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Zeichen der erhofften Gemeinschaft
von Reinhard Mumm

LeerDie Evangelische Michaelsbruderschaft hat im August 1971 den Bischöfen und Präsides der evangelischen und der katholischen Kirche ihre Erklärung zur Gemeinschaft im heiligen Mahl zugesandt. Darin heißt es, daß "die Feier des Herrenmahles als ein vorangehendes Zeichen der geglaubten und erhofften Gemeinschaft begangen werden" kann, auch wenn sich die Kirchen bislang noch nicht im vollen Sinn gegenseitig anerkannt haben. Aus zahlreichen Berichten und eigener Erfahrung wissen wir, daß es solche der vollen Gemeinschaft vorangehende Zeichen an vielen Orten in der Welt gegeben hat und immer wieder gibt. Die Umstände und die Form, in der gemeinsame eucharistische Feiern vor sich gegangen sind, muß man freilich näher betrachten. Sie geben manchmal Anlaß zu berechtigten Einwendungen.

LeerDie Erklärung der Michaelsbruderschaft spricht ausdrücklich von der jeweils einladenden Gemeinde. Diese Formulierung weist darauf hin, daß in erster Linie an eine geklärte kirchliche Situation zu denken ist. Entweder handelt es sich um eine evangelische Feier des heiligen Mahles, zu der alle Christrn willkommen sind, die die lebendige Gemeinschaft mit dem erhöhten Herrn suchen, oder es geht um eine katholische Eucharistiefeier, für die entsprechend das gleiche gilt. Es ist also, jedenfalls vorerst, nicht an konfessionell gemischte Sakraments-Gottesdienste zu denken, bei denen nicht deutlich wird, welche konkrete kirchliche Gemeinschaft sie verantwortet.

LeerWir betreten Neuland, in das wir uns erst vortasten, wenn wir an gemeinsame eucharistische Feiern herangehen. Weiterhin wird es dazu Ansätze in praktischen Versuchen geben, um das Rechte zu finden. Zweierlei ist nötig, sowohl die leibhafte unmittelbare Begegnung im gottesdienstlichen Handeln als auch die theologisch-ökumenische Arbeit. Es ist gut, wenn beide Arten des Vorgehens einander begleiten und durchdringen. Hier soll nun die Rede sein von einigen neuen und wichtigen Ergebnissen der ökumenisch-theologischen Arbeit.

LeerDas interessanteste Ergebnis stelle ich voran. Im Februar 1971 billigte eine gemeinsame Theologenkommission des Lutherischen Weltbundes und der römisch-katholischen Kirche auf der Insel Malta nach vierjähriger Arbeit einen Bericht, der unter der Überschrift "Das Evangelium und die Kirche" steht. Nach einer ausführlichen Einleitung, die danach fragt, ob denn wirklich "die noch verbleibenden Unterschiede als Hindernisse für eine Kirchengemeinschaft betrachtet werden" müssen, behandelt der Bericht die Fragen nach der Mitte des Evangeliums und der abgestuften Folge der Wahrheiten. "Heute zeichnet sich in der Interpretation der Rechtfertigung ein weitreichender Konsens ab." Man hat sich verständigt über das Problem des kirchlichen Rechtes und über die Bedeutung der Welt für das Verständnis des Evangeliums. Wer die ökumenische Gesprächslage kennt, sieht sofort, daß diese offizielle Kommission sich wesentlichen Punkten zugewandt hat. Da geht es nicht um diplomatische Freundlichkeiten, sondern um die Mitte des christlichen Glaubens.

