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Der ungenähte Rock
Zu unserem Bild
von Hans Carl von Haebler

LeerHeiliger Rock TrierEs ist nicht lange her, daß der „Spiegel” sich mit einer Briefmarke befaßte, auf der, Weiß in Violett der in Trier aufbewahrte ungenähte Rock Christi zu sehen war. In seinem Buche „Welten des Glaubens” erzählt Peter Bamm, daß man auch in Georgien diesen Rock zu besitzen glaubte, und bringt ein Bild des georgischen Wappens, das, nicht anders als die Briefmarke, diese Reliquie zeigt. Welcher Rock ist nun der „echte”? Wahrscheinlich keiner von beiden. Zwar wäre es nicht undenkbar, daß die Jünger sich Christi Rock von den Kriegsknechten erbeten und als ein kostbares Andenken aufbewahrt hätten, und die Tatsache, daß alle vier Evangelisten die scheinbar belanglose Episode mit dem Rock berichten, legt eine solche Vermutung sogar ziemlich nahe. Aber ist das so wichtig?

Heiliger Rock GeorgienLeer Wer die Passion Christi in seinem Herzen bewegt, wird nicht nach dem geschichtlichen oder chemischen Nachweis für die Echtheit des Rockes fragen, er wird in diesem nicht einen Museumsgegenstand sehen,, der als solcher auch gefälscht sein könnte, sondern ein Mittel frommer Besinnung - einen Schwamm möchte ich sagen, der seine Frömmigkeit aufsaugt. Die Reliquienverehrung hängt ebensowenig von der stofflichen Echtheit der Reliquie ab wie die Bilderverehrung von der Portraitähnlichkeit des Abgebildeten, und es könnte sein, daß der Gegner solcher Verehrung abergläubischere Vorstellungen davon hat als der Verehrende. Im übrigen geht es hier nicht um ein christliches, sondern um ein anthropologisches Problem. Leopold Ziegler findet ganz allgemein: „Einerlei woher eine Reliquie auch immer stammen mag, sie wird „echt” genau in dem Maße, als sie die geistigen Wellen der ihr dargebrachten Gebete und Andachten einschluckt und so auf irgendeine Weise wieder ausstrahlt” (Überlieferung S. 150). Es fragt sich dann nur, warum gerade ein bestimmter Gegenstand, in unserem Falle der Rock Christi, die Andacht der Gläubigen auf sich zieht.

Der ungenähte RockLeerVielleicht kann unser Bild Antwort darauf geben. Da sehen wir den ungenähten Rock. In schön geschwungenen Falten fließt er herab, als wäre noch Leben in ihm. Während die Augen auf ihm ruhen, sieht der Geist den Mann, der ihn trug und der jetzt nackt am Kreuz hängt. Gnadenlos nackt! Die Beschämung des Menschen nach dem Sündenfall bis zum bitteren Ende auskostend! Das Kleid ist in der Bibel Symbol der Gnade, sei es nun das Fell, mit dem Gott Adam und Eva kleidete, sei es das Kleid, nach dem uns verlangt, damit wir nicht nackt erfunden werden (2. Kor. 5, 3), sei es das hochzeitliche Gewand oder das Kleid, das im Blute des Lammes gewaschen ist. In dem ungenähten Rock hat der Gekreuzigte uns die Gnade hinterlassen, in der er selber gestanden hatte. Wahrscheinlich war es derselbe Rock, dessen Saum die Blutflüssige einst berührt hatte, um alsbald gesund zu werden. Der Fluß des Gewandes erinnert an die Gnadenströme, die von ihm ausgegangen sind. Sie strömen noch immer in die Welt hinein. - Vier Männer beugen sich über ihren Raub, richtiger gesagt, über die Spolie, die ihnen zusteht: Das „Vermögen des Verbrechers” wird zugunsten der Menschheit eingezogen. Der Künstler hat die vier Kriegsknechte, von denen der Evangelist Johannes erzählt, nicht als Soldaten geschildert, sondern zu Repräsentanten der Menschheit gemacht. Jeder hat die Hand an der Spolie und macht seinen Anspruch geltend. Einer erhebt die Linke zum Widerspruch, weil sein Kumpan den Rock mit dem Messer teilen will. Ein anderer läßt die Würfel über die Handfläche gleiten mit dem gespannten, nach innen gekehrten Blick des Spielers. So geht die Menschheit mit dem Nachlaß Christi um, so die Christenheit. Wie der Choraldichter in dem Vers

Ach, die Ursach war auch ich, ich und meine Sünde,
diese hat gemartert dich, daß ich Gnade finde
sich mit den Kriegsknechten identifiziert, will auch der Bildhauer in ihnen keine Heiden und Atheisten abbilden. - Soweit ich sehe, ist die Episode mit den Soldaten, die um Christi Rock würfeln, erst dargestellt und gedeutet worden, als die Geschichte Anlaß dazu gab. Erst als Mohammed Fetzen vom Gewande Christi an sich riß und den Islam mit christlichem Glaubensgut ausschmückte, erst als es zum Bruch zwischen Rom und Byzanz kam und schismatische Bewegungen die Einheit der abendländischen Kirche bedrohten, wird es zur Symbolik des ungenähten Rockes gekommen sein. Was die Kriegsknechte ungeteilt ließen, darum rissen sich nun, das Maß seiner Leiden vollmachend, die Anhänger des Gekreuzigten.

