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von Rudi Wagner |
Seitdem es christliche Gemeinden gibt, wurden die Texte der Bibel immer wieder geschrieben utnd damit in eine graphische Form gebracht, die der Zeit entsprach. Und so lange es christliche Gemeinden gibt, wird auch die Aufgabe bestehen bleiben, der Bibel die Form in Sprache und Gestalt zu geben, in der sie am eindringlichsten zum Menschen spricht. Diese Aussage, so selbstverständlich sie auf den ersten Blick erscheinen mag, bedarf der Begründung, und es ist ein lohnendes Bemühen, sich Gedanken darüber zu machen. Insbesondere deshalb, weil über die Fragen des Bibeldrucks in unseren Tagen tiefgehende Unklarheit und Meinungsverschiedenheit bestehen. Nach dem Abschluß der augenblicklichen Bibelrevision in Deutschland wird die Bibel neu gesetzt und gedruckt werden. Die hier geäußerten Gedanken sollen dazu beitragen, daß die vor uns liegende Aufgabe klarer gesehen werde. Bei unserer Frage nach der graphischen Form der Bibel ist die Schrift von primärer Bedeutung, sie leiht dem Gedanken seine Form. Der als Schriftkünstler wie als Architekt gleichbedeutende Peter Behrens sagte: „Eines der sprechendsten Ausdrucksmittel jeder Stilepoche ist die Schrift; sie gibt nächst der Architektur wohl das am meisten charakteristische Bild einer Zeit und strengstes Zeugnis für die geistige Entwicklungsstufe eines Volkes.” Mit Recht stellt Behrens hier die Schriftform neben die Architektur, und wie wir heute, wenn wir ehrlich sein wollen, nicht mehr in vergangenen Stilformen bauen können, so wird auch das Druckbild der Bibel unserer Zeit entsprechen müssen, wenn es in seiner äußeren Form wahrhaftig vor den Menschen unserer Tage treten will. In den zitierten Worten klingt aber auch die Verantwortung an, die jede Anwendung der Schrift mit sich bringt. Gutenberg knüpfte ganz bewußt an die Schreibtradition seiner Zeit an. Seine Lettern waren den Schriftformen jener Zeit nachgebildet und wiesen den Formenreichtum geschriebener Buchstaben auf. Gutenberg lag daran, „wie geschrieben” zu drucken. Das langwierige Schreiben von Büchern wurde also durch das „Schreiben mit Typen” abgelöst, und die Humanisten wählten ganz in diesem Sinne für die Buchdruckerkunst den Begriff „Typographie”. Für unsere Betrachtung ist die Tatsache, daß Gutenberg als erstes Werk in der neuen Kunst die Bibel wählte, besonders wichtig. Wohl stand die Bibel entscheidend und zentral im Blick jener Zeit. Doch wäre es Gutenberg nur um das Technische seiner Erfindung gegangen, so hätte er sich weder die besten Schriften jener Zeit zum Vorbild, noch ein so umfangreiches Werk, wie es die Bibel ist, zum Gegenstand zu nehmen brauchen. Benötigte er doch vier Jahre zur Vollendung der 42 zeiligen Bibel, die schließlich zu einem zweibändigen Werk mit insgesamt 1282 Seiten im Großfolioformat anwuchs. Schon zehn Jahre nach der Vollendung jener ersten, nach dem Text der Vulgata gedruckten Bibel wird in Straßburg die erste deutsche Bibel gedruckt. Doch erst der Tat Martin Luthers danken wir es, daß die Bibel in die Hand des Volkes kam. Wenn vorher die Meinung bestand, der Laie könne die Bibel nur unter der Anleitung des mit kirchlicher Lehrüberlieferung vertrauten Geistlichen recht verstehen, so sagt Luther: „Das Evangelium ist so klar, daß es nicht viel Auslegens bedarf, sondern es will