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LeerFreilich handelt es sich bei dem vorliegenden Dokument noch nicht um ein verbindliches gemeinsames evangelisch-katholisches Bekenntnis, sondern nur um einen Bericht an die leitenden Organe beiderseits. Aber es geht hier auch nicht nur um eine private Arbeit, sondern um die Ausführung eines kirchlichen Auftrags, der die gesamte römisch-katholische Kirche und alle Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes betrifft. Was hier gesagt wird, reicht räumlich weit über das hinaus, was eine katholische und eine lutherische Delegation in den USA zur Lehre von der Eucharistie erarbeitet haben (s. Quatember 1970 S. 212-214). Inhaltlich gesehen begegnen und ergänzen sich die amerikanische Erklärung und der Bericht von Malta. Ob und wann es aber daraufhin nun zu verbindlichen Verrinbarungen kommt, läßt sich heute nicht übersehen. Das ist nicht nur eine Frage an den guten Willen der Kirchenleitungen, sondern vor allem eine Frage an den Glaubensstand aller Beteiligten, der Bischöfe und Theologen, der Synoden und der Gemeindeglieder, ob sie insgemein einer Kirchengemeinschaft auf dem Grund eines gemeinsamen Glaubens zustimmen. Wir können uns nicht verbergen, daß der Glaubensstand weit auseinander klafft, nicht nur in konfessioneller Hinsicht, mehr noch im Blick auf die Fundamente des christlichen Glaubens überhaupt. Dennoch hat der Bericht von Malta sein Gewicht; das zeigt sich vor allem in seinem III. und IV. Abschnitt vom Amt und von der Einheit.

LeerHier sagt der Bericht bündig: Im Sinn des Neuen Testamentes "steht die gesamte Kirche als die ecclesia apostolica in der apostolischen Sukzession". Sie ist wesentlich "ein Zeichen für die unverletzte Übertragung des Evangeliums und ein Zeichen der Einheit im Glauben". Eine historisch ununterbrochene Kette der Amtsübertragung läßt sich ohnehin nicht nachweisen.

LeerIn der Frage nach dem priesterlichen Amt ist man einander näher gekommen. "Auch die Lutheraner besitzen insofern in der Praxis eine Entsprechung zur katholischen Lehre vom priesterlichen Amt', als sie die Ordination nicht wiederholen." Da wird sichtbar, wie verhängnisvoll es wäre, wenn gewisse Vorschläge durchkämen, die Ordination nur noch als eine Amtseinführung zu verstehen oder gar als einen Dienstvertrag. Eine evangelische Kirche, die das täte, würde sich sowohl von ihren Vätern wie von den Brüdern in der Ökumene weit entfernen, auch von den Ostkirchen und den Anglikanern.

LeerWeil jedoch bislang die Bekenntnisse der Reformation in den lutherischen Kirchen der Welt gelten, "bitten die katholischen Mitglieder die zuständigen Autoritäten in der römisch-katholischen Kirche ... die Frage der Anerkennung des lutherischen Amtes ernsthaft zu prüfen". Die Lutheraner haben ihrerseits niemals geleugnet, daß das kirchliche Amt in der römisch-katholischen Kirche vorhanden ist. Weil heute der Dienst am Wort innerhalb der katholischen Kirche stärker betont wird, ergibt sich erst recht ein angenähertes Verständnis. "Aufgrund der festgestellten Gemeinsamkeiten im Evangeliumsverständnis, das für die Verkündigung, Sakramentsverwaltung und liturgische Praxis entscheidende Wirkungen hat, meinen die Lutheraner, daß schon jetzt gelegentlich Kanzelgemeinschaft und gelegentliche gemeinsame eucharistische Feiern befürwortet werden können."

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LeerAn diesem Satz sind zwei Dinge bemerkenswert. Einmal stimmt hier eine amtliche internationale lutherische Kommission mit der Erklärung der Evangelischen Michaelsbruderschaft überein, von der eingangs die Rede war. Zum anderen konnten sich die katholischen Mitglieder der Kommission offenbar nicht entschließen, der Empfehlung auf gelegentliche gemeinsame eucharistische Feiern zuzustimmen. Das ist verständlich angesichts offizieller Äußerungen von römisch-katholischer Seite. In scharfer Form ist die abweisende römisch-katholische Einstellung jüngst zum Ausdruck gekommen in der Flugschrift "12 Fragen und 12 Antworten zur Interkommunion" von Kardinal Joseph Höffner, Erzbischof von Köln. Sein Presseamt hat diese Thesen in einer Auflage von nahezu einer Million verbreitet.