LeerHeute liegt es nahe, den vier Kriegsknechten die vier großen Religionsgemeinschaften zu vergleichen, die beanspruchen, Seine Kirche zu sein, so als hätte der Heilige Geist für sie gewürfelt, oder sich mit der Teilung des Rocks abgefunden haben, so als könnte man aus der einen unsichtbaren Kirche mehrere brauchbare Kirchengebilde herausschneiden. Die orthodoxen Christen sind freilich, bei aller Demut und Brüderlichkeit, stolz darauf, daß sie allein die Tradition der Urkirche unverfälscht bewahrt haben. Sie können für sich in Anspruch nehmen, daß gerade sie das hohepriesterliche Gebet Jesu für die Einheit der Seinen ernst nehmen. Aber ist es ein Zufall, daß der Kommunismus, entgegen allen Erwartungen, gerade unter ihnen zur Herrschaft gelangte? Oder kam es nicht dazu, weil sie, unter dem Caesaropapismus der byzantinischen und russischen Selbstherrscher, den Himmel so an die Erde ketteten, daß der Sturz des Zaren die Entthronung des Pantokrator nach sich ziehen mußte? Für Männer wie Dostojewsky oder Lesskow gehörten der christliche Himmel und die russische Erde zusammen. Sie glaubten an die Sendung des rechtgläubigen russischen Volkes. Das war schismatisch gedacht und enthielt keimhaft schon eine russische Heilslehre, die nach Beseitigung des Zarentums die säkulare Form des Kommunismus annahm.

Linie

LeerDemgegenüber war das Papsttum seit jeher Hüter der Katholizität. Ihm ist es zu danken, daß der Glaube der Kirche nicht am Nationalen, Rassischen oder Zeitbedingten hängenblieb. Aber indem man die Menschen zu ihrem Seelenheil zwingen wollte, geriet man auf den Abweg der Zwangsbekehrungen, der Ketzerverfolgungen und Ausweisungen, des Beichtzwangs und der Inquisition. Diesen Maßnahmen verdankt der römische Katholizismus zwar seine imponierende Geschlossenheit, aber er hat damit Millionen von Christen zur Verteidigung ihrer Glaubensfreiheit mit der Waffe gezwungen und in Sekten abgedrängt. So hat er die Vollmacht verloren, der Welt, die von ihm gelernt hat und sich nun ähnlicher Mittel bedient, Vorhaltungen zu machen. Ja, er hat auch an Katholizität eingebüßt, indem er Lehren verurteilte und Menschen in den Bann tat, deren Fehler und Übertreibungen oft nur ein Symptom dafür waren, daß er selber Fehler gemacht hatte.

LeerAber was haben die Protestanten mit der Glaubensfreiheit angefangen, für die sie die Einheit der Kirche preisgaben? Man wird sagen müssen, daß die Lutheraner sich aus der Ökumene in die Enge deutschen Kleinbürgertums und deutscher Kleinstaaterei zurückzogen und von den Hof- und Universitätstheologen ihrer Landesherren sagen ließen, was sie für wahr zu halten hatten; daß sie sich auf ihrer konfessionellen Insel selbstgenügsam des Augsburger Religionsfriedens erfreuten und in ihren „Landeskirchen” autonome Einrichtungen sahen, die den Staat christlich untermauerten; daß diese Landeskirchen, die der politischen Lage von 1555 oder 1648 entsprechen, ihre Überalterung gar nicht merken und in ihren Eigenständigkeiten beharren. (Welch ein Unterschied zu der Weite der anglikanischen Kirche, die in dem bei Stauda erschienenen Büchlein „Begegnung mit der Kirche von England” von Georg Günter Blum so anschaulich geschildert wird!) Ein katholischer Beobachter des Münchener Kirchentages fragte mit leiser, nicht unberechtigter Ironie: Waren die Begründer des deutschen Evangelischen Kirchentages nicht ausgezogen, die eine evangelische Kirche zu bezeugen? Was hindert sie heute daran?

LeerDiese Frage ist natürlich auch an die reformierten Christen gerichtet, wie denn überhaupt Lutherisches und Reformiertes sich in allen protestantischen Glaubensgemeinschaften vermischt findet. Aber das reformierte Erbe ist doch ganz anderer Art. Durch keine Staatsmacht geschützt haben die reformierten Christen im Verborgenen und im Exil neue Lebensformen finden müssen. Die Spiritualisierung der Kirche, die Subjektivierung des Glaubens und die Sektenbildungen, die wir bei ihnen finden, hängen eng damit zusammen, daß sie, verfolgt und über alle Länder verstreut, nur in kleinen Gruppen zusammenkommen konnten. Ihre Notlage trug auch dazu bei, daß der Rigorismus Calvins, der ein Leben der Arbeit und Entsagung forderte, praktisch verwirklicht wurde. Die Erfolge, die nicht ausblieben, bestärkten sie in dem Glauben, daß sie das auserwählte Volk seien. Zweifellos waren sie - zusammen mit den Juden, deren Schicksal sie lange Zeit teilten - die Avantgardisten der Moderne mit ihrem Individualismus, Intellektualismus, Kapitalismus, Moralismus. Wir haben die Schattenseiten der Konfessionen hervorgehoben, weil an ihnen das menschlich Bedingte, Kirchenspaltende zum Vorschein kommt, das Skandalon, das der Ausbreitung des Evangeliums im Wege steht. Die Lichtseiten sind den Konfessionen gemeinsam, überkonfessionell, Gaben des Heiligen Geistes. Aber auch die Konfessionen hätten ihren Platz in der Kirche, wenn sie sich nicht mehr als autonome Gebilde verständen, sondern als theologische Schulen, die miteinander um das rechte Glaubensverständnis ringen - vielleicht mit dem Ergebnis, daß die Lehrmeinungen, die sie trennen, komplementärer Art und nur in ihrem Nebeneinander gültig sind.

Quatember 1960, S. 61-64

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-01-09
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