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von Paul Evdokimov |
Die christliche Einheit ist schnell auseinandergegangen, die Wiedervereinigung ist eine langwierige Sache, und alle Anstrengungen enden in dem non possumus des an sein Glaubensbekenntnis gebundenen Gewissens. Nun aber kommt uns eine, freilich nicht in Worte zu fassende, heimliche Einsicht und bewahrt uns vor jeder integrierenden oder progressiven Vereinfachung. Angesichts des Mysteriums der Einheit tritt nämlich das Mysterium der Veruneinigung in Erscheinung. Der Trennung, die das Wesen der Kirche ernsthaft bedrohte, ist dadurch Einhalt getan, daß in den getrennten Teilen der Christenheit Gottes Gegenwart offenkundig geworden ist. Wir wissen, wo Kirche ist; wer kann sagen, wo sie nicht ist? Die Grenzen der Lehre und der Zucht in der sichtbaren Kirche fallen nicht zusammen mit ihren charismatischen Grenzen (wenigstens gibt man mit der gegenseitigen Anerkennung des Taufsakraments und, in gewissen Fällen, des Priesteramtes stillschweigend zu, daß der Heilige Geist außerhalb des kirchlichen Sakramentsrechtes handeln kann). Mit dem Wortwechsel von Tauben, die einander den Rücken kehren, ist es endgültig vorbei, er ist überholt. Aber damit einer sich zum anderen zurückfinde, muß man erst einmal miteinander stille und in schweigender Reue eins werden, im Hinblick auf das mystische Gespräch, zu dem die ganze christliche Vergangenheit emporführt. Hier muß jedes Wort wesentlich werden und wie lauteres Quellwasser der schweigenden Anbetung und dem Warten auf das große Schweigen entspringen, in dem der Geist empfangen wird. Die Kirchenväter kommen immer wieder auf die Grenzen unserer Erkenntnisse zu sprechen. „Wir wissen, daß Gott existiert, daß er ist; wir wissen nicht, was er ist.” Gott unterscheidet sich gewaltig von dem, was wir denken. Er ist sicherlich nicht das, was die Schultheologen uns von ihm sagen. „Gott hüllt sich in Dunkel”, und es ist angemessen, ihn in seiner unsagbaren Unergründlichkeit schweigend zu verehren. Der heilige Johannes Chrysostomus bemerkt nicht ohne Spitze, daß die Engel die Unbegreiflichkeit Gottes besser begreifen als wir, weil sie Gott ganz nahe sind. Die Theologie des Verneinens (die sich darauf beschränkt auszusagen, was Gott nicht ist. Anm. der Schriftleitung) spielt eine reinigende Rolle und bewahrt den Osten vor aller Versuchung, Gott auf Begriffe, auf jene letzten und gefährlichsten Götzenbilder zurückzuführen. „Niemand kann Gott sehen und am Leben bleiben” heißt für die Väter: Niemand kann Gott in Begriffe fassen. Gott ist in seiner Gottheit frei, das bedeutet, seinem Wesen nach mystisch. Wer kann ermessen, wie das Wort gleich einem Blitz aus den Höhen des ewigen Schweigens herabfährt bis auf den Grund des Höllenschlundes und wieder aufsteigt zur Rechten des Vaters? Ein ebensolches Mysterium ist es, wenn es durch die trennende Mauer hindurchgeht und sich im Inneren der getrennten Teile der Christenheit offenbart. Das Mysterium der Veruneinigung, die Anerkennung der Tatsache, daß Christus in unserem Gegenüber wirklich und also auch heilbringend gegenwärtig ist, ist die Vorbedingung für jede echte ökumenische Begegnung und stellt klar, daß unsere Beziehungen zu den Andersgläubigen dem Heilsplan unseres Herrn nicht entgegenstehen. Der Metropolit Platon sagte, daß die