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von Hans Carl von Haebler |
In unserer Sprache sieht es aus wie in einer alten Stadt, in der sich Renaissance-und Barockgebäude mit Bahnhöfen, Fabrikanlagen und modernen Betonbauten notgedrungen vertragen müssen. Die alten Gebäude verschwinden allmählich, die Betonbauten nehmen zu. So baut auch die Sprache alte Worte wie Minne, Anger, Herberge, Märe ab und modernisiert ihren Wortschatz. Neue, ganz anders klingende Vokabeln - in der Art von Sexualität, Piste, Geworfen-Sein, Quiz, Weltraumschiffahrt - kommen auf und nehmen im Gesamtgefüge der Sprache eine ähnliche Stellung ein wie die modernen Bauten im heutigen Stadtbild. Soll man diese Entwicklung beklagen? Soll man sie bejahen? Um über Wert oder Unwert der neuen Worte zu befinden, werden wir sie uns wohl etwas näher ansehen müssen. Wir greifen dazu, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, einige repräsentative Wortgruppen heraus. Das Fremdwort. Der Kampf gegen das Fremdwort war und ist berechtigt, soweit er einer deutschen Unart gilt. Es gibt bei uns eine Halbbildung, die sich gern mit fremden Federn schmückt. Man möchte einen Minderwertigkeitskomplex kompensieren. Mit Fremdworten suchen schlechte Journalisten und Demagogen zu imponieren, mit Fremdworten preist der Kaufmann seine Ware an. In Fremdworte kleidet sich Frau Neureich. - Hinter Fremdworten kann man auch gedankliche Unklarheiten verbergen. Die oft uneingestandene Verlogenheit des Menschen findet in ihnen willkommene Schlupfwinkel. Wir sollten der Versuchung widerstehen, billige „Effekte” zu erzielen, und uns bemühen, deutsche Worte zu finden. Oft ist uns das gelungen. Wir sprechen nicht mehr vom Äroplan, sondern vom Flugzeug, nicht mehr vom Billet, sondern von der Fahrkarte. In anderen Fällen ist noch nicht abzusehen, ob das deutsche Wort sich durchsetzen, ob das Stockwerk die Etage, der Kraftwagen das Auto, der Rundfunk das Radio verdrängen wird. Eine löbliche Erziehungsarbeit leisten die Behörden, denen es wohl vor allem zu verdanken ist, daß die deutschen Namen sich einbürgern. Jetzt stelle ich aber die Frage: Ist die Übersetzung auch immer ein vollwertiger Ersatz für das Fremdwort und ist sie auch immer wünschenswert? Im Fremdwort lassen wir uns Erfahrungen anderer Völker schenken. Es wurzelt in einer uns fremden Vorstellungswelt. Ein Fremdwort kann Nebenbedeutungen haben, die in der Übersetzung nicht mitklingen: Wenn man Charme mit Liebreiz, Gentleman mit Herr übersetzt, so trifft man eben nur die Hauptbedeutung, und die in den Nebenbedeutungen liegende Würze geht verloren. Die Übersetzung wird mit einem Verlust von Vorstellungen bezahlt, die gerade geeignet wären, unsere Begriffe zu vermehren und zu verfeinern. Man wird also nicht jedes Fremdwort einfach „erschießen” dürfen, sondern darauf achten müssen, ob damit nur renommiert, Halbbildung übertüncht und einer kritiklosen Bewunderung für alles Ausländische Ausdruck verliehen wird oder ob Ansätze zu einer übernationalen Verständigung und zur Bildung neuer, notwendiger Begriffe vorliegen. Das zusammengesetzte Wort. In der deutschen Sprache ist es möglich, mehrere Worte zusammenzufügen und auf diese Weise neue Begriffe zu bilden. Ausgiebigen Gebrauch von dieser Möglichkeit macht aber erst das neunzehnte Jahrhundert. In dieser Zeit wird das zusammengesetzte Wort unentbehrlich. Man braucht es, um seinen Erfindungen Namen zu geben: der Eisenbahn, dem Dampfschiff. Man braucht es, um sich gesellschaftlich zu qualifizieren. In dem Bestreben, sich gewählt auszudrücken, spricht man nicht mehr von der Schänke, sondern von der Gaststätte; man läßt sich nicht mehr vom Totengräber begraben, sondern von einem Totenbettmeister beerdigen. - Eine schwülstige Ausdrucksweise, die ihr Gegenstück in dem Schwulst der damaligen Außen- und Innenarchitektur hat. Aber auch gute Neuworte gelingen und verdrängen die entsprechenden Fremdworte. Wer denkt noch daran, daß es eine Zeit gab, in der man nicht vom