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Eine Zürcher Malerin
von Walter Tappolet

LeerAuch wenn man noch so sehr davon überzeugt ist, daß Werke der bildenden Kunst dazu da sind, daß man sie anschaut und sich mit Unvoreingenommenheit und Geduld in sie vertieft, bis sie zu „sprechen” beginnen, und nicht dazu, daß man sie erklärt und über sie schreibt, so gibt es doch öfters Fälle, wo Vertraute den Fernerstehenden einen Weg zeigen oder die Bahn des Herantretens ebnen müssen. Ein solcher Fall liegt, scheint mir, bei Helen Dahms „Maria mit Kerze” vor. Zwar wird solchen, die ein bestimmtes Schönheitsideal an solche Werke der bildenden Kunst wie dieses hier herantragen, nicht zu helfen sein, es sei denn, man könne die absolute Gültigkeit dieses Schönheitsideales ins Wanken bringen. Aber ist es nicht schon etwas Verheißungsvolles, wenn einer in seinen fertigen Urteilen unsicher wird, weil er auf einmal spürt, daß die bisher ausreichenden Maßstäbe nicht mehr genügen? Und wenn er gar Ehrfurcht empfindet vor etwas, das er zwar nicht begreift - das vielleicht überhaupt nie zu begreifen sein wird - weil für andere, die er schätzt und deren Urteil er nicht so ohne weiteres in den Wind schlagen kann, solche Werke eben sprechend geworden sind?

Helen Dahms - Maria mit KerzeVielen wird schon die Fassung des Themas Schwierigkeiten bereiten. Denn das Ungewöhnliche, wenn man will sogar Eigenwillige, beginnt ja schon hier. Wir erwarten von einer Darstellung der Maria, daß das, was gerade sie auszeichnet unter allen Frauen, mit dargestellt wird. Ja, weitgehend ertragen sogar auch christliche Kreise viel eher die Umbiegung des Vorwurfs ins rein Menschliche, also eine schlichte maternité, die Verherrlichung der Mutterschaft an und für sich, als die Steigerung ins Transzendente.

LeerVielleicht geht es der Künstlerin gerade darum? Wenn wir den Titel wegließen, dann hielten wir das vorliegende Bild für eine ihrer zahlreichen Engelsdarstellungen. Nicht daß man einer Menschendarstellung Flügel beifügt, macht sie zum Engelsbild. Die überzeugendsten und glaubhaftesten Darstellungen der Engel sind zu allen Zeiten diejenigen, die etwas spüren lassen davon, daß der Engel einer ganz anderen Seinskategorie angehört als der Mensch. Kommt in der gleichen Darstellung auch der Mensch vor, dann greift heutige christliche Kunst (wie Max Hunziker) wieder zu dem im Frühmittelalter bewährten Mittel der verschiedenen Maßstäbe: der Engel überragt den Menschen um ein Beträchtliches schon in seinen Körpermaßen. Und unter dem Gesetz der Wechselwirkung von Geist und Körper bezeugt die größere Gestalt auch die das Menschliche übersteigende geistige Bedeutsamkeit.

LeerDie Engelsdarstellungen Helen Dahms gehen einen ändern Weg. Da gibt es ein frühes Bild auf mit Gips grundierter Holzplatte, eine freie Kopie eines Tuba blasenden Engels von der romanischen Deckenmalerei aus Zillis hinter der Via mala im Bündnerland, oder die in der Weihnachtszeit jedesmal neu auf die blanken Fenster des Oberländer Bauernhauses gemalten Gestalten, die Hände zum Gebet aneinandergelegt, oder mit einer Lilie - auch die Gestalt mit der Kerze in der Hand treffen wir da -(es gibt in der Helen Dahm-Mappe wunderschöne Photographien dieser Weihnachtsengel) - wieder andere, die die große Wandmalerei an der Aufbewahrungshalle im Friedhof von Adliswil bei Zürich bestritten. Immer sind es Wesen von herber Kraft und wuchtiger Vereinfachung.

LeerDer große Engel mit erhobenen Armen (Monographie Abbildung Nr. 20), der schwarz und weiß vor dunkelblauem Hintergrund steht, vielmehr in ungestümer Bewegung und wirbelndem Faltenkleid durch unermeßliche Räume tanzt, erinnert an süddeutsche Kirchen des Barock, von denen ja gesagt worden ist, sie seien „Tanzsäle der Engel”. Es sind immer Einzelgestalten und, ob sie Flügel haben oder nicht, von ergreifender, ja manchmal auch beängstigender Eindringlichkeit, weil man ihnen anspürt, daß sie in andern Regionen als den unsrigen beheimatet sind, in der Nähe des Thrones des Allerhöchsten, jederzeit seines Auftrages gewärtig. Manchmal spiegeln ihre Antlitze einen Abglanz vom göttlichen Licht wider, manchmal sind ihre Antlitze dunkel, gleichsam versengt, weil sie unverhüllt in zu große Nähe sich gewagt haben.

