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Una Sancta und Israel
von Manfred Karnetzki

LeerWar es nicht ein wenig zu gewagt - eine Tagung der Evangelischen Akademie Berlin zusammen mit dem Katholischen Bildungswerk über das Thema „Una Sancta mit den Juden”? Also ein Gespräch im Dreieck: jüdisch - katholisch - evangelisch. Es ist schon selten genug, wenn es zwischen den beiden christlichen Konfessionen zu einem fruchtbaren Gespräch kommt. Noch seltener mag dies zwischen Juden und Christen geschehen. Was sollte man sich von einem Gespräch aller drei Partner miteinander versprechen? Freilich: man war von vornherein entschlossen, sich nicht in ein dogmatisches Streitgespräch zu verrennen; und so kam es denn tatsächlich und über alle Erwartung zu einem Gespräch über das jüdische Volk und mit dem jüdischen Volk.

LeerAber wie im einzelnen von den katholischen und evangelischen Gesprächspartnern gesprochen wurde, das erhellte die konfessionelle Lage schlagartig: Pfarrer Karl-Friedrich Förster vom Bildungswerk leitete das Gespräch mit einem Versprechen ein: Er werde sich bemühen, die anderen zu verstehen, obwohl er einer betont intoleranten Kirche angehöre: „Wer liebt, wird auch verstehen” - der Leiter der Evangelischen Akademie, Dr. Müller-Gangloff, schloß das Gespräch mit dem Hinweis auf den lebendigen Christus, der die Welt erfülle und sich deshalb weder konfessionell noch kirchlich zureichend begreifen und beschreiben lasse. Die katholischen Gesprächspartner sprachen von der gegebenen Position ihrer Kirche aus - die evangelischen Partner fragten immer wieder, ob wir bereit seien, unsere eigene Position von dem lebendigen Jesus Christus in Frage stellen zu lassen. Die Bibelarbeit des katholischen Partners stand unter dem Thema: „Jesus Christus - Frage der Christen an die Juden” - die Bibelarbeit des theologischen Studienleiters der Akademie dagegen in der Umkehrung: „Jesus Christus - Frage der Juden an die Christen.”

LeerNicht das Evangelische als Konfessionalität, sondern das Evangelium selbst erwies sich in diesem Gespräch als bewegendes Element. Das Evangelium ließ und läßt es nicht zu, daß man sich auf die Formel „Toleranz” einigt: Es war wohl nicht zufällig, daß dieses Stichwort sowohl von jüdischer wie von katholischer Seite in das Gespräch des ersten Abends hineingestellt wurde. Zu Toleranz gegenüber dem anderen läßt sich auch von dem „uneingeschränkten Anspruch der Petruskirche auf ausschließliche Legitimität und Wahrheit” kommen (Professor Thieme von der Auslandshochschule Germersheim in seinem Referat „Völker Gottes und Gottes Volk”), denn „Gottes Geist ist frei, auch durch den Protest und Widerstand zu wirken”. Und der jüdische Gesprächspartner Rabbi Abir bekannte sich seinerseits zur Toleranz, indem er versuchte, die Erwählung Israels als eine begrenzte und geschichtliche darzustellen, die die Erwählung anderer Völker zu anderen Aufgaben nicht aus-, sondern einschließe. Diese Toleranz hinderte ihn aber andererseits nicht, sich hinter die pharisäische Deutung von Deuteronomium 13 zu stellen, wonach Jesus als Irrlehrer und falscher Prophet aus der Mitte seines Volkes getan werden mußte.

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LeerMan kann sich von daher denken, wie etwa ein jüdisch-katholisches Gespräch verlaufen wäre: Man hätte in dem Beschreiben der eigenen Position manche Parallelen bei dem anderen beobachten können, um schließlich tolerant, das heißt schiedlich-friedlich, aber bestimmt auf der eigenen Position zu beharren. Die Gefährlichkeit solcher Toleranz ist offenbar: Man bescheinigt dem anderen, daß er im Irrtum ist, um ihm zugleich höflich zu versichern, daß man ihn unbehelligt seines Weges ziehen lassen werde. Hier wurde deutlich: Toleranz bedeutet nicht Abbruch der Mauer, sondern jeder bleibt hinter seiner Mauer und läßt den anderen hinter seiner Mauer - etwa hinter der Mauer seiner Rechtgläubigkeit. Im Gespräch fiel das Wort: Toleranz ist Beleidigung.

