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Der Brief
von Wilhelm Stählin

LeerDie Fragen um das von Papst Johannes XXIII angekündigte Allgemeine Konzil beschäftigen die Gemüter in stärkster Weise. Vielleicht sollten wir auch in „Quatember” einiges zu diesem großen Thema sagen. Wer die Äußerungen darüber, die ihm in die Hand kommen, sammelt, merkt rasch, daß sie sich etwas schematisch in zwei große Gruppen ordnen lassen, die man, etwas stilisiert, als die kühnen und als die skeptischen bezeichnen könnte. Das Wichtigste erscheint mir dabei, daß die Grenze zwischen diesen beiden Gruppen keineswegs an der Grenze der Konfessionen, vielmehr quer durch alle Konfessionen hindurch verläuft. Die Zusammenstellung wichtiger Dokumente in der „Sammlung” (Nr. 9 von Michaelis 1959) ist ein lehrreicher Beleg für diese These. Daß auf evangelischer Seite die nüchterne Zurückhaltung überwiegt, ist begreiflich und richtig; doch ist das Buch von Max Lackmann „Katholische Einheit und Augsburger Konfession” (Verlag Styria, Graz,224 S. Lw DM 9.80) ein sehr entschiedener und ernsthafter Vorstoß in der Richtung auf „Wiedervereinigung als theologische Aufgabe”. Von katholischer Seite hat Otto Karrer an verschiedenen Stellen ein zwar vorsichtig abwägendes, aber doch entschieden vorwärts drängendes Wort zur Frage des Konzils veröffentlicht („Der kuriale Zentralismus ist nicht Roms letztes Wort”). Dagegen ist ein Aufsatz von Pfarrer Carl Klinkhammer (in der Zeitschrift „Echo der Zeit”, Recklinghausen, vom 6. 9. 59) durch eine gewisse radikale Kühnheit ausgezeichnet. Mit Spannung habe ich eine kleine Schrift von Prof. Dr. Alois Spindeler gelesen, die mir besonders empfohlen war. Sie trägt den bezeichnenden Titel „Wende oder Enttäuschung?”(Verlag „Wort und Werk”, Köln); sie läßt aber gar nichts von einer Wende spüren, sondern sie ist eine einzige Enttäuschung. Wartet wirklich auf alle, die zwar nicht von menschlicher Klugheit, aber von der Kraft des göttlichen Geistes eine Wendung in der unheiligen Zerspaltenheit der christlichen Kirche erhoffen, nichts als eine große Enttäuschung?

