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„Natürliche Theologie” oder Theologie der Natur? von Wilhelm Stählin |
Wir haben in unseren Kreisen oft ausgesprochen, wie sehr wir alle heute bedrängt sind von der Frage, wie der Mensch seinen Standort innerhalb des Kosmos und der Geschichte finden und verstehen soll, ohne sein Menschsein einzubüßen. Eine theologische Belehrung über das, was unter Natur und wie der Mensch in seinem Zusammenhang und seiner Verschiedenheit von der Natur zu verstehen ist, gehört zu den dringendsten Aufgaben kirchlicher Lehre, und man wird nicht behaupten können, daß unsere theologische Lehre in der Form, wie sie zumeist den Menschen begegnet, dieser Aufgabe Genüge leistet. Sobald aber nach den notwendigen und richtigen Aussagen der christlichen Lehre über die Natur gefragt wird, wird sofort der Verdacht laut, es solle eine „natürliche Theologie” getrieben werden, und wenn auch keineswegs immer eindeutig klar ist, was mit diesem Wort gemeint ist, so soll damit doch jedenfalls gesagt werden, daß hier etwas Falsches und Gefährliches getrieben wird, mit dem sich ein ordentlicher Theologe, der weiß, was Theologie heißt und wovon ein Theologe zu reden hat, auf keinen Fall belasten darf.
Aber es soll nun gleich zum Beginn unmißverständlich dargestellt werden, daß beides keineswegs eines und dasselbe ist: Theologie der Natur ist nicht natürliche Theologie, und theologische Aussagen über die Natur brauchen nicht mit dieser anstößigen Etikette „natürliche Theologie” versehen zu werden. Was heißt „natürliche Theologie”? Und warum hat sie einen so schlechten Ruf? Wenn man in theologischen Lehrbüchern Auskunft sucht, was unter natürlicher Theologie zu verstehen sei, so findet man sehr verschiedene Begriffsbestimmungen, die sich schwerlich auf einen Nenner bringen lassen. Gemeinsam ist ihnen nur die Überzeugung, daß jeder natürlichen Theologie wesentliche Merkmale fehlen, die zu einer echten und vollgültigen Theologie gehören. Man könnte darüber hinaus sagen, daß diesem Begriff ein innerer Widerspruch anhafte, Der Apostel Paulus hat diesen Sachverhalt, daß er auf Grund von Offenbarung ein theo-logos ist, auch so ausgedrückt: Es seien ihm die Geheimnisse Gottes anvertraut worden. Denn es gehört wesensnotwendig zu dem Begriff der Offenbarung, daß das, was dem Menschen enthüllt wird, damit doch ein Geheimnis bleibt, das nicht einfach wie irgendeine Tatsache oder ein Gedanke durch Mitteilung weitergegeben werden kann. Während alles, was dem Menschen auf Grund seiner natürlichen sinnlichen Wahrnehmungen und seines Denkvermögens zu erkennen vergönnt ist, jedem gesunden Menschenverstand zugänglich ist und seinem Bedürfnis nach sicherer Beweisbarkeit Genüge tun kann, bleibt alle Rede von Gott, alle wirkliche Theo-logie im Bereich des Unzugänglichen und Geheimnisvollen, das nicht in irgendwelchen Schulen gelernt und auf allen Gassen ausgerufen werden kann. Das Ahnungsvermögen, das von jenem Einbruch einer anderen Dimension ergriffen und überwältigt werden kann, gehört nicht zu den natürlichen Kräften, die dem Erkenntnisvermögen zur Verfügung stehen, und insofern ist natürliche Theologie ein Widerspruch in sich selbst. Theologie ist niemals „natürlich”. Alles echte Heidentum beruht auf der Erfahrung dieser den Menschen tragenden und zugleich drohenden „Mächte”, von denen er abhängig ist und denen er sich irgendwie unterordnen und einordnen muß, um nicht von ihnen zermalmt zu werden. Aber die Verehrung dieser kosmischen Mächte hat in Christus ihr Ende gefunden; nicht als ob sie aufhörten, ihre zwiespältige Wirkung auf den Menschen auszuüben, aber sie können für ihn nicht mehr der Gegenstand weder der höchsten Verehrung noch der höchsten Furcht sein. Sich einzufügen in die festen Ordnungen der geschaffenen Welt und mitzuschwingen in ihren großen Rhythmen, ist nicht mehr, wie im antiken und jedem neuen Heidentum, das Siegel der letzten Erfüllung. Eben vor einer solchen religiösen Verehrung kosmischer Potenzen warnt der Galaterbrief, weil damit die Freiheit, zu der Christus uns befreit hat, nämlich die Freiheit von der Herrschaft dieser zwiespältigen Mächte der Natur verleugnet und aufgehoben würde. Alle natürliche Theologie, in diesem Sinn einer religiösen Verehrung der Natur verstanden, bannt den Menschen in den Bannkreis der kreisförmigen Zeit, in der alles im rhythmischen Wechsel „immer-wieder”-kehrt. Eine solche natürliche Theologie als Spiegelung einer an die Natur gebundenen Frömmigkeit verleugnet zugleich den geschichtlichen Charakter sowohl der göttlichen Offenbarung wie der menschlichen Existenz. Es geschieht im Grunde nichts. Mit dem geschichtlichen Verständnis des Menschseins verschwindet auch die Verantwortung, die es immer nur im konkreten geschichtlichen Ablauf geben kann. Es wird alles erschreckend bequem. Ebenso wie die rein geistige Idee ist auch die bloße Natur abstrahiert aus der wirklichen Welt, die ebenso