trennenden Mauern nicht bis in den Himmel reichen. Ein strenger Asket und Einsiedler wie Bischof Tichon hielt dafür, daß alle nach Maßgabe ihres Glaubens Gnade empfangen. Sobald man die Haltung aufgibt, die auf eine formale Eingliederung aus ist, wird deutlich, daß es nicht um das Heil der Andersgläubigen geht und daß die Frage unendlich viel verwickelter ist. Deshalb ist im ökumenischen Gespräch jede Haltung, die Proselyten machen will, fehl am Platz und verursacht einen Mißklang. Sie macht eine positive Würdigung des anderen unmöglich. Die Beziehungen zwischen der Rechtgläubigkeit und der Andersgläubigkeit beruhen auf dem Ratschluß, daß die Fleischwerdung sich vollende, daß wir zur Gestalt Christi heranwachsen und daß die volle Wahrheit erkannt werde. So heißt es auch im Gebet der Kirche: „Auf daß alle zur vollen Erkenntnis der Wahrheit gelangen!” Eine übertrieben christozentrische Einstellung führt zu einer Verhärtung der Theologie und engt das Gespräch ein. Eine größere Geschmeidigkeit kann nur von der Ausgeglichenheit der Dreifaltigkeit herkommen. Im 14. Jahrhundert hat der heilige Sergius von Radonesch, der als Lehrer der Dreifaltigkeit gilt, in Wirklichkeit nur eine Kirche gebaut und sie der Heiligen Dreifaltigkeit gewidmet. Das war für ihn lebendige Theologie. Das Heiligtum, ein Bild der Dreifaltigkeit, war schon in der Kraft seiner Offenbarung ein Notschrei, eine Mahnung zu Einheit. Von der wunderbaren Ikone der Dreifaltigkeit von Rublew geht dieselbe unwiderstehliche Kraft aus „des Einen, der sich verdreifacht und der Drei, die sich in dem Einen zusammenfinden” (Dionysius von Alexandria). Wenn man zur unergründlichen Quelle der dreipersönlichen Einheit herabsteigt, überschreitet man die Grenzen der theologischen Systeme, die daran kranken, daß sie um einen exzentrischen Mittelpunkt kreisen. Mit dem Heiligen Geist beten, heißt ein- und denselben, altbekannten Worten seinen eschatologischen vorwärts tragenden Anhauch verleihen; heißt Heiligung des Namens, wie sie nur in der Haltung der bekennenden Märtyrer möglich ist; heißt auf das Himmelreich warten - auf den Heiligen Geist (die eschatologische Epiklese, die aus dieser Welt „eine neue Erde” macht); heißt letzte Übereinstimmung zwischen dem Willen des Vaters und dem der Menschen (wie im Himmel also auch auf Erden); heißt das so bohrende Verlangen nach dem wahrhaft nährenden, weil eucharistischen Brot, das in der Dürre der letzten Zeiten allein am Leben erhält; heißt die Vorahnung der letzten Versuchung, die selbst die Heiligen zu fürchten haben, und endlich der Lobpreis, der die Himmel erfüllt und das Reich schon vorwegnimmt . . . In dieser Enderwartung werden wir zur ökumenischen Epiklese geführt, die das Herzstück des Gebetes für die Einheit bildet und vor allem die Haltung des Beters bestimmt. Es fällt uns ein, daß die Vergangenheit uns in der Vorgeschichte des 4. Ökumenischen Konzils zu Chalzedon eine sehr genaue Analogie liefert. In dieser Zeit legt die Schule von Alexandria eine Glaubensthese vor, die Schule von Antiochia eine Gegenthese. Nach menschlichem Ermessen erscheint in diesem Streit eine Synthese unmöglich. In genau derselben Lage befinden sich heute unsere Konfessionen. Da aber wird der Anrufung des Heiligen Geistes durch die Konzilsväter eine erleuchtende Antwort zuteil: Eine Eingebung aus dem