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LeerDas erste „Wort zum Sonntag”, das ich im Fernsehen gesprochen hatte, hat mir die Zuschrift eines ehemaligen Konfirmanden eingetragen, der mir nahelegte, doch einmal im Fernsehen ein Wort zu dem Thema der Gleichberechtigung der Geschlechter zu sagen oder, wenn das nicht möglich ist (und es würde in der Tat in ein solches „Wort zum Sonntag” schlecht hineinpassen), mich an anderer Stelle dazu zu äußern. Das ist nun freilich ein sehr vielschichtiges Problem, und ich muß es den Juristen und Politikern überlassen, darüber ihr sachverständiges Urteil abzugeben. Ich würde sie freilich u. a. fragen, ob sich nicht aus dem starren Prinzip - und Prinzipien sind eben immer starr - der Gleichberechtigung manche bedenkliche Konsequenzen ergeben, bei denen zumeist die Frau der leidtragende Teil ist. Man darf nicht vergessen, daß unter dem Stichwort „Gleichberechtigung der Geschlechter” den Frauen die gleiche schwere körperliche Arbeit in Fabriken und Bergwerken zugemutet worden ist, natürlich unter der Firma, daß ihnen die Ehre des gleichen Anteils an der Verwirklichung der staatlichen Planwirtschaft nicht vorenthalten werden dürfe. - Aber jener Briefschreiber fragt mich ganz konkret, ob denn die Kirche in der Ordnung der Trauung heute noch frage, ob die Frau bereit sei, dem Mann zu gehorchen, oder ob sie das für überholt hält. Dazu meine ich nun allerdings etwas sagen zu können. Die Gleichberechtigung der Geschlechter (nämlich einerseits vor Gott und andererseits vor dem staatlichen Gesetz) hebt nicht auf, daß Mann und Frau in der Ehe wie physisch so auch seinsmäßig eine verschiedene Funktion haben, und darum auch die Worte „lieben und ehren”, auch wenn sie in der Befragung des Mannes und der Frau völlig gleichlautend wiederholt werden, für beide Ehepartner nicht einfach die gleiche Bedeutung haben. Die ganze Argumentation des Apostels Paulus im 5. Kap. des Epheserbriefes und die von dem Apostel so nachdrücklich betonte Analogie mit dem Verhältnis Christi zu seiner Gemeinde beruhen auf der Voraussetzung, daß das Verhältnis der Ehegatten zueinander nicht einfach umkehrbar ist. Darum ist auch das „einander Untertan sein”(Eph. 5, 2l) für Mann und Frau nicht ganz das gleiche. Wenn es dann auf das Verhältnis der Frau zum Mann ausdrücklich angewendet wird (Vers 22), so bin ich sehr geneigt, das nicht für das Zeichen einer heute überwundenen sozial unwürdigen Stellung der Frau zu halten, sondern vielmehr für den Ausdruck einer tiefen Einsicht in die wesenhafte Verschiedenheit der Geschlechter und ihre nicht umkehrbare Beziehung. Aber man darf keinen Augenblick vergessen, daß die Beifügung „in dem Herrn” das ganze Verhältnis aller Willkür und aller bloßen sozialen Über- oder Unterordnung entrückt und alles einbezieht in den Lebensraum Christi und seiner Liebe. Die Frau, die ihren Mann „in dem Herrn” - also unter der Voraussetzung der gemeinsamen Zugehörigkeit zu dem Reich der Gnade und der Erlösung - untertan ist, braucht ebensowenig um ihre gleichberechtigte Ehre bange zu sein, wie der Mann aus der Mahnung, die Frau zu lieben, „wie Christus die Gemeinde geliebt und sich selbst für sie gegeben hat” (Vers 25), einen souveränen Herrschaftsanspruch begründen und irgend eine Art von häuslicher Tyrannei rechtfertigen könnte.

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LeerEin Freund schrieb mir zum vorigen Weihnachtsfest: „Als ich im Krankenhaus die Weihnachtsbotschaft ausrichtete, da wurde mir deutlich, daß in dieser ganzen Botschaft nicht ein Wort aus Menschenmund kommt, sondern daß ganz allein Gott der unmittelbar Handelnde ist und Seine himmlischen Boten allein zu Worte kommen. Die Menschen schweigen und lassen sich beschenken.” Ich habe lange darüber nachgedacht, ob dieses nun wirklich ganz und gar richtig gesehen ist, oder ob dieser Eindruck einer Ergänzung bedarf. Zwei Worte aus Menschenmund lassen sich aus der Weihnachtsgeschichte nicht hinwegdenken. Der Engel, der zu der Jungfrau Maria die Botschaft brachte, würdigte sie nicht nur einer Anrede, sondern er erlaubte ihr auch eine Antwort: „Und Maria sprach: Siehe, ich bin des Herren Magd; mir geschehe wie du gesagt hast”; und ihr großer Lobgesang, das Magnifikat, das die Kirche in ihrem täglichen Abendgebet sich zu eigen machte, entfaltet dieses ihr ]a zu dem großen Lobpreis: „Der Herr hat mich, Seine geringe Magd angesehen; von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.” In dieser lobpreisenden Antwort kommt der Mensch zu Worte. Und als die Engel, die den Hirten erschienen waren, in die unsichtbare Welt zurückkehrten, sprachen die Hirten untereinander: „Lasset uns nun gehen gen Bethlehem!” Und auch dieses, Aufruf und Entschluß sich auf den Weg zu machen, ist ein Wort aus Menschenmund, das zu der heiligen Geschichte notwendig gehört.

