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von Friedrich Tucholski |
Vorbemerkung des Herausgebers Die Leser von Quatember wissen, daß ich eine unüberwindliche Abneigung gegen den Beton als Werkstoff für Kirchenbauten habe, und ich weiß andererseits, daß manche Freunde und Mitarbeiter des heutigen Kirchenbaus sich über diesen meinen altmodischen Geschmack ärgern oder wenigstens den Kopf schütteln. Kürzlich habe ich ein paar Tage in der unmittelbaren Nähe eines (noch nicht ganz fertigen) neuen Kirchbaus aus Beton gewohnt, und die unverkleideten Betonwände - vielleicht sollen sie noch verkleidet werden - haben mir ein geradezu körperliches Unbehagen verursacht.- Ich bitte die Lobredner des Betons wenigstens zur Kenntnis zu nehmen, was Friedrich Tucholski in seinen temperamentvollen „Betrachtungen zum Kirchenbau” sich vom Herzen geschrieben hat; es sind nach meiner Meinung einige ganz ausgezeichnete Bemerkungen darin enthalten, so zum Beispiel, daß der Mensch ein natürliches Gefühl für statische Sicherheit besitzt, das beruhigt werden will und das durch die Berechnungen der Statiker allein nicht beruhigt werden kann; oder der andere Satz, daß der Beton ein großartiger Diener, aber ein schlechter Herr sei, ganz entsprechend den Menschen, deren Typus dem Beton wesensverwandt ist. - Ich weiß, daß damit nicht alles gesagt ist, was man über, für oder gegen den Beton sagen kann; aber wenn das, was hier gesagt ist, nicht wenigstens mitbedacht wird, dann ist sicher alles, was man sonst sagen möchte, gründlich falsch. Wilhelm Stählin Wenn die Berichterstatter einen neu errichteten Kirchenbau beschreiben, so vergessen sie niemals hervorzuheben, daß er aus Beton hergestellt sei. Man ist offenbar der Meinung, daß Beton unbedingt zum Wesen des neuen Kirchenbaus gehöre und etwas besonders Schönes, Edles und vor allem: Modernes wäre. Dem gläubigen Kirchenbesucher, der zum Gottesdienst kommt, kann es zunächst einmal durchaus gleichgültig sein, aus welchen Baustoffen die Kirche hergestellt worden ist. Er erwartet vielmehr, daß in dem Gebäude das Wesen der christlichen Kirche zum Ausdruck kommt und daß es dauerhaft gebaut, würdig, schön und zweckmäßig gestaltet ist. Mit welchen Mitteln dieses Ziel erreicht wird, ist Sache der Baumeister und der für die Bauausführung Verantwortlichen, ist also für ihn eine Frage zweiter Ordnung. Es bedeutet schon ein Abgleiten in eine materialistische Auffassung, wenn man die Frage nach dem Baumaterial bei einer Kirche an die erste Stelle setzt. Dann ist nicht mehr der göttliche Auftrag das Maß aller Dinge, sondern der Mensch, der die Materie, das Material bewältigt. Eine Neuerung ergab sich durch einen Zufall, als im Jahre 1849 der französische Gärtner Joseph Monier versuchte, haltbare Kübel herzustellen. Er machte an Stelle der dem Faulen ausgesetzten Holzkübel Behältnisse aus Zementbeton. Da diese aber Risse bekamen und undicht wurden, bettete er ein Geflecht aus Eisendraht in den Beton der Kübelwände. Er hatte Glück: Das Eisen rostete nicht und löste sich nicht vom Beton. Das war die Geburtsstunde der Monier- und weiterhin der Stahlbetonbauweise. Das Bestreben ging dahin, immer festeren Zement und immer härteren Betonstahl herzustellen. Dadurch gelang es, größte Lasten auf dünnste Stützen zu legen und größte Spannweiten ohne Zwischenstützen zu überbrücken. Für den Ingenieurbau, den Wasser- und