LeerVom Evangelium her dagegen war ein anderes Wort zu sagen: Einmal konnte und mußte an der einmaligen und besonderen, an der bleibenden Erwählung Israels zum Heil festgehalten werden (so Professor Zimmerli im Gespräch und Dr. Würzburger in seinem Referat über das „Ärgernis der Erwählung”), und andererseits konnte der Leiter der Akademie der katholischen Kirche durchaus zugestehen, daß sie wie der verholzte Stamm eines Baumes ist, durch den die Lebenskräfte von der Wurzel bis zu den Ästen strömen. So sehr also der andere - auch in seiner isolierten Konfessionalität und Religiosität - unentbehrlich ist, mußte ihm doch gesagt werden, daß er nicht so bleiben kann und darf - um des Evangeliums willen, um des lebendigen Gottes willen.

LeerIn diesem Gespräch wurde deutlich, daß evangelisch sein heißt: den Mut zum Auswandern haben; es ist im Grunde der Glaubensmut des Abraham, der Mut zum Auswandern aus dem Zaun des Gesetzes, der Mut zum Auswandern aus der Sicherheit eines organisierten Gotteskönigstums, ja der Mut zum Auswandern aus jeder Kirche, die ein totes Gehäuse geworden ist.

LeerIm Grunde ist es freilich schon falsch, von einem „Mut” des Glaubens zu sprechen. Professor Zimmerli sagte in Auslegung von Genesis 12: Abrahams Glaube ist, daß er nicht anders kann als auswandern: Gott kommt über ihn und nimmt ihn fort. Solches Auswandern wird freilich zu jeder Zeit den Vorwurf der Mutwilligkeit, des Zerstörens und der Schwärmerei erfahren. Ihm wird immer die ärgerlich-zweifelnde Frage gestellt werden: Wohin wollt ihr wandern? Das war daher auch ausgesprochen und unausgesprochen die zweifelnde Frage der Juden und Katholiken auf dieser Tagung. Von evangelischer Seite ist einzugestehen, daß alle diese Gefahren da sind. Aber es gilt zu bekennen, daß keiner dem Ruf des in der Geschichte gegenwärtigen und lebendigen Herrn folgen kann, ohne immer wieder sich selbst in allen seinen Sicherungen zu verleugnen. Der Glaube an den gegenwärtigen und die Hoffnung auf den kommenden Herrn aber ist - so sagte Gerhard Koch - nicht ohne das Wagnis des Vertrauens. Die Tagung erwies, wie das Evangelium gerade so das Gespräch zwischen den „Völkern Gottes” in Gang bringt und offen hält. Professor Harder von der Kirchlichen Hochschule Berlin zeigte in seinem Referat, wie seit dem Barnabasbrief das Gespräch zwischen der Synagoge und der katholischen Kirche sehr bald auf ein letztes Entweder-Oder hinausläuft - so weit, daß einer dem anderen die Berufung und den Bundesschluß mit Gott abspricht. Dagegen wird man vom Evangelium her in dem anderen Gottes Geist am Werke sehen - nicht nur im Protest und Widerstand gegen die eigene Position, sondern gerade auch in dem, was bei dem anderen an wirklichem Leben geschieht.

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LeerDie Frage lautet: was ist der andere für mich? Wenn die Papstkirche der Stamm ist, dann ist wohl Israel die Wurzel des einen Gottesvolkes. Worin ist nun Israel für uns noch immer die Wurzel? Eine jüdische Teilnehmerin sagte: Glauben gibt es in Israel nicht als Glauben eines einzelnen, sondern nur als den Glauben der Gemeinde, des Volkes. Es wird wohl nicht anders abgehen, als daß wir „Christen aus den Griechen” mit unserer intellektuellen und individualistischen Gläubigkeit immer wieder bei den Juden in die Schule gehen.

LeerProfessor Zimmerli konnte nicht über das neue Israel berichten, ohne uns daran zu beteiligen, wie etwa in dem Sozialismus der Kibbuzim Gerechtigkeit verwirklicht wird, nach der vom Gesetz und den Propheten des Alten Testamentes an gefragt ist und bleibt. Es durfte und konnte im Gespräch dieser Tagung auch nicht übergangen werden, daß mit Karl Marx nicht zufällig gerade ein Jude die Forderung kommender Gerechtigkeit in unsere Welt gerufen hat. Was bedeutet es schließlich, daß dieser Ruf durch China, ein Land, das sich den christlichen Konfessionen verschlossen hatte, wie ein Feuersturm - einer Bekehrungswelle vergleichbar - ging? Wer an Jesus Christus als den Herrn der Geschichte glaubt, wird die damit gestellte Frage nicht überhören können. Die Katholizität des Evangeliums ist eben unendlich mehr als die Katholizität einer Konfession. Denn „Una Sancta mit den Juden”, ernstgenommen, heißt: die Katholizität des Evangeliums von Jesus, dem Sohn des Volkes Israel.

Quatember 1957, S. 167-169

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-27
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