Regenschirm, sondern vom Paraplü sprach! Die Zeit der zusammengesetzten Worte ist noch nicht vorüber. Sie vermehren sich ständig. Der undefinierbare „Brotaufstrich” ist als charakteristische Wortbildung des zweiten Weltkrieges in die Sprache eingegangen. Neuerdings spricht man von Fußbodenbelag, Haushaltsgegenstand, Weltraumschiffahrt - keine Worte, wie sie der Dichter in den Mund nimmt, aber nützlich, nötig und verständlich! Besonders erfinderisch in der Zusammensetzung von Worten war das Militär, nachdem es sich jahrhundertelang französischer Fachausdrücke bedient hatte. An die Stelle der Vedette trat die Feldwache, an die Stelle des Reglements die Heeresdienstvorschrift, und für neue taktische Begriffe und Waffen wählte man von vornherein deutsche Komposita: das Hauptkampffeld, das Maschinengewehr, die Panzerabwehrkanone. Je länger das Wort und je knapper die Zeit, um so wünschenswerter wird die Abkürzung. Beide Voraussetzungen trafen in den letzten Kriegen für unsere Wehrmacht zu. Man hatte, wie schon gesagt, ein Vokabular von langen, zusammengesetzten Worten, und man mußte sich kurz fassen. So entstanden die geschriebenen und gesprochenen Abkürzungen, die dem Kriegsteilnehmer noch in Erinnerung sind: HKL für Hauptkampflinie, OKW für Oberkommando der Wehrmacht, MG für Maschinengewehr, Pak für Panzerabwehrkanone. Dem Landser machten diese Abkürzungen Spaß. Er fand ein Vergnügen daran, ihnen andere Worte unterzuschieben. Die im ersten Weltkrieg übliche Abkürzung „a. d. F. d. E.” besagte „auf dem Felde der Ehre”. Der Landser aber gab ihr die Deutung „an der Feldküche der Ersten” (Kompanie). Er erfand auch selber Abkürzungen. Bekannt sind die Namen, mit denen man im zweiten Weltkrieg die Wehrmachtsgeistlichen begabte. In Analogie zur Pak wurden sie Esak und Kasak, evangelische und katholische Sündenabwehrkanone genannt. Gewiß waren schon vor dem ersten Weltkriege Abkürzungen in unsere Umgangssprache eingedrungen. Aber der Soldat hat doch entscheidend zur Volkstümlichkeit und Verbreitung der abgekürzten Redeweise beigetragen. Ihm verdanken wir wohl auch den E. P. V. - das Gedicht vom Exerzierplatzvogel, das Christian Morgenstern dem 2. Garderegiment zu Fuß gewidmet hat. In diesem Gedicht hat es der Dichter fertiggebracht, die Abkürzung poesiefähig zu machen und ihr sogar Gefühlswerte abzugewinnen. Daß sie in der Berufssprache mehr und mehr dazu dienen wird, natürliche Worte, Wortkomplexe und ganze Sätze formelhaft zusammenzuziehen und die Information zu beschleunigen, läßt sich kaum bezweifeln. Das Phantasiewort. Vom abgekürzten zum Phantasiewort ist nur ein Schritt. Während die Bedeutung des zusammengesetzten Wortes aus seinen Bestandteilen hervorgeht, löst sich das abgekürzte Wort von seiner Bedeutung und wird zur selbständigen Formel: Die Zahnpasta Pebeco erinnert zwar noch daran, daß sie von der Firma P. B. Co. hergestellt wurde, aber der Verbraucher fragt nicht nach jener Firma, für ihn ist Pebeco das Kennwort, das er nennen muß, wenn er die von ihm benutzte Zahnpasta haben will. Dieses Kennwort hätte auch anders heißen, es hätte die Qualität des Erzeugnisses charakterisieren oder den Namen einer Gottheit tragen, es hätte auch frei erfunden sein können. So verkauft die Firma Henkel ein Putzmittel ATA. ATA bedeutet nichts, und gerade der Umstand, daß diese drei Buchstaben durch keine Bedeutung vorbelastet sind, läßt sie geeignet erscheinen, eine neue Sache kurz und bündig zu benennen. Das Putzmittel selber soll aus ATA einen Begriff machen. Das prägnante Wort. Das natürliche Wort hat einen Bedeutungsumfang, der einer genauen Ausdrucksweise widerstrebt. So wird zum Beispiel das Wort „Wort” in den Bedeutungen Vokabel, Rede, Schriftwort, Zusage, Wort Gottes usw. verwendet. Welche Bedeutung gemeint ist, muß sich aus dem Zusammenhang ergeben oder besonders vereinbart werden. Dazu dient bekanntlich die Terminologie. Um uns vor Mißverständnissen zu schützen, erklären wir, daß wir ein Wort nur in einem bestimmten Sinne gebrauchen