Brückenbau, für den Bau von Hochhäusern äußerst wichtig und unentbehrlich. Aber der Kirchenbau ist kein Ingenieurbau, der unerhört kühne Konstruktionen erfordert. Der Mensch hat ein gewisses, natürliches Gefühl für statische Sicherheit, das beruhigt werden will und das von den rechnerischen Ergebnissen der Statiker unabhängig ist. In der Kirche, an der Stätte der Andacht, der Ruhe, der inneren Sammlung will und soll er nicht technisch denken, will und soll er nicht überwältigt werden von dem konstruktiven Wagnis. Die Kirche ist kein Tummelplatz für tollkühne, „höchst eigenwillige” (wie der Fachausdruck heißt) Raumkunststücke. Solange noch die Kontinuität der kulturellen Entwicklung gewahrt blieb, das heißt bis in den Anfang unseres Jahrhunderts - (wie weit sie schon lange vorher im Zerbröckeln war, davon soll hier nicht die Rede sein) -, spielte die Eisenbetonkonstruktion die Rolle des guten Knechtes, der zuverlässig und bescheiden im Hintergrunde seine schweren Lasten trug. Räume zu gestalten war nicht seine Aufgabe. Der Beton im allgemeinen und der Stahlbeton im besonderen ist nämlich der unmenschlichste aller Baustoffe. Er ist hart, unglaublich hart, starr, unbeugsam, kalt und lieblos. Seine Oberfläche wird in kurzer Zeit so hart, daß ihn selbst der schärfste Meißel nicht bearbeiten kann. In eine Betonwand kann man nicht einmal einen Nagel einschlagen. Er ist halsstarrig und unbelehrbar: Soll eine Stütze an eine andere Stelle gerückt werden, liegt ein Eisenbetonbalken nicht richtig, so läßt er sich auch nicht um einen Fingerbreit verschieben. Man kann ihn nur zu Schutt zerschlagen, beseitigen und durch einen neuen ersetzen. So stark Stütze und Balken sein mögen: Wird durch Anschlagen eine Eiseneinlage durchbrochen, so geht die errechnete Festigkeit verloren. Der Beton ist kalt, er leitet die Warme hemmungslos fort und die Kälte herein. Er will auch nicht hören, alle Schallwellen wirft er rücksichtslos zurück und hat keinen Sinn für den Klang der Musik und des gesprochenen Wortes. Das Eisenbetongerüst eines Bauwerkes entspricht dem Knochengerüst des menschlichen Körpers. Ohne dieses würde er in eine formlose Masse zusammensinken. Aber Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde und bekleidete nicht nur das Skelett, sondern auch die inneren Organe - alles verhüllend - mit der schönen, warmen, glatten Haut, die erst, wenn sie vollkommen ist, die Schönheit des menschlichen Körpers ausmacht. Das tote, dürre Skelett allein gilt immer noch als das Abbild des Seelenlosen, des Unmenschlichen. Es ist ein gefährliches Unterfangen, dem gutgläubigen Menschen einreden zu wollen, die Darstellung des nackt Brutalen, des Häßlichen, des Absurden wäre ein Ausdruck unserer Zeit, ein Ausdruck des „Modernen”, das die ganze Welt umspannt. Der Beton als unentbehrlicher Baustoff ist an sich weder gut noch böse. Die Kirche aber ist mehr als ein allgemeiner Zweckbau; sie ist an erster Stelle sakraler Bedeutungsträger. Ein bloßes Zurschaustellen nützlicher und unentbehrlicher Konstruktionsteile kann dieser Aufgabe nicht gerecht werden. Wohl sind Schlichtheit und Einfachheit Wesensmerkmale des evangelischen Kirchenbaus. Doch sind Schlichtheit und Einfachheit nicht gleichbedeutend mit Rohheit und Dürftigkeit strukturloser Massen. Quatember 1962, S. 121-123 [Siehe auch die Leserbriefe] |
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