Munde des heiligen Papstes Leo wird von den Konzilsvätern aufgenommen, eine Lösung, von der niemand weiß, woher sie kommt, die einfach von Gott ist. Ein jeder findet seine Schau der Wahrheit wieder, aber gereinigt von seinem Partikularismus und einbezogen in eine völlig neue, wahrhaft katholische Synthese. Diese Lehre aus der Geschichte lädt dringend dazu ein, sich dem Heiligen Geist anzuvertrauen, damit er im nachhinein eine Glaubenswahrheit an den Tag bringt, ohne etwas preiszugeben. Wenn Gott selber „Geduld übt und will, daß niemand verloren geht, sondern daß alle zur Fülle gelangen”, so verlangt die ökumenische Epiklese ganz besonders Durchsichtigkeit und Reinheit des Herzens, einen höchsten Grad asketischer Katharsis (Läuterung). Größter Ernst, Mannhaftigkeit und Überlegtheit muß von allen aufgebracht werden, die sich im Ringen um die Ökumene einsetzen. Dann hört dieses sofort auf, ein einfaches Bekehrungsunternehmen oder eine Gelegenheit zu sentimentaler Rührung zu sein. Im orthodoxen Gottesdienst wird vor dem gemeinsamen Glaubensbekenntnis jeder aufgefordert, die rechte gottesdienstliche Haltung einzunehmen: „Laßt uns untereinander lieben, auf daß wir einmütig die unteilbare Dreifaltigkeit bekennen.” Liebevolle Aufgeschlossenheit ist der Ausgangspunkt für die Epiklese. Origenes (Hom. 7 in Lev.) sagt, daß „jeder Mensch in sich selber eine gewisse Nahrung hat; der Mensch holt sie aus seinem Herzen und bietet sie seinem Nächsten als reine Nahrung an”. Hier wird das menschliche Herz eucharistisch verstanden. Die konfessionelle Praxis, die unter dem starken Eindruck des „Feuer Verzehrens” steht, behält die Eucharistie vorsorglich „den ihren” vor, und das ist recht und billig. Aber der Mensch, der so „ernährt” wird, wird, nach Origenes, selber zu einem offenen Kelch, nun aber für die ganze Welt, für alle gegeben, um „das Feuer zum Feuer hinzuzutun”. Unter den außergewöhnlichen Verhältnissen, die im sowjetischen Leben herrschen und den Gläubigen dort verhindern, ein regelmäßiges gottesdienstliches Leben zu führen, lehrt die Kirche, daß der Mensch selber ein Tempel, daß sein Leben ein ins Innere verlegter Gottesdienst ist und daß der Gläubige, inmitten der dämonischen Leere, jedem Gesicht, in das er blickt, ein „liturgisches Lächeln” schuldig ist, als ein in seinem Schweigen beredtes Zeichen verhaltener Freude. Stellvertretend für alle Menschen hat Christus bis zur äußersten Erniedrigung gelebt, bis zu jenem „Warum hast du mich verlassen”. Dieser Schrei aus der Tiefe der Hölle hat ihre Grundmauern erschüttert und das Herz des Vaters erzittern lassen. Christus ist gekommen, nicht nur, um die Erde, sondern auch und vor allem, um die Hölle zur Kirche zu machen. Das Osterlicht ist dort aufgestellt worden, das mystische Leuchtzeichen scheint in der Finsternis. Selbst die Verzweiflung im Innersten der Hölle trägt seit jeher eine Wunde, die ihr die Hoffnung geschlagen hat, und es steht dem Christen nicht an zu verzweifeln. Die Unmöglichkeit, die Hölle zu denken, hat Péguy dahin gebracht, daß er aus der Kirche austrat, die christliche Aufgabe, sich ihrer anzunehmen, bringt ihn dahin, daß er wieder eintritt und das Lied der Hoffnung anstimmt, das Lied der zweiten Tugend; denn Gott selber findet sich nicht mit dem Unerträglichen und für immer Verlorenen ab ... „Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf” - niemals ist ein Wort an die Kirche ergangen, das mehr Gewicht gehabt hätte. Das Schicksal der Welt steht auf dem Spiel. Wir müssen es fertig bringen, wir müssen so sein, daß die Welt uns als Zeugen und Boten des Lebens aufnimmt. Gott hat seine Kirche ausersehen, um die völlig neuen Fragen zu beantworten, welche die Menschheit heute stellt, welche sie in ihrer Hölle stellt, und er gibt den Christen auf, ein wesentliches Wort zu finden und zu formen, um darauf zu antworten. Durch dieses Wort muß die Welt, die sich dem verschließt, der nicht liebt, aufbrechen. Der wahre Nächste, der Allernächste, das bin ich selber in meiner Beziehung zu dem, der Christus am fernsten steht; denn gerade in ihm will Christus seit jeher erkannt und aufgenommen sein. Der heilige Antonius, der heilige Pachomius und noch viele andere lassen uns an die Furcht erregende Wüste der Thebais denken, an diese Wiege so vieler geistlicher Riesen, an diese dürre Einöde - ausgebrannt, aber ganz erfüllt von ihrem Licht. Jene wunderbaren Lehrer, alles große Charismatiker aus dem Laienstand, lehrten die geläuterte hohe Kunst, dem Absolutheitsanspruch des Evangeliums entsprechend zu leben, und ihr Glaube hat das Antlitz der Welt verändert. Heute verwalten die Mönche das Erbe der Märtyrer; und jeder Mönch, der in einen-Orden eintritt, muß durch die Taufe der Askese hindurch - er muß ein für allemal der Lauheit und dem Geist der Selbstgerechtigkeit absagen. Es besteht eine enge Verwandtschaft zwischen den Taten des Geistes und der ihnen vorangehenden Wirksamkeit der Sakramente. In diesem Sinne kann man von einer ökumenischen Taufe sprechen. Sie bedeutet, daß man allem Machtstreben abstirbt, aller Versuchung, um jeden Preis anderen aufzunötigen, was man selber denkt, glaubt und lebt, daß man abstirbt, aber auch in der Nachfolge des Herrn in das Tal des Schattens und des Todes hinabsteigt und der Wundmale inne wird, welche die wahren Leidensgenossen des Bräutigams tragen. Das Untertauchen in der Nachfolge des göttlichen Tauchers ist der Ausgangspunkt für die ökumenische Epiklese. Am Ende dieses Gebets steht die Erwartung der ökumenischen Pfingsten. Die Wiederkunft des Herrn bringt zugleich das Gericht und die Erlösung. Damit aber das Wort erfüllt werde: „Ich bin nicht gekommen, daß ich die Welt richte, sondern, daß ich die Welt selig mache”, hat die Wiederkunft die vorangehenden Pfingsten der christlichen Einheit zur Voraussetzung. Noch einmal: Diese Einheit ist nicht in erster Linie für die Christen; wenn sie zustande kommt, dann geschieht das, damit der Herr eine große Mehrzahl von Brüdern hinzutun kann - die in der Hölle der Verzweiflung herumtasteten und nun an das Licht ohne Untergang zurückkehren, zu dem einmaligen Mahl des Herrn. Man kann die Worte des Evangeliums umschreiben und sagen: Sucht das Heil der Welt, und die Einheit wird euch gegeben werden, darüber hinaus, umsonst, als eine letzte Gnadenwirkung der Erlösungstat. Die vorstehenden Ausführungen geben den gekürzten zweiten Teil eines Vertrags wieder, den Professor Evdokimov, Paris, im Ökumenischen Institut in Bossey hielt und dessen ersten Teil wir im Johannisheft brachten. Übertragung aus dem Französischen von H. C. v. Haebler. Quatember 1960, S. 166-171 |
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