werden, und verleihen diesem damit Prägnanz. Dadurch wird nun freilich das Wort verstümmelt. Es verarmt. Ja, es kann sogar verfälscht werden. So hat ein politischer Jargon das Wort Junker der positiven Bedeutungen, die es nun eben auch hatte, beraubt und zum Schimpfwort gemacht. Wenn man das Wort „Religion” so einengt, daß es nur noch enthält, was den nichtchristlichen Glaubensgemeinschaften eigentümlich ist, dann kann das Christentum natürlich keine Religion sein. Aber es ist klar, daß damit das Wort Religion ausgehöhlt und gerade jener Inhalte beraubt wird, die Christentum, Buddhismus, Islam usw. vergleichbar machen, daß sie nämlich den rechten Lebensweg zeigen, zur Überwindung des menschlichen Leides verhelfen wollen u. a. m. Eine solche willkürliche Terminologie erschwert auch die Verständigung mit anderen Völkern, die fortfahren, das Wort Religion in seinem hergebrachten Bedeutungsumfang zu gebrauchen. Ebenso unglücklich und dem internationalen Sprachgebrauch widerstreitend ist die Prägnanz, die Oswald Spengler dem Worte Zivilisation gegeben hat. Bei Zivilisation ist ja nicht nur an die Verfallserscheinungen einer Spätkultur zu denken, sondern zunächst und vor allem an den civis Romanus und seinen Gegensatz zum Barbarentum. Mehr noch als der Mann der Wissenschaft ist wohl der Politiker versucht, das natürliche Wort durch Prägnanz zu Kastrieren. Dann verwandelt sich das lebendige, vielsinnig schillernde Wort in eine Denkformel, mit der sich arbeiten, aber nicht leben läßt. Es kann in seiner ursprünglichen Bedeutung absterben und unserer Vorstellungswelt verlorengehen. Auf jeden Fall büßt das Wort, dem wir unser Verständnis aufnötigen, seine lebendige Kraft ein. Es bekommt etwas Starres, Determiniertes und verliert die Hintergründigkeit, die es im Zauberspruch und Orakel, in der Dichtung, aber auch in der Sprache der Bibel besitzt. Vorzeiten lieferte das Leben des Jägers und Kriegers, des Bauern und Handwerkers dem Menschen die Vorstellungen, deren seine Umgangssprache bedurfte. In diesen Vorstellungen denkt die Bibel, und auch in uns sind sie erstaunlicherweise noch lebendig: Wir schießen noch Böcke, wir führen eine scharfe Klinge, wir säen Zwietracht und drechseln Worte, ohne Jäger, Krieger, Bauern oder Handwerker zu sein. Für die Neuzeit aber reicht dieser Wortschatz nicht mehr aus. Die Wissenschaften, die sich im Mittelalter der lateinischen Sprache bedient hatten, bemächtigen sich nun der lebenden Sprache, durchsetzen sie mit Fremdworten und machen aus ihr ein Denkinstrument. Ihr Verfahren, ihre Zielsetzung verlangt das so. Aber wenn die Umgangssprache sich von ihnen beeinflussen läßt und einem Stil verfällt, in dem der Mensch nicht mehr denkend und handelnd, sondern nur noch als Objekt eines von ihm losgelösten Denkens und als Funktion von Zuständen und Vorgängen auftritt, dann hört sie eben auf eine Sprache zu sein, in der man menschlich miteinander umgehen kann. Ähnliches gilt von den Berufssprachen. Die fortschreitende Arbeitsteilung führt zu einer Menge von Fachausdrücken, die als solche natürlich unentbehrlich sind, als Bilder aber zerstörend wirken können. Indem der Mensch Begriffe wie Leerlauf, Verzahnung, Ladehemmung, Serienfabrikat, Fehlkonstruktion gleichnishaft auf seinesgleichen bezieht, konformiert und deformiert er sich auf erschreckende Weise und gestaltet eine surrealistische Welt. Gewiß, all diese Wortbilder und Wortbildungen sind zeitgemäß und treffen leider oft ins Schwarze. Aber so wie wir eine falsche Romantik verwerfen, sollten wir es uns auch nicht zur Tugend anrechnen, unsere Zeit unbedingt zu bejahen. Eine Tugend des Menschen scheint es mir dagegen zu sein, seine Zeit zu überwinden; denn es gibt keine geschichtliche Periode, die nicht den Stempel menschlicher Unzulänglichkeit trüge. Die Überwindung des Zeitlich-Unzulänglichen aber beginnt damit, daß ein heilsamer Gedanke den ihm angemessenen Wortleib findet. Quatember 1960, S. 107-113 |
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