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Der Kurator
Nach einem Menschenalter XXV
von Karl Bernhard Ritter

LeerWer den Inhalt der umfangreichen Festschrift überschaut, die ein Kreis von Freunden und Schülern Adolf Köberle zu seinem 60. Geburtstag dargebracht hat, könnte ohne alle gewaltsame Kombination zu dem Eindruck kommen, daß das Lebenswerk des Mannes, von dem in ihr mittelbar und unmittelbar die Rede ist, das schon durch den Titel des Buches „Die Leibhaftigkeit des Wortes” so sehr zutreffend in seinem innersten Anliegen charakterisiert ist, in ständiger Verbindung oder doch in lebhaftem Austausch mit der theologischen Arbeit des „Berneuchener Kreises” entstanden sei. Es bedürfte dazu gar nicht der Feststellung, daß sich unter den Autoren der Festschrift eine ganze Anzahl von führenden Mitgliedern der Michaelsbruderschaft befinden und daß einer ihrer Aufsätze sich mit einem Thema aus „Credo ecclesiam”, der 1955 erschienenen Denkschrift der Bruderschaft befaßt. Aber eine solche Verbindung hat die längste Zeit über nicht bestanden. Wohl hat Adolf Köberle in den Anfangsjahren unsere Arbeit mit offener Anteilnahme begleitet, er war damals theologischer Lehrer im Seminar der Leipziger Mission, der ihm persönlich befreundete Wilhelm Thomas hielt wohl vor allem die Beziehungen aufrecht. Aber dann kam es zu einer, nun freilich sehr wirksamen und sehr beglückenden Begegnung, erst im Jahre 1947, als Adolf Köberle der Bitte der Bruderschaft entsprach und das Amt eines Kurators der Bruderschaft annahm.

LeerEr trat damit die Nachfolge von Landesbischof D. Marahrens an, der ihren Weg im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens mit seiner Güte und manchem Rat seiner großen Erfahrung und Altersweisheit begleitet hatte. Im September des Jahres 1947 hatte sich etwa die Hälfte der Brüder nach langen schweren Jahren, in denen nur mühsam ein Rest bruderschaftlichen Lebens aufrecht erhalten werden konnte, trotz aller noch bestehenden äußeren Nöte und Hindernisse der Besatzungszeit am Orte der Stiftung, in der Universitätskirche zu Marburg, zusammengefunden, um durch eine gemeinsame Feier des Michaelsfestes gleichsam einen Neuanfang zu setzen. Als der Kurator in der Michaelsfeier das Wort nahm, war er den meisten Brüdern noch unbekannt. Aber er hätte uns damals keinen besseren Dienst tun können als mit seiner Rede, in der er im Anschluß an das Sendungswort Jesu Markus 6, 7-13 den Brüdern ihren Auftrag deutete. Es war ein seelsorgerliches Wort, das aus so liebevollem Verständnis für das innerste geistliche Anliegen der Bruderschaft gesprochen wurde, daß es ihm die Herzen der Brüder gewann und Ermutigung, Tröstung und neue Zuversicht für den vor uns liegenden Weg schenkte.

LeerWenige Jahre später, im Jahre 1956, konnte die Bruderschaft in einer sehr veränderten Umwelt abermals mit ihrem Kurator zusammen das Michaelsfest feiern. Diesmal war er den Brüdern kein Unbekannter mehr. In zahlreichen persönlichen Begegnungen, auch durch Besuchsreisen zu einzelnen Konventen, war er ihnen nicht nur wohlbekannt als Freund, Ratgeber, geistlicher Vater. Er selbst hatte sich einen lebendigen Eindruck verschafft von dem inneren, geistlichen Leben der Konvente. Darum konnte er in seiner Ansprache zutreffend die besondere Bedeutung kennzeichnen, die diesem Fest zur 25. Wiederkehr des Stiftungstages zukam. Er sprach davon, daß nun die Zeit der Gründergeneration zu Ende gehe und die ebenso verheißungsvolle wie verantwortungsschwere Aufgabe der zweiten und dritten Generation beginne.

