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Kloster Kirchberg als Berneuchener Haus
von Oskar Planck

LeerWir stehen seit Jahren unter dem Eindruck, daß unser Auftrag, der die Michaelsbruderschaft seit ihrer Gründungszeit innerlich mit wachsender Klarheit erfüllt, nach außen hin nur unvollkommen erfüllt werden kann, solange uns das eigene Haus fehlt. Obwohl wir grundsätzlich darüber einig sind, daß unsere entscheidenden Anliegen nicht auf dem Weg der Mitteilung weitergegeben werden können, sind wir doch zwangsläufig in die Publizistik hineingeraten, weil uns die Orte fehlen, an denen das, was wir in unserem Wort vertreten, leibhafte Gestalt gewinnt.

LeerIn Kloster Urspring hatten wir Schwaben einst einen solchen Ort, an den sich viele Brüder und Schwestern aus der Berneuchener Bewegung aller Gaue mit Heimweh erinnern. Seit es uns verlorengegangen ist, müssen wir uns mit behelfsmäßigen oder fremden Herbergen begnügen und suchen nach einer eigenen Heimstätte, die vom Geist der Michaelsbruderschaft geprägt werden kann und dadurch selber Prägekraft bekommt. Nachdem der Konvent Württemberg im Laufe der letzten Jahre vielerlei Möglichkeiten geprüft hat, glaubt er nunmehr in Kloster Kirchberg eine Stätte gefunden zu haben, die ihm und den umliegenden Konventen diesen Dienst tun kann.

LeerKirchberg liegt 600 m hoch zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb auf einer waldreichen, von Schluchten zerissenen, einsamen Hochebene, welche von Neckar und Eyach umspült wird. In den beiden Tälern liegen vier größere Orte: das Solbad Sulz, die malerischen alten Felsenstädtchen Horb und Haigerloch, dazu Hechingen am Fuß des Hohenzollern. Die Hohenzollernalb liegt schön profiliert vor den Augen ausgebreitet, die ganze Landschaft atmet Stille, Weite und Frieden.

LeerDie 12 km entfernte Schnellzugstation Horb ist von allen Seiten erreichbar: vom Norden her über Stuttgart und Pforzheim, vom Süden her über Singen, vom Osten über Ulm, Plochingen, vom Westen über Rastatt und Offenburg. Eine schon bestehende Omnibusverbindung von Horb nach Haigerloch soll unseren Bedürfnissen so angepaßt werden, daß es möglich sein wird, in anderthalb Stunden von Stuttgart nach Kirchberg zu gelangen.

LeerDas alte Dominikanerinnenkloster ist 1237 erbaut worden, sein äußeres Gewand hat es zuletzt 1742 bekommen. Die Klosteranlage mit allen Wirtschaftsgebäuden ist weitgehend erhalten, das Klostergut wird als staatliche Domäne weitergeführt. Kloster und Klosterkirche, die seit ihrer Säkularisation in einem Dornröschenschlaf liegen, dürfen wir wieder zu neuem Leben erwecken. Der württembergische Staat bietet uns beide Gebäude zu sehr günstigen Bedingungen mietweise an. Wir haben den Mut zuzugreifen, weil Kirchberg einen bescheidenen Anfang erlaubt und zugleich fast unbegrenzt ausbaufähig ist. Zunächst ist geplant, 20 Einzelzellen und 3 Gemeinschaftsräume einzurichten und die geräumige Nonnenempore mit ihrer ungewöhnlich guten Akustik zur Hauskapelle umzuwandeln. Eine ständige Hausgemeinde soll das Haus bewirtschaften, beseelen und pflegen, die Brüder jeweils einzelne Wochen übernehmen.

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LeerDas Haus soll der Michaelsbruderschaft offen stehen zu Tagen der Einführung und Einübung für Jungbrüder und Probebrüder; zu Tagen der Weiterführung und Durchformung der Vollbrüder in theologischer Erkenntnis und in Liturgie, in Meditation und seelsorgerlichem Dienst; zu Tagen der Sammlung und Sendung einzelner Stände für den Michaelskampf auf ihrem besonderen Lebensgebiet; zu Tagen der brüderlichen Gemeinschaft und gegenseitigen Hilfe für Helfer und Helferschaften; zu Tagen der Verwirklichung und Verantwortung für bestimmte Gruppen, denen der betreffende Bruder eine entscheidende Anregung gegeben hat.

LeerDas Haus soll dem Berneuchener Dienst offen stehen zu Tagen der Besinnung und Ausrichtung mit planmäßig gewähltem Generalthema und dazu abgestimmter Tagesordnung, wie auf unseren „Geistlichen Wochen”; zu Tagen der Weiterführung und Zurüstung derer, die sich auf die Ordnung des geistlichen Lebens und zum kirchlichen Dienst verpflichtet haben.

LeerDas Haus soll nicht nur Brüdern und Mitgliedern, sondern Einkehrgästen jeder Herkunft offen stehen zu Tagen der Stille und Sammlung im Rhythmus und Rahmen der geistlichen Hausordnung; zu Tagen der Gesundung und Genesung in Zeiten seelischer Krisen oder nach überstandener Krankheit; zu Tagen der Erhebung und Feier in den kirchlichen Festzeiten Advent, Weihnachten, Jahreswende, Epiphanien, Ostern, Pfingsten, Johannis und Michaelis. Vielleicht auch zu Tagen des Fastens und Betens in der Bußtagswoche und Karwoche, und dann wieder zu Tagen der Entspannung und Gemeinschaft mit Rhythmik, Atemgymnastik, Wandern, Werken, Singen und Spielen.