LeerKardinal Höffner steht nicht allein. Die katholische deutsche Bischofskonferenz pflichtete ihm weitgehend bei, als sie am 23. September 1971 in Fulda, rückblickend auf das ökumenische Pfingsttreffen in Augsburg, erklärte: "Interkommunion kann nicht sein, wo nicht der Wille zur wahren Communio vorhanden ist, wo nicht echte Gemeinschaft mit dem Herrn und der Kirche geübt, sondern gegen die Kirche und ihre Ordnung Opposition getrieben wird." Wir müssen die katholischen Bischöfe fragen: Ist also nach römisch-katholischer Auffassung bei den evangelischen Christen, die mit Katholiken zu demselben Altar gehen, keine wahre Communio vorhanden? Wird da nicht echte Gemeinschaft mit dem Herrn und der Kirche geübt? Diese Frage berührt den Kern unseres Verhältnisses zueinander.

LeerZugleich sind wir auf der evangelischen Seite zu der ernsten Frage an uns selbst genötigt, wieweit in unseren Kirchen und ihren Ordnungen die Gemeinschaft mit dem Herrn im Sinn des Neuen Testamentes zum Ausdruck kommt. Aus jüngster Zeit liegen kirchliche Beschlüsse vor, die in einigen Passagen zu der Frage nötigen, ob dergleichen dem Evangelium entspricht; ich denke an ein sogenanntes Gebet zum Begräbnis in der evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. Weitere Beispiele lassen sich nennen. Das zeigt, welche Verantwortung unsere kirchenleitenden Organe tragen, wenn sie Gottesdienstordnungen zulassen, die das Wachstum der ökumenischen Gemeinschaft gefährden.

LeerÜberhaupt liegen noch Steine am Weg. Es wäre töricht, das übersehen zu wollen. In der Beurteilung des päpstlichen Amtes sind wir erheblich voneinander entfernt. "Man stimmte jedoch darin überein, daß die Frage einer Abendmahlsgemeinschaft und die Frage einer gegenseitigen Anerkennung des Amtes nicht unbedingt von einem Konsens in der Frage des Primats abhängig gemacht werden kann."

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LeerMit Recht warnt die lutherisch-katholische Kommission vor unüberlegtem Vorgehen in Richtung auf die Interkommunion, die Abendmahlsgemeinschaft zwischen verschiedenen Kirchen, betont aber gleichzeitig, wie nötig eine theologische und kirchenrechtliche Klärung ist. Ausgehend von der gemeinsam anerkannten Taufe war man sich darüber klar, "daß keine exklusive Identität besteht zwischen der einen Kirche Christi und der römisch-katholischen Kirche. Diese eine Kirche Christi realisiert sich in analoger Weise auch in anderen Kirchen". Weil es so steht, gilt es, stufenweise aufeinander zuzugehen. Die kirchlichen Autoritäten sollten als Zeichen und Vorwegnahme "der verheißenen und erhofften Einheit gelegentliche Akte der Interkommunion (etwa bei ökumenischen Anlässen, in der Mischehenseelsorge) ermöglichen". Es "darf die Verwirklichung eucharistischer Gemeinschaft nicht ausschließlich von der vollen Anerkennung des kirchlichen Amtes abhängig gemacht werden". Diese Meinung entspricht genau der Erklärung der Michaelsbruderschaft und widerspricht Kardinal Höffner.

LeerEs ist bezeichnend, daß das beschriebene Ergebnis zwischen zwei kirchlichen Gruppen, die sich auf ein klar umschriebenes Bekenntnis gründen, erzielt werden konnte. Die Lage in der gesamten Christenheit ist weit vielschichtiger und schwieriger. Doch auch hier ist man an der Arbeit. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe, die von der römisch-katholischen Kirche und vom ökumenischen Rat eingesetzt wurde, hat 1965 mit ihrem Gedankenaustausch begonnen und einen dritten offiziellen Bericht vorgelegt. Man hat die Stellung zur Bibel und zum Gottesdienst untersucht. Besonders wertvoll sind die Aussagen über Katholizität und Apostolizität, die im Zusammenhang mit den Ergebnissen der Sektion 1 von Uppsala stehen. Aber auch der Dienst an der Gesellschaft, die Diakonie und Mission wurden einbezogen.

