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Mission am Ende?
von Karl Bernhard Ritter

LeerIn seinem großen Spätwerk hat Leopold Ziegler wiederholt mit der größten Eindringlichkeit darauf hingewiesen, daß jetzt unausweichlich die Stunde gekommen sei zu einer echten Begegnung des Christentums mit der großen Tradition Asiens, seiner eigentümlichen und in vieler Hinsicht unbezweifelbaren, auch für uns gültigen Einsicht in das Geheimnis der leib-seelisch-geistigen Einheit des Menschenwesens, seiner Erfahrung zur religiösen Erziehung, zur Sammlung des Menschen auf die wesentliche Erkenntnis. Ist unser abendländisch-amerikanisches Christentum dieser Begegnung gewachsen? Meines Wissens ist Rudolf Otto bisher der einzige Theologe von großem Format, der sich auf höchster Ebene um diese Begegnung bemüht hat. Sein Werk bedürfte, nachdem unsere Erfahrungen und Kenntnisse sich seitdem ungemein vermehrt und verbreitert haben, dringend der Fortsetzung. Das von so mancher Seite vorgelegte, nach einer Bearbeitung rufende Material läßt es immer mehr als unmöglich erscheinen, daß christliche Mission auf eine echte Begegnung mit der Welt des asiatischen Glaubens und Denkens verzichtet und sich mit einigen sehr vereinfachenden Vorurteilen und festgelegten Denkschemata begnügt.

LeerIn dieser Lage scheinen mir die Bemerkungen außerordentlich aufschlußreich, die ein so kompetenter Beobachter wie Ernst Benz in einem Reisebrief aus Kyoto macht, weil sie diese Lage grell beleuchten und uns den großen Dienst tun, uns vor Illusionen zu bewahren. Er geht von dem Faktum aus, daß es die christlichen Kirchen bisher trotz größter Anstrengungen, dem Einsatz sehr erheblicher finanzieller Mittel und der Anwendung modernster psychologischer Methoden der Propaganda, vor allem trotz der für die christliche Mission nach dem Zusammenbruch des religiösen Nationalismus der Japaner so überaus günstigen Klimas für die Religion der Sieger nicht höher als auf ein Prozent der Bevölkerung bringen. Dabei ist Japan innerlich in Bewegung. Führende Japaner können es in aller Öffentlichkeit aussprechen, daß der neuen Situation eines industriellen Zeitalters die alten geistigen religiösen Grundlagen Japans nicht mehr gewachsen seien, daß man sich in einer Zeit des Überganges, das Experiments befinde, daß also auch die Frage, ob der christliche Glaube die Basis der neuen Zeit zu sein vermöge, durchaus offenstehe. „Dabei entstehen neben dem Christentum dauernd höchst interessante neue Religionen, die sich meist auf neue Offenbarungen gründen, die in wenigen Jahren das Vielfache der Christen an Anhängern gewinnen.”

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LeerSicherlich ist es zunächst ein einfaches Hindernis für die christliche Mission, daß sie mit der Verbreitung westlicher Zivilisation und Technik Hand in Hand ging, das „Christentum als die Religion der überlegenen Wissenschaft und Zivilisation” gepriesen wurde und daß „diese Identifikation durch die Atombombe schlagartig zerstört wurde”. Ernst Benz weist auch auf die unbestreitbare Tatsache hin, daß „.die nichtchristlichen Religionen in diesem Lande einen viel höheren Standard allgemeinen Rechtsgefühls, allgemeiner Anständigkeit und Redlichkeit hervorgerufen haben, als dies bisher der christlichen Kirche in irgendeinem Lande gelungen ist”. Die „christliche Zivilisation” hat aufs ganze gesehen korrumpierend auf dieses Land gewirkt und der Schaden, den der Zwangsimport der westlichen Zivilisation hier anrichtet, ist größer als ihn die Anstrengung aller Missionsgesellschaften und christlichen Kirchen zusammengefaßt jemals wiedergutmachen kann.

LeerAber das alles ist, auch nach dem Urteil des Briefschreibers, nur eine vorläufige und an der Oberfläche liegende Beobachtung. Die eigentliche Ursache der Ohnmacht des Christentums bei seinen missionarischen Versuchen liegt sehr viel tiefer. Der Kirchenhistoriker Benz stellt als einfach geschichtlich festzustellenden Tatbestand heraus, daß die christliche Botschaft und der Gemeinschaftscharakter der christlichen Kirche zutiefst gebunden sind an die Sakramente der christlichen Kirche, vor allem an das Abendmahl.