leibhaft wie geschichtlich ist. Keine natürliche Theologie könnte es billigen oder auch nur verstehen, daß Pascal in seinem Memorial sich von dem Gott der Philosophen zu dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs wendet. Sobald aber der Mensch sich als Erbe und Ahne geschichtlicher Zusammenhänge versteht und um die Geschichte weiß, in der Gott gehandelt hat und handelt, ist der Kreis einer rein „natürlichen” Gotteslehre, das soll hier heißen einer Gotteslehre, die ganz und gar an die Lebensgesetze der Natur gebunden ist, gesprengt und ein neuer Raum betreten. Diese Art von Theologie weiß zwar auch und zwar sehr feierlich, gemütvoll und erbaulich von Gott zu reden; aber sie redet nicht von dem schrecklichen Zorn Gottes, weil sie nichts zu sagen weiß von der Schuld, die auf uns lastet; der mit sich selbst leidlich zufriedene Mensch verlangt mehr nach dem Heiligenschein seiner eigenen Größe als nach Gnade und Vergebung. Er ist guter Dinge, so wie es die Religion der Aufklärung im Aufblick zu dem höchsten Wesen gewesen ist, und er kennt weder Angst noch Demut. Weil es keine Schuld der Welt gibt, die hinweggenommen werden müßte, weiß diese Art von natürlicher Theologie auch nichts von einem Lamm Gottes, das diese Last auf sich genommen hat. Der ganze Bereich der Schuld und der Angst, der Versöhnung und Erlösung bleibt außerhalb dieser natürlichen Theologie. Sie ist die theoretische Form jener Gott-Vater-Religion, die ehrlich bekennt, daß in ihrem Gottesverhältnis kein Raum für Jesus Christus ist, weil der immer und überall gegenwärtige Gott es nicht nötig hat, sich als Mensch mit der armen verlorenen Welt zu verbinden, und weil Welt und Mensch es nicht nötig haben, von einem tiefen Schaden geheilt und aus einer tödlichen Bedrohung gerettet zu werden. Der Mensch meint seine eigene angeblich robuste und keiner Wandlung bedürftige Natur, wenn er - in diesem Sinn - eine natürliche Theologie treibt; aber er meint eben in der Tat sich selbst, nicht Gott; vielleicht Gott, den er als den erhabenen und weisen Baumeister dieser Welt und als das Idealbild seines eigenen Wesens verehrt, aber nicht den Gott, der ergrimmt über Kain, der zum Mörder an seinem Bruder wird, und erst recht nicht den Gott, der seinen Sohn für die Sünde der trotz allem geliebten Welt ans Kreuz dahingegeben hat. Wir verstehen, in welch gefährliche Gefilde wir geraten, wenn wir in diesem Sinn natürliche Theologie treiben wollten. Die Einordnung des Menschen in den Kosmos gegebener Kräfte und Ordnungen wird der menschlichen Bestimmung nicht gerecht; anders ausgedrückt: Es ist ein heidnisches, aber nicht ein christliches Verständnis des Menschen, sofern unter diesem Kosmos nicht zuletzt doch eine Geschichte verstanden wird, die noch im Gange ist, und zu deren Ziel wir unterwegs sind. Diesem Verständnis des Glaubens an Gott, wie es unter den biblischen Büchern vor allem der Hebräerbrief entfaltet, kann eine natürliche Theologie nicht gerecht werden, die den Menschen an sein eigenes So-Sein und an das So-Sein dieser Welt bindet. Diese natürliche Theologie hat, um es in der Sprache der Theologie zu sagen, keine eschatologische Dimension; sie kann zwar ehrfürchtig und in gewissem Sinn vertrauensvoll von den Kräften des Ursprungs reden, aber sie ist im Grunde, wie sie ohne Geschichte ist, auch ohne Ziel und ohne Hoffnung. Niemals kann auf diesem Boden die glühende Erwartung des kommenden Reiches lebendig werden, niemals das inbrünstige Maranatha laut werden, mit dem die auf Erden glaubende Kirche dem himmlischen König und einer neuen Erde entgegenharrt, niemals darum auch jene überschwängliche Freude das Herz erfüllen, die sich aus der Nacht der Morgenröte des aufgehenden Tages entgegenstreckt. Der Begriff der natürlichen Theologie ist schillernd. Sehr verschiedene Denkweisen können sich selbst unter dieser Bezeichnung verstehen, sehr verschiedene Frömmigkeitsformen darin ihre Rechtfertigung suchen. In jeder dieser möglichen Deutungen aber fehlt mindestens eine entscheidende Kategorie, die nicht entbehrt werden kann, wenn die Theologie eine Rede von dem wirklichen und nicht einem konstruierten Gott sein soll. So ist also die mißtrauische Abwehr jeder verantwortlichen Theologie gegen den Weg einer natürlichen Theologie nicht nur begreiflich, sondern auch gerechtfertigt. Nur freilich ist damit nicht das Geringste gesagt über das Recht und die Notwendigkeit, verbindliche Aussagen zu machen über den Ort der Natur in dem Gefüge der christlichen Glaubensaussagen. Es muß nur im voraus klargestellt werden, was alles, das unter der Firma einer natürlichen Theologie gehen kann, nicht gemeint ist und nicht gemeint sein darf, wenn wir uns um die theologischen Aussagen über die Natur bemühen. Damit soll die Bahn freigemacht sein für die Erörterungen, mit denen die folgenden Aufsätze befaßt sein werden. Quatember 1959, S. 26-30 |
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