LeerEs ist nicht ganz richtig, daß die Menschen nur schweigen und sich beschenken lassen. Gott hat uns die Sprache ins Herz und auf die Lippen gegeben, und er wird nicht dadurch geehrt, daß wir vor ihm gänzlich verstummen, sondern daß sein Wort unsere Antwort weckt.


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LeerVerehrte gnädige Frau! Da ich weder Ihren Namen noch Ihre Anschrift kenne, kann ich diesen Brief leider nicht direkt an Sie richten, und die einzige Gelegenheit, Sie persönlich anzureden, habe ich bewußt außer acht gelassen, da Sie vielleicht, ja wahrscheinlich, eine solche persönliche Anrede gar nicht als gnädige, sondern als sehr ungnädige Frau aufgenommen hätten. Aber ich muß mir doch vom Herzen schreiben, was ich in Ihrer Nachbarschaft empfunden habe; es wäre ein seltsamer Zufall, wenn dieser mein Brief trotz der anonymen Anrede Ihnen jemals vor Augen käme.

LeerSie erinnern sich, daß Sie an einem der ersten Septembertage mit einer anderen Dame in jenem schönen Café am Rande der Berge saßen. Ich saß am Nebentisch und mußte leider mitanhören, wie Sie mit jener anderen Dame sich über sehr intime Familienangelegenheiten unterhielten, sich über bestimmte Menschen Ihres engsten Lebenskreises sehr offenherzig äußerten und schließlich auch einen an Sie gerichteten Brief einer dritten Dame vorlasen, der gewiß nicht für solche Mitteilung bestimmt war. Sie meinten vielleicht, leise zu sprechen; aber es war immerhin laut genug, daß ich wider Willen jedes Wort verstehen mußte. Haben Sie keine Angst, gnädige Frau, ich werde nicht weitererzählen, womit jener Sohn des Hauses nach Ihrer Meinung Schande über seine Familie gebracht hat, was die Tante Soundso dazu glaubte sagen zu müssen, und wie wenig Sie selbst das alles verstehen konnten. Es war für mich eine peinliche Situation, das alles mit anzuhören, so wie wenn man wider Willen Zeuge von Schlafzimmergeheimnissen würde. Vielleicht hätte ich aufstehen, die paar Schritte zu Ihrem Tisch hinübergehen und sagen müssen: Wissen Sie eigentlich, daß Sie Ihre Familiengeheimnisse der ganzen Caféstube mitteilen? Vielleicht hätten Sie gesagt, das gehe mich nichts an.

LeerAber geht es uns wirklich nichts an, wenn wir in solcher Weise zu Zeugen verworrener Schicksale werden, mit denen die beteiligten Menschen offenbar nicht fertig werden? Vielleicht hätten Sie sogar das Bedürfnis gehabt, mir noch einmal all diese Dinge zu erzählen, die ich ja gar nicht hören wollte. Und vielleicht hätte sich ein Gespräch daraus entwickelt, und ich hätte Ihnen schließlich sehr offen sagen müssen, was ich bei Ihren wortreichen und entrüsteten Erzählungen empfunden habe. Sie haben gesagt, es sei Ihnen unbegreiflich, wie ein junger Mann so sehr „aus der Art schlagen” könne. Aber Ihre Art, gnädige Frau, in dem Mangel an Diskretion, in der lieblosen Härte Ihrer Urteile, in Ihrer aus Entrüstung und Neugier gemischten Liebe zu Sensationen, nicht zuletzt auch - verzeihen Sie mir diese Offenheit - Ihr Mienenspiel, erschien mir so, daß ich nur allzugut begreife, daß ein lebendiger junger Mensch aus dieser Art schlagen will und muß.

LeerVielleicht ist es doch ganz gut gewesen, daß ich Ihnen das nicht so direkt gesagt habe. Aber wird es Ihnen nun überhaupt jemand sagen?

Quatember 1960, S. 45-47

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-01-09
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