nur wohl betrachtet, angesehen und tief zu Herzen genommen sein”. Uns interessiert in diesem Zusammenhang die graphische Form der Luther-Bibeln, und wir können feststellen, daß das September-Testament eine glänzende typographische Leistung darstellt. Die über 200 Seiten dieser Ausgabe sind durch Holzschnitt-Initialen und mit ganzseitigen Holzschnitten zur Offenbarung geschmückt. Auch dieses Werk stand ganz in der Schrifttradition jener Zeit. Welches Bedürfnis aber nach diesen Drucken bestand, wird uns deutlich, wenn wir erfahren, daß die für die damalige Zeit sehr hohe Auflage von 5 000 Exemplaren innerhalb zweier Monate vergriffen war. Das September-Testament von 1522 wie die Gesamtausgabe der Lutherbibel von 1534 sind typographisch sehr ähnlich gestaltet. Beide Ausgaben zeigen den gleichen einspaltigen Satzspiegel. Der Text ist in Sinnabschnitte unterteilt. Eine Verseinteilung gab es noch nicht. Beide Ausgaben zeigen jedoch reiche Verwendung von Marginalien, das heißt Randbemerkungen. Einer Möglichkeit, von der durchaus auch heute noch Gebrauch gemacht werden könnte. Auffallend ist weiterhin, daß es in diesen Ausgaben Martin Luthers keine grammatikalische Interpunktion gibt. Außer den Punkten gibt es nur Lese- oder Atemstriche, die den Text ohne Zweifel für das laute Vorlesen gliederten und die Möglichkeit des Atmens anzeigten. Auch hier eine Möglichkeit, die heute beim Druck einer Bibel, die im Gottesdienst benutzt wird, nicht unbeachtet bleiben dürfte. Nun war aber keineswegs mit der Erfindung der Druckkunst die Bedeutung des Schreibens eingeengt. Vielmehr wurde der Weg frei zu einer Selbstverständlichkeit des Schreibens und Lesens, wie es bis dahin nie der Fall war. Und wenn schließlich Lesen und Schreiben selbstverständlich zur allgemeinen Bildung gehörten, so sehen wir hierin einen ursächlichen Zusammenhang mit der Erfindung Gutenbergs. Mit dieser Erfindung zog eine Zeit herauf, die mit Recht das lesende und schreibende Zeitalter genannt werden darf. Dieses Zeitalter des Lesens und Schreibens, das im späten Mittelalter seinen Anfang nahm, scheint in unserem Jahrhundert seinem Ende entgegenzueilen. Für den Bibeldruck ist dieser Niedergang der Buchkultur von nahezu tragischer Bedeutung. War die Bibelverbreitung bis dahin eine Sache des Buchdrucks und des Buchhandels gewesen, so übernahmen gerade in jener Zeit die im 19. Jahrhundert gegründeten Bibelgesellschaften diese Aufgabe. Zwar hatte schon im Jahre 1710 der Freiherr von Canstein im Zusammenhang mit den Franckeschen Stiftungen in Halle seine Bibelanstalt gestiftet mit einem Aufruf „Wie Gottes Wort den Armen um einen geringen Preis in die Hände zu geben sei”. Doch setzte die Zeit einer Gründungswelle von Bibelanstalten in der ganzen Welt erst nach der Gründung der Britischen und Ausländischen Bibelgesellschaft im Jahre 1804 ein. Nun sollten unter Ausschaltung des Drucker- und Verlegergewinns und durch einmaligen Satz bei Verwendung von Matern Bibeln immer wieder nachgedruckt werden, so daß die einzelne Bibel zu einem außerordentlich geringen Preis abgegeben werden konnte. Dieses Ziel wurde erreicht. Die Bibel fand durch die Maßnahmen der Bibelgesellschaften eine bis dahin ungeahnte Verbreitung. Einige Zahlen mögen dies veranschaulichen. Die Britische und Ausländische Bibelgesellschaft hat von 1804 bis 1932 fast 74 Millionen Bibeln und 110 Millionen Neue Testamente vertrieben. In Deutschland wurden von 1812 bis 1931 allein von der Privilegierten Württembergischen Bibelanstalt 7 Millionen Bibeln und 9,6 Millionen Neue Testamente abgegeben. Diese Zahlen sprechen eine in jeder Beziehung eindeutige Sprache. Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß all dies geschieht, während sich gleichzeitig ein Niedergang der Buchkultur abzeichnet, so darf es uns nicht verwundern, wenn sich dies auch in der Typographie der Bibel bemerkbar machte. Mit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts begann von England ausgehend eine Neuerstehung des künstlerischen Buches, und auch in Deutschland setzte nun eine starke Gegenbewegung ein, die sogar die Leistungen anderer Völker auf diesem Gebiete in den Schatten stellte. Nur drei Namen seien in diesem Zusammenhang genannt: Peter Behrens, Emil Rudolf Weiß und Rudolf Koch. Gerade dem Werk des letzteren muß im Hinblick auf das Gebiet der Bibeltypographie unsere Beachtung gelten. Nach Veranlagung und Neigung hat sich Rudolf Koch sehr eindringlich der Gestaltung der Bibel gewidmet. Vielleicht wird auf diesem Gebiet seine einmalige Bedeutung besonders deutlich. Jedenfalls fand seine Arbeit 1930 ihre offizielle Anerkennung und Würdigung durch die Verleihung der theologischen Doktorwürde. In der Schrift „Vorarbeiten zu einem Bibeldruck”, die Rudolf Koch aus diesem Anlaß der Universität Münster gewidmet hat, sind seine Arbeiten auf dem Gebiet der Bibelgestaltung zusammengefaßt. Ihre Krönung findet diese Arbeit im eigenhändigen Schnitt einer Bibelschrift und dem Druck der „Vier Evangelien” in dieser Schrift. Diese Bibelschrift, „Jessen-Schrift” benannt, wurde in den Jahren 1925-26 von R. Koch in eigener Stempelschneidearbeit hergestellt und das neue Testament 1926-28 in dieser Type von ihm als Privatdruck in zwei Bänden (später Bärenreiter-Verlag) herausgegeben. In der ihm eigenen Bescheidenheit begründet Koch sein Tun damit, „... eine Anregung und einen Anreiz zu geben, denn über kurz oder lang brauchen wir eine neue Altarbibel und was in unseren Kräften steht, muß geschehen, um die Lösung dieser herrlichen Aufgabe vorzubereiten, die auch heute noch die größte des ganzen Druckgewerbes ist”. Als Ziel hatte Rudolf Koch die Altarbibel vor Augen. Vielleicht glaubte er, daß diese Altarbibel dann auch die Gestaltung der übrigen Bibelausgaben beeinflussen würde. Nun, es lag nicht vordringlich im Blick der Bibelgesellschaften, Altarbibeln zu schaffen. Wir sahen mit welcher Zielsetzung und unter welchem Blickwinkel die Bibelanstalten gegründet wurden. Hier liegt wohl die Wurzel für die noch weithin verbreitete Meinung, daß die Bibel in die Hand des Kolporteurs gehöre. Die Bedeutung der Bibel in der Hand des Liturgen wurde bislang übersehen. Erst in unseren Tagen wird ein - wenn auch recht vorsichtiger - Neubeginn im Rahmen der Gebrauchsbibel sichtbar. Einen Schritt voran möchte das Wagnis der ersten deutschen Antiquabibel sein, mit deren typographischem Entwurf der Verfasser betraut wurde. Trotz der geforderten Beibehaltung der Zweispaltigkeit, der Verseinteilung, der Kernstellen (Kursiv) und der Angabe der Parallelstellen (am Fuß der Seite) wurde ein typographisch einwandfreies, einheitliches, ruhiges Satzbild erzielt. Oskar Beyer hat (in „Die Zeichen der Zeit”) von