Leer„Mögen die Sakramente auch noch so zerredet und zerdacht worden sein - ich erblicke darin eine Schuld des westlichen Christentums, angefangen von der Scholastik bis zur Reformation, die die Pastoren unter die Schulmeister rief - sie bilden heute das geheime Band der christlichen Gemeinschaft.” Und nun weist Ernst Benz dieser fundamentalen Beobachtung gegenüber auf die „schreckliche Tatsache” hin, daß vor allem das Abendmahl in den asiatischen Ländern nicht verstanden werden kann „aus dem einfachen Grunde, weil die Grundelemente des Abendmahls, Brot und Wein, in ihrem Leben und in ihrer elementaren Lebensgemeinschaft nicht existieren und infolgedessen auch als Sakramente keinerlei Kommunikationskraft und Bedeutung erhalten können. Die Zweidrittel der Menschheit, die von Reis leben und keinen Wein gebrauchen, verstehen das Abendmahl nicht”. Der Briefschreiber verdeutlicht die damit gegebene Problematik an einer ganzen Fülle von Tatbeständen und mit der drastischen Umkehrung der Situation: „Das Sakrament ist ihnen in seiner natürlichen Symbolsprache so fremd, wie es uns wäre, wenn wir durch irgendeine exotische Mission in Deutschland gezwungen würden, ein Sakrament zu feiern, bei dem Lotoswurzeln und Bambussprossen genossen werden.” Die praktische Folge dieser Spannung, dieses Versagens der unserer Natur und Umwelt entwachsenen Symbolik, ist nach Benz, daß das Sakrament von den japanischen Christen als ein exotischer Appendix empfunden wird, das zu praktizieren man nach Möglichkeit vermeidet.

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LeerEs liegt hier meines Erachtens ein Problem vor, das an die Wurzeln der christlichen Existenz greift und - das muß einfach gesagt werden - erkennbar macht, wie hilflos unser abendländisches Christentum den Kerngehalten der eigenen Tradition gegenübersteht. Weil man nicht ahnt, daß es im Sakrament um die Darstellung und immer neue pneumatische Verwirklichung des Leibes Christi in einer an die Wurzeln unserer leibhaftigen Existenz greifenden Handlung geht, steht man in Japan einer entscheidenden schöpferischen Aufgabe in ihrem ganzen Umkreis, der Einpflanzung und Hineinopferung des christlichen Seins in den natürlichen, kulturellen und geschichtlichen Kosmos des japanischen Lebens gänzlich hilflos gegenüber. Man hat die Japaner im Zusammenhang mit dem Import unserer westlichen theologischen Probleme „auch mit dem ganzen Gewirr unserer verschiedenen theologischen Abendmahlsdoktrinen vertraut gemacht. Das hat die Hilflosigkeit den Sakramenten gegenüber nur vertieft und wirkt sich praktisch in einer völligen Stillosigkeit in liturgicis aus”. Ernst Benz gibt eine freilich nicht mehr zu überbietende Schilderung dieser - ja unausbleiblichen - Stillosigkeit und Hilflosigkeit, in der sich die ganze Beziehungslosigkeit zur Sache verrät.

Gewiß, es gibt eine Sorte Christentum und theologischen Denkens, die das ganze Problem, von dem hier die Rede ist, einfach ablehnt. Für einen abstrakten Spiritualismus ist die immer aufs neue notwendige „Fleisch-werdung des Worts”, die Gestaltwerdung des neuen, in Christo gegründeten Seins (ist jemand in Christo, so ist er eine neue Kreatur) für „die Juden und Griechen” nicht vorhanden.

LeerDie Hoffnung, daß eine charismatisch begabte japanische Gemeinde hier ein Neues pflügt und uns das Wunder eines neuen Werdens im japanischen Menschen, in einem natürlichen und geschichtlichen Sein, erleben läßt, ist deshalb gering, weil die japanischen Christen „Westler” sind, ihrem eigenen Volk und seiner echten und großen Überlieferung entfremdet, darum auch ganz antiliturgisch und antisakramental eingestellt -wie sollten sie auch anders - und nun darauf bedacht, „ja keine Nuance in der Entwicklung der Barthischen oder Brunnerschen Theologie zu versäumen und ihre Gemeinden mit Predigten über die neuesten Salti mortali der dialektischen Theologie in Europa zu langweilen”.

LeerSehr eindrucksvoll steht dieser Hilflosigkeit verweltlichter, sich selbst entfremdeter Christen das lebendige Gestaltwerden neuer Religiosität in überzeugenden sakramentalen Riten gegenüber. Die Folgerung, die darum Ernst Benz aus seiner Beobachtung zieht, hat er in den Sätzen zusammengefaßt: „Die christliche Kirche wird in Japan erst dann Volkskirche werden, wenn es ihr gelingt, eine echte sakramentale Repräsentation ihrer christlichen Gemeinschaft zu schaffen. An dem Gelingen dieser Aufgabe wird sich auch die Frage der Universalität des Christentums entscheiden. Als bloße theologische Akrobatik, belastet mit all den intellektuellen Problemen, die aus der aristotelischen Tradition des westlichen Denkens resultieren, wird es immer nur eine Religion von verwestlichten Intellektuellen bleiben”. Es gilt, den japanischen Christen aus ihrer „panischen Abwehrhaltung” gegen alle japanische Tradition zu befreien, um diese Tradition nicht zu negieren, sondern sie liebend zu erfüllen. Freilich wäre dazu auch eine Wandlung unseres abendländischen Christentums vonnöten, zu der Haltung der Alten Kirche, ihrer Kühnheit, ihrer alles umfassenden und zu Christus befreienden Liebe.

Quatember 1958, S. 234-236

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-31
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