche, daß in ihrer Mitte Mönchs- und Nonnen-Orden neu entstanden sind.

LeerNeben einem Benediktiner-Orden, der Society of Ressurrection und anderen Gemeinschaften kam es 1921 zur Begründung der Society of Saint Francis. Der Orden hat heute Niederlassungen in London, Cambridge und Worchester. Der Abt lebt in Beaminster (Dorset). Der Lordbischof von Exeter gilt als der Bishop Protector des Ordens. Es gibt auch Tochtergründungen in Canada. Im ganzen sind es neunzehn Häuser, in denen etwa achtzig Mönche leben; über hundert Tertiarier und etwa elfhundert Freunde zählen sich zur Society of St. Francis. Im äußeren Bild unterscheiden sich die Mönche nicht von den römisch-katholischen Ordensleuten. Sie tragen die braune Kutte (die Kanadier eine schwarze) und leben ehelos nach den drei alten Gelübden der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams in kleinen Gemeinschaften zusammen. Die Verbindung zu dem römischen Orden gleichen Namens ist freundlich, aber man weiß klar, daß man in verschiedenen Kirchen lebt. Es gibt keine Möglichkeit zur Interkommunion mit den römischen Brüdern, wohl aber werden wir evangelischen Christen mit Erlaubnis des zuständigen anglikanischen Bischofs von Fall zu Fall zum Sakrament unter beiderlei Gestalt gern und freundlich zugelassen. So fremd uns das Mönchswesen auch anmutet, wir können mit ihnen in geistlicher Gemeinschaft leben.

LeerIn der alten berühmten Universitätsstadt Cambridge liegt am Stadtrand eine Villa, das Saint Francis House. Hier leben sechs Fathers zusammen. Ihr Vorsteher ist der Pfarrer der mit Liebe gepflegten, mittelalterlichen St. Benets Church. Als Pfarrer dieser kleinen Gemeinde-Kirche nahm er die Mönchsgelübde auf sich und trägt mit seiner Gemeinde die Arbeit des Ordens. Täglich wird die Holy Communion in der Kirche oder in der Hauskapelle gefeiert, zu der sich außer den Mönchen einige Menschen, besonders berufstätige Frauen regelmäßig einfinden. Der Vollzug des Gottesdienstes ist schlichter als in den betont hochkirchlichen Gottesdiensten. Auch für die Franziskaner ist das Common Prayer Bock maßgebend und selbstverständlich englisch die Sprache der Gebete. Der Wortteil des Gottesdienstes wird unbetont und rasch vollzogen, um so mehr bleibt bei der Konsekration und Kommunion Raum zur Stille und Anbetung.

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LeerDas bürgerliche Landhaus, in dem die Mönche wohnen, ist eigentümlich in ein Haus der Armut verwandelt. In selbstloser Hingabe teilen die Brüder ihr Leben mit armseligen Männern, denen sie Unterkunft und Lebensunterhalt gewähren. Neben den Theologen trägt auch ein Handwerker die Kutte. Die Wohnzimmer sind in beinahe ungemütlich einfache Zellen und eine Bibliothek verwandelt. Aber nicht nur kümmerliche Menschen suchen Hilfe und Rat in diesem Hause, auch frische, sportliche Studenten kehren ein. Die Fathers üben eine freie Studenten-Seelsorge und werden offenbar anerkannt und gern besucht. Man hat den Eindruck, daß die Mönche ein Leben mit vielen Verpflichtungen führen; hierzu gehören auch die Predigt- und Kollektenreisen. Der Abstand zwischen ihrem Mönchsleben und dem Rhythmus der anderen Welt ist erheblich kleiner als man von außen her denken sollte. Sie erstreben nicht das abgeschlossene Leben im Kloster, sondern den Dienst in der Welt. Freilich steht hinter diesem Dienst das regelmäßige gemeinsame Stundengebet.

LeerAus einem Gespräch mit einem der Franziskaner wird den deutschen Leser interessieren, daß diesem wohl die Marienschwesternschaft in Darmstadt ein Begriff war, er aber von der Existenz der Michaelsbruderschaft nichts wußte und sich auch schwer ein Bild von unseren deutschen evangelischen Kirchenverhältnissen machen konnte. Der schwarze Talar und das äußere Bild der evangelischen Kirche in Deutschland müssen einen Anglikaner auf den Gedanken bringen, daß wir den englischen Freikirchen näher stehen als seiner eigenen Kirche, während sie andererseits in Überschätzung des lutherischen Bischofstitels und angesichts der lutherischen Bekenntnisse zu der Meinung neigen, daß eine lutherische Kirche doch mit der anglikanischen Kirche näher verwandt sei. Einem deutschen Besucher in England kann in solchem Gespräch klar werden, wie schwierig es ist, unsere deutschen kirchlichen Verhältnisse, besonders die evangelische Union, in eine ökumenische Betrachtung einzuordnen. Diese Fragen des Verständnisses hindern aber nicht die Bewegung einer weiten großen Liebe auch dem fremden deutschen Bruder gegenüber.

LeerDiese Begegnung in Cambridge mag ein' Eindruck aus London ergänzen. Wir wandern durch das Elendsviertel von Stepney. In einer Straße mit verfallenen Häusern, in denen Lumpensammler und Neger wohnen, weist ein Türschild an einem kümmerlichen Haus, das sich in nichts von seiner traurigen Nachbarschaft unterscheidet, auf eine Franziskaner-Mission. Hier wohnen also die „Arbeiter-Priester” der englischen Kirche. Man kann nur höchste Achtung vor dieser Bereitschaft zur Nachfolge Christi und zur Hingabe an die Elenden und Armen empfinden.

LeerIm Vorort West-Ham (am East-End gelegen) haben die Franziskaner eine Zuflucht geschaffen, in die sie verwahrloste Kinder aufnehmen. Hier waren gerade die letzten Arbeiten an einer neu erbauten Kirche des Ordens im Gang. Mitten zwischen den zum Teil stattlichen Bauten der Freikirchen hat der Franziskanerorden hier einen geistlichen Mittelpunkt für die Massen der Großstadt geschaffen. So eifrig viele Laien bei den Baptisten und Kongregationalisten mitarbeiten, fehlte es offenbar auch den Franziskanern nicht an freiwilliger Hilfe aus dem Volk. Ihr Dienst wird anerkannt und begehrt. Mit der Handwerkerschürze arbeiteten Mönche gemeinsam mit Männern und vielen Frauen daran, ihre Kirche zur Einweihung fertig zu stellen. Zu dem feierlichen Akt selbst erschien dann die Schwester der Königin, Prinzessin Margaret.

LeerEs sind nur einige Streiflichter, die uns das Wesen dieses englischen Ordens zeigten. Aber sie mögen uns helfen zu verstehen, was hier in der anglikanischen Kirche gewachsen ist. Wenn in manchen Gemeinden oder Gebieten der Church of England das Volk der Kirche erschreckend fern gerückt sein mag, hier ist ein Zeichen aufgerichtet, ein Leben aus urchristlicher Kraft erwachsen, das Hoffnung schenken kann.

Quatember 1955, S. 164-165

[Homepage der Franziskaner]

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-19
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