LeerGewiß, es gibt von Helen Dahm auch Weihnachtsbilder der Maria mit dem Jesuskinde, die nicht im Nur-Menschlichen der Mütterlichkeit stecken bleiben, vor allem verschiedene Fassungen der drei Magier vor der Krippe. Unsere Abbildung ist die obere Hälfte eines schmalen Hochformates, das beinahe gesprengt wird von dem gesegneten Leib der Maria. Es ist also eine Darstellung vor der Geburt. In dem Gesicht ist nicht nur ausgedrückt die Erwartung, oder die Freude, oder das Bewußtsein der Erwählung oder die Vorahnung kommender Schmerzen, sondern dies alles zusammen durch die Heraushebung aus allem Individuellen - wir erinnern an Madonnenbilder der Renaissance, für die ihre Geliebten den Malern Modell gestanden haben - ins Gültige und Zeichenhafte wie bei der frühmittelalterlichen Kunst.

LeerDie Kerze hat hier wohl eine doppelte Bedeutung. Sie ist das Symbol der Hingabe: „Siehe, ich bin des Herrn Magd.” Die Kerze kann nur dann Licht werden und leuchten, wenn sie sich verzehren läßt. Dann aber ist die brennende Kerze, deren Flamme die größte Helligkeit des ganzen Bildes ausmacht, ein Weiß, das die blauen Augen umgibt und im Heiligenschein ausklingt, aber nur in der Flamme ganz rein ist, gewiß auch als ein Hinweis zu verstehen auf den, der von sich gesagt hat, er sei das Licht.

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LeerIn den Engelsdarstellungen und in Bildern wie dem vorliegenden wird Helen Dahms Herkunft vom deutschen Expressionismus evident. Von 1906 bis 1913 studierte sie in der Frauenakademie in München, zu einer Zeit also, wo dort Kandinsky und Jawlensky, Gabriele Munter, Franz Marc und Paul Klee arbeiteten, und die Gruppe „Der blaue Reiter” gegründet wurde. Wenn man den Stil der frühen Bilder bis etwa in die Mitte der dreißiger Jahre, die eine erste starke Beachtung durch die Kunstfreunde zur Folge hatten, charakterisieren wollte, so müßte man ihn wohl mit expressivem Realismus in der Art der fast gleichaltrigen, so früh verstorbenen Paula Modersohn-Becker umschreiben. Wäre Helen Dahm durch irgendeinen Ausstellungsleiter oder Kunsthändler in Deutschland bekannt geworden, dann wäre ihre Kunst gewiß als eine Fortführung des Werkes der Bremer Malerin gefeiert worden.

LeerEin abenteuerliches Jahr Indien, von wo sie völlig mittellos und todkrank nach Oetwil heimkehrte, und der entsagungsvolle Weg der absoluten Kunst bewirkten eine Vertiefung und Vergeistigung, die erst die überragende Bedeutung vieler Spätwerke ermöglichten, wobei Helen Dahm also zu den Künstlern gehört, denen die Meisterwerke im Patriarchenalter glücken, zu einer Zeit, wo die meisten Maler nur noch ihre früheren Werke kopieren. Zu all dem handwerklichen Können, zu dem die Grundlage in einem soliden Handwerk mit viel genauem Zeichnen gelegt worden ist, zu der großen Erfahrung eines langen Lebens und Schaffens kommt nun eine Reife und Geistigkeit hinzu, ohne die die besten Malereien ihrer Zeit und dessen Stil verhaftet bleiben. So sind wir überzeugt, daß gerade Deutschland mit dem Werk der greisen Zürcher Malerin noch eine große Entdeckung bevorsteht.

LeerAls Dank für den großen Kunstpreis, den die Stadt Zürich Helen Dahm im Jahre 1954 verliehen hat, machte diese sozusagen ihr sämtliches sich noch in ihrem Besitz befindliches Oeuvre der Stadt zum Geschenk, eine wahrhaft königliche Geste! Diese Kollektion von über fünfzig Bildern und einem Dutzend Zeichnungen ist oft für Ausstellungen unterwegs; zwischendurch hängt sie in den Gängen des Stadthauses. Unser Bild, 130 Zentimeter hoch und 32 breit, ist in der Technik der Hinterglasmalerei ausgeführt, wobei Helen Dahm dies in der bäurischen Volkskunst des letzten Jahrhunderts verbreitete Mittel in der Richtung der Monotypie vervollkommnet und darin einige ihrer Hauptwerke geschaffen hat.

LeerLinks und rechts von der Figur bilden gleichmäßige dunkelbraune Flächen einen dunkeln Rahmen, aus dem die samtenen, intensiven Farben mit den starken, dunkelbraun bis schwarzen Konturen wie in einer Glasmalerei heraustreten: auf dem gewölbten Leib ein weißliches, im Oberarm ein rötliches Rotviolett, im Hintergrund unten und auf der der Kerze zugewandten Gesichtshälfte ein Gelb bis Orange, in der Kerze ein Kupferrot, dazu Blau, Graublau, Graugrün, Gelblichweiß und Reinweiß in den Augen, der einen Hand, im Heiligenschein und in der Flamme. Wir beobachten eine merkwürdige Spannung zwischen hellen und dunkeln, „himmlischen” und „irdischen” Farben. Die Künstlerin kommt also auch in der Farbgebung ans Mysterium der Inkarnation heran und berührt sich hierin wie in der Vereinfachung der Form mit Georges Rouault so nahe wie mit keinem andern Vertreter der zeitgenössischen überzeugenden christlichen Kunst.

Quatember 1958, S. 39-41

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-30
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