LeerFür protestantisches Empfinden ist es erstaunlich, hier Sätze zu lesen wie die: "Die Kirche ist ihrem Wesen nach katholisch" oder "Wo immer Jesus Christus ist, da ist die katholische Kirche". Um Mißverständnisse auszuschließen: Gemeint ist damit nicht die verfaßte römisch-katholische Kirche, sondern die Kirche im Sinn des dritten Glaubensartikels.

LeerFreilich bleiben die Aussagen mehr auf der Ebene des Gespräches und der Frage. Das ist verständlich. Der ökumenische Rat kann nur Anstöße geben, aber nicht für seine Mitgliedskirchen verbindliche Aussagen machen. Gleichwohl wirkt eine solche Arbeit in die Kirchen der Welt hinein. Sie trägt dazu bei, das Glaubensbewußtsein zu fördern, und öffnet den Blick für die Erkenntnisse in anderen Traditionen und Kirchen. Schließlich fragen wir uns in Deutschland, in Europa und sonst in der Welt, ob es nicht möglich ist, daß die verschiedenen Kirchen der Reformation ihre überlieferten Abgrenzungen überwinden und eine engere Kirchengemeinschaft bilden

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LeerZwei Dokumente sind hierzu in Deutschland erarbeitet worden, 1970 die "Thesen zur Kirchengemeinschaft" und 1971 die" Gemeinsame theologische Erklärung zu den Herausforderungen der Zeit". Beide Ergebnisse sind aus intensiver Arbeit einer jeweils gemischten Kommission von Theologen (und einigen Nichttheologen) lutherischen, reformierten und unierten Bekenntnisses entstanden. Ihr Stil ist recht verschieden, die Zielrichtung aber nah verwandt. Es geht den Verfassern und denen, die hinter ihnen stehen, darum, in der besonderen deutschen Situation mit drei verschieden Traditionen ein Stück weiter auf die von allen gewünschte Kirchengemeinschaft zuzugehen. Beide Vorlagen befinden sich jetzt im Stadium des öffentlichen Gespräches. Die Kirchenleitungen und Synoden sollen noch ihr Votum dazu geben. Inzwischen sind freilich diese beiden westdeutschen Dokumente in den Schatten geraten, weil nur wenig später die Leuenberger Konkordie erschien, auf die hier schon hingewiesen wurde.

LeerAuf der Frankfurter Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland im November 1971 wehte der Name Leuenberg fast wie eine Fahne über den Absichten und Bemühungen, die volle kirchliche Gemeinschaft aller Mitgliedskirchen in einer neuen Grundordnung zu erklären. Das Besondere der Konkordie liegt in einer abgewogenen Darstellung der Kirchengemeinschaft. Sie zielt nicht auf eine Union, in der die Bekenntnisse verschwimmen oder verschwinden, sondern sie will den eigenständigen Charakter der Kirchen erhalten. Die gegenseitigen Lehrverurteilungen werden als heute nicht mehr treffend erklärt. In diesem Gebiet soll eine möglichst große Gemeinsamkeit im Zeugnis und im Dienst an der Welt erreicht werden. Es besteht demnach die Aussicht, daß wir innerhalb der reformatorischen Kirchen in Europa in einigen Jahren zu einer auch amtlich anerkannten Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft gelangen, die an vielen Orten ohnehin schon lange gegeben ist.

LeerDieses Einigungswerk gilt es mit zu sehen, wenn wir auf die noch weiter reichenden Bemühungen schauen, zu gemeinsamen eucharistischen Feiern innerhalb der abendländischen Christenheit zu gelangen. Im ganzen kommt es darauf an, sowohl eine schwärmerische "Einheit" zu vermeiden, die keinen Bestand haben kann, wie auch eine konfessionell-kirchliche Verhärtung, die aus Sorge und Angst erwächst. Zwischen beiden Fehlhaltungen werden wir nur hindurchfinden, wenn uns Geduld und Zuversicht begleiten. Wir brauchen einen Glauben, der das Entscheidende von der Macht des Geistes erwartet, und dazu die Liebe, die nicht aufhört, die Brüder in der Gemeinschaft mit dem Herrn zu suchen.

Quatember 1972, S. 88-92

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-09
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