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LeerEr konnte nun zu uns sprechen nicht als einer, der nur von außen her die Bruderschaft beobachtet hat in ihren an die kirchliche Öffentlichkeit dringenden Lebensäußerungen, sondern als Seelsorger, der die Gefährdungen, das Versagen, das Zurückbleiben der einzelnen Brüder hinter der gestellten Aufgabe mit wachem Auge erkennt: „Was uns im Blick auf die Zukunft gefährden könnte, sind eigentlich [nicht] unsere theologischen Gegner und ihre vielfach recht kümmerlichen Beckmessereien, sondern allein wir selbst, sofern wir nicht lebendig bleiben in der Liebe, in der Zucht und in der Aufopferung füreinander.”

LeerZwei Dinge wurden von ihm besonders hervorgehoben als Verheißung und Auftrag der Bruderschaft. Wohl unter dem starken Eindruck der Gottesdienste dieser Tage sprach er davon, daß es der Bruderschaft geschenkt worden sei, ihre Gottesdienste als „heilige Feste” darzustellen. Daß der Gottesdienst zu Fest und Feier werde, sei alles andere als selbstverständlich. „Es werden allsonntäglich ungezählte Gottesdienste gehalten, die man wohl bezeichnen könnte als Mitteilung von theologischen Richtigkeiten, als paränetisches Trommelfeuer, als Seelenmassage oder auch als volkserzieherische Bemühung, aber gewiß nicht als heiliges Fest.” Und dann sprach er davon, wie lebensnotwendig dem Menschen, gerade auch dem Menschen unserer Tage, das Fest ist, um leben zu können, weil es unmenschlich ist, immer nur zu müssen und niemals feiern zu dürfen. Und welche Antwort wäre auf die süße Botschaft des Evangeliums auch angemessener, als die, im Singen und Loben, in der eucharistischen Feier die großen Taten Gottes aufzunehmen und dankbar zu bezeugen.

LeerZum anderen machte er uns Mut - hier zeigte sich die Vertrautheit des Sprechers mit den fruchtbaren Erkenntnissen einer neuen Anthropologie -, die abstrakt begriffliche Redeweise zu überwinden, die schmerzlich zerredete, entstellte und entbilderte Sprache zu retten, durch das meditative Bild und anschauungsgesättigte Wort, selbst „auf die Gefahr hin, daß man uns in intellektuell hybriden Kreisen, schwäbisch ausgedrückt, für saumäßig unwissenschaftlich hält”.

LeerMit dem Aufruf zu einer schöpferischen Synthese von Weltüberlegenheit und Weltverbundenheit, die beides kühn und groß zu vereinen wisse, schloß diese Wegweisung, die für die Bruderschaft immer Ihre Bedeutung behalten wird.

LeerDie für uns so hilfreiche Nähe der Gedankenwelt Köberles zu unserem bruderschaftlichen Anliegen wird erst dann ganz verständlich, wenn mann sich darauf besinnt, daß der Jubilar seinen eigenen Weg gleichfalls begonnen hat unter dem Eindruck jenes Kairos, der nach dem ersten Weltkrieg und dem Zusammenbruch einer ganzen Welt mit ihren bis dahin unerschütterlich geltenden Werten für eine junge Generation gekommen war. Der Acker schien uns tief aufgebrochen, die Zelt gekommen, dem wirklichen Christos-Logos mit neuer Hingabe und Zuversicht zu dienen, Leibwerdung des Wortes, Gestaltwerdung des Leibes Christi, das war ein ihn mit uns verbindendes Leitbild.

LeerEs galt zu ringen um eine überzeugende Leibhaftigkeit, eine Weltgestalt des Wortes; wach zu sein für das, was in den Geistes- und Naturwissenschaften geschah und neue Möglichkeiten der Verkündigung erschloß durch die Auflösung eines in der Immanenz, erstarrten Weltbildes; nach allen Seiten offen zu sein und dabei der ganzen Fülle der biblischen Botschaft Raum zu schaffen; wahrzunehmen, wie im Realismus der Bibel die Wurzeln für das geistliche Leben und Wachstum verborgen sind und nur von Ihm her das Geheimnis der Kirche verstanden werden kann, das etwa sind, in knappsten Umrißlinien angedeutet, die Forderungen, denen sich Adolf Köberle in seiner Lebensarbeit gestellt hat und die ebenso für die Arbeit der Bruderschaft gelten. So grüßt die Evangelische Michaelsbruderschaft ihren Jubilar in der dankbaren Gewißheit eines gemeinsamen Weges und Dienstes.

Quatember 1959, S. 31-32

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-05
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