dieser Ausgabe gesagt, Lesbarkeit und Handlichkeit seien geradezu verblüffend. Diese Bibel ist übrigens die erste, die mit einem mehrfarbigen, modernen Schutzumschlag versehen in den Schaufenstern der Buchhandlungen erschien. In diesem Zusammenhang darf und muß wohl eine Frage gestreift werden, die im Gebiet deutscher Sprache und Schrift immer wieder zu Auseinandersetzungen geführt hat und die auch den Bibeldruck belastet. Es ist die Fraktur-Antiqua-Frage, die, und das ist besonders tragisch, in Deutschland mehrfach zum Politikum wurde. Nun ist hier nicht der Ort, die sich ergebenden Fragen in ihrer ganzen Breite zu entwickeln. Uns geht es um die Typographie der Bibel, und wir meinen, es werden sich vorbildliche Lösungen sowohl in Fraktur als auch in Antiqua finden lassen. Der Formenreichtum, der uns in diesen beiden Schrifttypen geschenkt ist, sollte uns beglücken. Dabei können wir nicht über die Tatsache hinwegsehen, daß ganz allgemein das Schriftgefühl zur Antiqua tendiert. Schon am Schriftschaffen Rudolf Kochs ist diese Tendenz deutlich abzulesen. Jedoch gibt es für den Bibeldruck nur wenige geeignete Antiquaschriften. Es ist aber zu hoffen, daß sowohl interessierte Schriftgießereien als auch Setzmaschinenfabriken diese Lücke erkennen werden. Schriftkünstler, die mit dem Wesen der Bibel vertraut sind, weil sie mit der Bibel leben, werden sich dieser Aufgabe verbunden wissen. Nach allem bisher Gesagten sind wir vielleicht geneigt, den Bibelgesellschaften wegen ihrer Zurückhaltung in Bezug auf eine zeitgemäße Gestaltung der Bibel einen gewissen Vorwurf zu machen. Jetzt aber zeigt sich die unerwartete Reaktion des „kirchlichen” Bibellesers, der nicht geneigt scheint, mit Freude ebenfalls diesen Schritt zu tun. Der Verfasser hatte schon bald nach Kriegsende, als er sich in einem mit Beispielen versehenen Aufsatz mahnend an die christliche Gemeinde wandte, nun doch mit dem notwendigen Neubeginn auch die Bibel typographisch neu zu gestalten, die Erfahrung gemacht, daß sowohl Pastoren wie auch die Gemeinde zu einem guten Teil nicht bereit schienen, diesen Weg mitzugehen. Über ein halbes Jahrhundert lange Gewöhnung an schlechte Typographie blieb nicht ohne Folgen. Hinzu kommt die bedauerliche Erkenntnis, daß Fluß und Kraft der technischen Zeit stärker zu sein scheinen als das um die Jahrhundertwende einsetzende Bemühen um gute Typographie. Wir erwähnten schon, daß das lesende und schreibende Zeitalter seinem Ende entgegenginge. Wie einst der Weg der Kultur mit der Bilderschrift begann, kehren wir heute zum Bild zurück, das in ungeahnter Weise in das menschliche Leben eindringt. Illustrierte Zeitung, Film und Fernsehen weisen eindeutig in eine bestimmte Richtung. Parallel hierzu läuft eine Entwicklung, die es als durchaus möglich erscheinen läßt, daß die alte, große Kunst des Hörens und Zuhörens wieder an die Stelle des Lesens tritt. Rundfunk und Tonband sind hier mächtige Wegbereiter. In Bezug auf die heutige Buchkultur wirkt all dies jedoch dahin, daß ein wirklich gut gemachtes Buch heute nur noch von wenigen als ein solches erkannt wird. Kann uns dies aber davon abhalten, die Bibeln, die heute gedruckt werden, in unsere Zeit hineinzustellen und sie so gut wie möglich für ihre Aufgabe zu gestalten? Quatember 1956, S. 75-80 |
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