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Maria-Ekklesia
von Hans Carl von Haebler

Schutzmantelmadonna LeerDas Bild der Schutzmantelmadonna geht auf sehr alte Vorstellungen und Gebete zurück. Karl der Große ließ das Gebet, das in ihm bildhaft geworden ist, aus dem Griechischen übersetzen. Es lautet: „Unter deinen Schutz, heilige Mutter Gottes, flüchten wir unsere Gebete” und ist auch in eine Ikone eingegangen, die den Namen „Gottesmutter Schutz und Schirm” führt. Im Osten wie im Westen hat dieser Gebetstext durch eine Vision sichtbare Gestalt angenommen. Aus Konstantinopel wird berichtet, daß der Narr in Christo Andreas († um 936) während eines Nachtgottesdienstes gesehen hat, wie die Mutter Gottes ihr über die Schultern reichendes Kopftuch, das Maphorion, über dem Volke ausbreitete. Im Westen hatte ein Cisterzienser die Vision, daß er in den Himmel kam und bestürzt war, hier keinen Ordensbruder zu sehen. Da öffnete Maria ihren Mantel, „den man um sie wallen sah und der eine wundersame Weite hatte”, und zeigte ihm darunter die ganze Nachkommenschaft des heiligen Bernhard. Später haben auch andere Orden und schließlich alle christlichen Stände unter diesem Mantel Schutz für ihre Gebete gesucht.

LeerConrad Ferdinand Meyers Gedicht vom „Gleitenden Purpur” erinnert noch daran, daß man im Mittelalter Gnade vor Recht ergehen ließ und sich eines Menschen erbarmte, wenn man ihn in seinen Mantel hüllte. Die Schutzmantelmadonna ist die Mutter der Barmherzigkeit. Aber ist es nicht schriftwidrig, der Mutter Gottes diesen Mantel umzulegen? Muß das Psalmwort: „Er wird dich mit seinen Fittichen decken, dich bergen unter seinen Flügeln” nicht auf Gott bezogen bleiben? Das Mittelalter hat diesen Psalm täglich gebetet. Es hat auch das Bild eines Schutzmantel-Christus geschaffen und wohl gewußt, wem die Mutter Gottes ihren Mantel verdankt. „Mein weiter Mantel”, läßt Maria die heilige Birgitta wissen, „ist meine Barmherzigkeit. Wahrlich, meine Tochter, barmherzig macht mich meines Sohnes Barmherzigkeit.”

LeerIch glaube, daß die Schutzmantelmadonna aus jenem Bilde herausgebetet worden ist, das die Gottesmutter als Orantin darstellt und mit der Kirche zusammenbringt. Diese Darstellung gehört zum Bilde der Himmelfahrt Christi. Der Herr fährt gen Himmel und läßt seine Kirche auf Erden zurück, damit sie ihm, vom Heiligen Geist erfüllt, Nachkommenschaft schenkt. So wie Christus durch den Heiligen Geist aus Maria geboren wurde, werden die Christen durch den Heiligen Geist aus der Kirche geboren. In der Gestalt der Schutzmantelmadonna, die ihren Mantel öffnet und ihre Nachkommenschaft zeigt, enthüllt die Kirche ihr eigenes Mysterium.

Quatember 1964, S. 1

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-27
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