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von Wilhelm Stählin |
Bei unseren Bemühungen um Meditation begegnen wir immer wieder der Meinung, daß die abendländische Überlieferung meditativer Praxis einer Ergänzung und Vertiefung durch die östliche Lehre der Weisheit bedürfe, wie sie vor allem die verschiedenen Zweige des Buddhismus entwickelt haben, und jeder Kundige weiß, welche Anziehungskraft alle jene Psychologen oder psychologischen Zirkel haben, die eine Einführung in die Praxis des Yoga versprechen. Dieser Faszinierung durch das Fremdartige wirkt nichts so heilsam entgegen wie eine gründliche Kenntnis der Intention und Praxis des buddhistischen Yoga. Insofern ist es ein sehr nützliches und dankenswertes Unternehmen, daß der Verlag Otto-Wilhelm-Barth in München-Planegg uns mit einer Reihe von Büchern mit den Texten Tibetischer Weisheitslehren bekannt macht, die von W. Y. Evans-Wentz in der Oxford-University Press veröffentlicht und nun in deutscher Übersetzung zugänglich gemacht worden sind. In dieser „Mardo Thödol-Reihe” handelt es sich neben dem berühmten tibetischen Totenbuch vor allem um zwei Bücher: „Yoga und Geheimlehren Tibets”, das schon 1937 erschienen ist und nun in zweiter Auflage in Offset-Druck (o. J.) vorliegt (286 Seiten, Gzl. 14.80 DM), und das neue Hauptwerk „Das Tibetische Buch der großen Befreiung” (1955, mit 9 Bildtafeln, 378 S., Gzl. 16.80 DM). Das erstgenannte Buch enthält nach einer längeren Einführung über die Lehre des Buddhismus und über die philosophischen Voraussetzungen des Yoga sieben selbständige, aber in sich zusammenhängende Abhandlungen tibetischen Ursprungs, von denen vor allem die 3. und 4. sehr detaillierte Anweisungen für den „Pfad des Wissens” („den Yoga der sechs Lehren”) bietet; das 2. Buch bringt mit einem psychologischen Kommentar von C. G. Jung (S. 13-56) und einer „Allgemeinen Einleitung” (S. 57-158) die mit vielen sagen- und märchenhaften Zügen ausgestattete Biographie (die aber eigentlich keine Lebensbeschreibung, sondern eine Sammlung seltsamer Anekdoten ist) des großen Eingeweihten Padma-Sambhava, der in der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts den Buddhismus nach Tibet gebracht hat und dort als Verkörperung Buddhas verehrt wird, danach die auf ihn zurückgeführte Schrift über den „Yoga, der den Geist in seiner Nacktheit erkennt”. Das alles würde man nun, halb oder ganz verstanden, als eine Belehrung über die geistigen Hintergründe dieser uns so sehr fremden Welt entgegennehmen, als ein wichtiges und interessantes Forschungsmaterial für den Religionshistoriker, vielleicht auch für den Philosophen, der sich von der Relativität unserer abendländischen Philosophie und Psychologie überzeugen will. Aber an vielen Stellen tritt zutage, daß diese Bücher und ihre Einführungen keineswegs nur einem solchen gelehrten wissenschaftlichen Zweck dienen (der ja auch durch die Überfülle von Fachausdrücken aus dem Sanskrit und dem Tibetischen und durch die vielen, keineswegs immer klärenden Erklärungen nicht gesichert, ja kaum gefördert werden kann); sondern sie sollen diese östliche Weisheit dem Menschen des Westens nahebringen und sie für ihn fruchtbar machen. Aber diese hier veröffentlichten Schriften sind „Geheimlehren”; sie stellen, wie wiederholt ausdrücklich gesagt wird, eine „esoterische” Form des Buddhismus dar, und die von den gelehrten und geübten Meistern niedergeschriebenen Anweisungen sollten in ihrer literarischen Gestalt verborgen bleiben und nur in mündlicher Anleitung durch die Gurus, die persönlichen geistigen Führer und Lehrer, übermittelt werden. Wenn etwas aus diesem östlichen Bereich uns unmittelbar angeht und von uns beherzigt werden sollte, dann ist es die Erfahrung, daß wahre geistige und geistliche Erkenntnis eben nicht literarisch, nicht durch verstandesmäßige Rezeption, sondern nur in einem persönlichen Meister-Schüler-Verhältnis vermittelt werden kann. An vielen Stellen weist der Herausgeber auf die Unentbehrlichkeit eines solchen „Guru” hin. „Lange Probezeiten und sorgfältige Vorbereitung unter einem Meister des Chöd (des tibetischen Yoga) befähigen den Schüler erst zur Ausführung der seelisch gefährlichen Riten” (Geheimlehren Tibets S. 203 u. ö.). An mehreren Stellen, auch in dem Kommentar von Jung, wird die abgründige Verschiedenheit des östlichen und des westlichen Menschen, des buddhistischen Yoga und des christlichen Glaubens betont. „Es ist nicht möglich, ein guter Christ zu sein, im Glauben, in der Moral und im intellektuellen Gehaben, und zugleich ehrlich Yoga zu praktizieren” (Jung in „Befreiung”, S. 44). Aber diese dankenswerte Klarheit wird leider nicht konsequent durchgehalten. Das Erscheinen dieser Bücher entspringt vielmehr der Überzeugung, es sei notwendig, die uns fremden Dinge des Ostens in den Bereich westlicher Erfahrung zu bringen (ebenda S. 37), ja sie möchten einer „Renaissance” den Weg bereiten, in der Ost und West sich vereinen. Die Frage aber, ob und inwieweit wir Menschen des Abendlandes unserem geschichtlichen Erbe und unserer Aufgabe in der Welt treu bleiben können oder ob wir gerade das, an unserer geschichtlichen Sendung verzweifelnd, verleugnen und zerstören, wenn wir nach einem Bewußtseinszustand streben, in dem alle Besonderheiten der konkreten Wirklichkeit, auch alle Unterschiede und Gegensätze von Gut und Böse aufgehoben sind: diese Frage wird in diesen Büchern nirgends gestellt. Der Herausgeber macht - im Gegensatz zu jenem Wort von C. G. Jung - an vielen Stellen den Versuch, die innere Übereinstimmung jener Geheimlehren Tibets mit bestimmten Grundpositionen der Bibel und des christlichen Glaubens darzutun; aber er kann das nur versuchen, indem er sich in den seltsamsten und törichtsten Mißverständnissen und Umdeutungen biblischer Aussagen ergeht. Wer uns versichert, auch die Bergpredigt sei „eine wirksame und lang erprobte Art. . . Nirvana zu erreichen” („Befreiung”, S. 114), kann uns nur zu äußerster Vorsicht wachrütteln. Stehen diese Bücher schon im Zusammenhang einer regen buddhistischen Mission im Abendland, die ihre Gläubigen unter denen sucht und findet, die sich von dem christlichen Glauben entfernt haben, seiner säkularen Abwandlungen und Surrogate überdrüssig geworden sind und nun eifrig Yoga üben, ohne zunächst zu wissen, was sie damit tun? Quatember 1955, S. 220-222 |
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