LeerDas Haus soll endlich offenstehen für Tagungsgäste zu Tagen der Begegnung und Aussprache ohne Konferenzbetrieb, also etwa für kleinere Gruppen von „Arzt und Seelsorger” oder „Una Sancta”; zu Tagen des Singens und Betens zur Erprobung und Weiterbildung von Kirchenmusik und Liturgie.

LeerDies alles steht als Aufgabe vor uns und läßt sich in Kirchberg durchführen, sofern die Glieder unserer Bruderschaft, die sich nach Maßgabe ihrer besonderen Kräfte und Gaben in den Dienst der gemeinsamen Sache stellen, und sofern sich unter den Mitgliedern des Berneuchener Dienstes und in unserem weiteren Freundeskreis genügend Menschen finden, die bereit sind, dieses Unternehmen innerlich und äußerlich mitzutragen. Vielleicht verwirrt zunächst die Vielfalt der Aufgaben bei dieser Verteilung auf einzelne Tage und Wochen; die Einheit wird aber deutlich werden, wenn wir uns klar machen, wie sich in diesem Einkehr- und Freizeitheim ein Grundanliegen unserer Bruderschaft, nämlich die volle Entfaltung und Zusammengehörigkeit von Leiturgia, Diakonia und Martyria, als den drei Grundfunktionen der Kirche, herauskristallisiert.

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LeerUnter Leiturgia versteht unsere Urkunde „den priesterlichen Dienst des Gebets”. Wir sind aber weithin zu Liturgikern geworden, und müssen uns nachsagen lassen, daß wir dabei archivarische oder ästhetische Sonderinteressen verfolgen. Im Berneuchener Haus geht es ganz zentral um ein Leben im Gebet, wobei der Anbetung und der Fürbitte ein besonderes Gewicht zukommen soll, weil sie in der protestantischen Kircbe am meisten vernachlässigt worden sind.

LeerDie Diakonia war bei uns lange ein Stiefkind. Sie ist erst durch den Einsatz zahlreicher Brüder im Kirchlichen Hilfswerk und in anderen Formen des diakonischen Werkes in unseren Aktionsradius geraten. Es fehlte nicht an Stimmen, die auch uns zum Anschluß an ein diakonisches Werk rieten und Sanatorium, Altersheim oder Jugendheim in Vorschlag brachten. Es ist uns aber klar geworden, daß die meisten charitativen Werke dem kontemplativen Grundzug unserer Bruderschaft nicht entsprechen, während uns durch unsere 25jährige Erfahrung in Freizeitarbeit die Gästebetreuung als besondere diakonische Aufgabe zugewachsen ist. Ihr wird sich die Hausgemeinde widmen. Die Hausarbeit ist in ihren Augen ein ebenso geistlicher Dienst wie das Gebet. Bei unserer Erkenntnis von der Ganzheit des Menschen nach Leib, Seele und Geist ist ja die leibliche Verpflegung und die häusliche Atmosphäre, die wir unseren Gästen verschaffen, von hoher Bedeutung für ihr geistliches Leben. Der entscheidende Dienst ist, daß die Hausgemeinde selbst in der rechten Ordnung steht und die Gäste fürsorgend und fürbittend in sie hereinnimmt.

LeerDie Martyria haben wir in der Form des Wortzeugnisses, in Predigt und Schrifttum reichlich geübt. Wichtiger waren uns in früheren Jahren unsere Freizeiten, die eine beispielhafte Gestaltung des geistlichen und kirchlichen Lebens geben wollten. Der Hausgemeinde fällt die wichtige Aufgabe zu, in ihrem Leben und Verhalten ein Zeugnis abzulegen. Sie kann es nicht, wenn sie nicht zur selbstlosen Hingabe und zuchtvollen Einordnung willens und fähig ist. Das besagt konkret, daß nicht der Gelderwerb, sondern der Gottesdienst, nicht das Geltungsbedürfnis, sondern das gemeinsame Leben die Triebfedern ihres Handelns sein müssen. Wer in der Hausgemeinde mitarbeiten will, tut dies grundsätzlich umsonst.

LeerVon den Gästen wollen wir keinen festen Pensionspreis fordern, sondern erwarten, daß sie auf Grund eines Richtsatzes und nach Maßgabe ihres Vermögens freiwillig ihren Beitrag zum Haus geben. Sie werden bei uns keinen erhöhten Lebensstandard vorfinden, sondern eine bewußte Beschränkung aufs Notwendige; doch sollen die Zellen und Gemeinschaftsräume gediegen und geschmackvoll eingerichtet, gepflegt und beseelt sein. Wir möchten wünschen, daß der Geist des gegenseitigen Dienens und der Anspruchslosigkeit sich im Stil des Hauses einen überzeugenden Ausdruck verschafft.

Quatember 1957, S. 62-64

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-27
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