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Zu Hartmut Löwe - Blick auf den theologischen Nachwuchs
von Reinhard Mumm

LeerHartmut Löwe hat in Heft 1/1972 des Quatember unsern „Blick auf den theologischen Nachwuchs” gelenkt und uns deutlich gemacht, in welchem Maß die Probleme der Jungen auch die Probleme der Älteren sind. Wer mit wachen Sinnen verfolgt, was in der Kirche und Theologie vor sich geht, wird Dr. Löwe in vielen Punkten zustimmen. In der Tat leiden wir an einem mangelnden Verhältnis zur Geschichte. Ein übertriebenes Vertrauen auf vermehrte und verlängerte Studien, etwa der Soziologie und Psychologie, wird ebensowenig weiterhelfen wie die Aufteilung in verschiedene Funktionen, wenn wir nicht neu entdecken, daß der ganze Mensch berufen wird zu einem Dienst, der aus einem Grundauftrag folgt, aber in jedem Fall - eben wegen der „personalen Komponente” - verschieden ausgeübt werden darf und soll. Dies und anderes habe ich gern dem Aufsatz entnommen; anderen Lesern mag es ähnlich gegangen sein. Gleichwohl möchte ich einige Anmerkungen hinzufügen:

Leer1. Ein Schlüsselwort der Gegenwart heißt „Pluralismus”. Daneben taucht, etwas seltener gebraucht, die „Pluralität” auf. Es spricht viel dafür, beide Begriffe zu unterscheiden; denn die pluralitas oder „Vielfalt” ist nicht identisch mit dem Pluralismus. Daß Vielfalt (und in diesem Sinn Pluralität) zum Leben gehört, ist rasch einzusehen. Auch das Neue Testament und die ganze Geschichte der Christenheit sind erfüllt von Pluralität. Darüber sollte sich niemand beklagen. Anders steht es mit dem Pluralismus, sofern man unter ihm eine Vielheit versteht, die durch keine Mitte mehr zusammengehalten wird, sondern alles gelten lassen will, was vorkommt. Ein solcher Pluralismus löst auf und zerstört. Ihm gilt es zu widerstehen. In diesem Sinn kann man nicht mehr sagen: „Ein Pluralismus verschiedener Theologien ist gut und in der Gegenwart unumgänglich.” Wohl aber wäre es recht und nötig zu erklären: „Eine Pluralität ist in der Theologie und Kirche heute ebenso anzuerkennen wie zu aller Zeit, sofern sie bezogen bleibt auf die Mitte des Evangeliums.”

Leer2. Gerhard Ebeling hat auf den „Steppenbrand” hingewiesen, der Theologie und Kirche verwüstet und entleert. Diese Beobachtung trifft besonders auf Mittel- und Westeuropa zu und in einem speziellen Sinn auf Westdeutschland. Es ist nötig, daß wir uns diesen Spiegel vor Augen halten. Aber wir sollten doch nicht übersehen, daß in anderen Teilen der Welt und in anderen Kirchen die Lage anders aussieht. Unsere Probleme und Nöte gelten nicht für die ganze Christenheit. Wollen wir daran gehen, die uns aufgegebenen Fragen zu beantworten, tun wir gut daran, auf die Ökumene zu schauen. Dieser weite Blick wird uns zwar nicht erlauben, unmittelbar von dorther die Antworten zu übernehmen; aber unsere Not wird dadurch heilsam relativiert, und es könnte sein, daß wir dort Vorbilder finden, die uns ein Stück weiterhelfen. Wo Druck und Leid die Christenheit bedrängen, sieht vieles anders aus als in den Bereichen eines fast uferlosen Liberalismus. Wo Gemeinden im Gottesdienst und Gebet leben und von daher die sie tragenden Kräfte empfangen, bietet sich ein anderes Bild dar als in den Bereichen, in denen einerseits rationale Reflexionen, andererseits mächtige Ideologien eine starke Anziehung ausüben.

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Leer3. Als eine verheißungsvolle Hilfe angesichts der Grundlagenkrise in der Theologie nennt Hartmut Löwe die „interdisziplinäre Studieneinheit”, eine Zusammenarbeit der verschiedenen theologischen Fächer. Ansätze in dieser Richtung hat es immer wieder gegeben. Sie sind wichtig und hilfreich. Sollte nicht in dieser Richtung der systematischen Theologie erneute Bedeutung zukommen? Sie hatte immer die Aufgabe aufzunehmen, was aus der Exgese und der kirchengeschichtlichen Forschung kam, um die Ergebnisse zu einer Gesamtschau zu verbinden. Dabei werden Dogmatik und Ethik auch berücksichtigen, was in der Religions- und Missionswissenschaft erarbeitet wird, dergleichen in der Praktischen Theologie und den ihr verwandten Wissenschaften. Wo Menschen erneut nach dem Grund und dem Ziel ihres Tuns fragen, hat gerade der Systematiker Gelegenheit, über alle Spezialfragen seines Fachbereiches hinaus eine Antwort zu suchen. Daß dies nur geschehen kann in einem ständigen intensiven Austausch mit den Gelehrten der anderen Fachbereiche, ist heute gewiß nachdrücklich zu unterstreichen.

Leer4. Besonders bewegen muß es uns, daß es heute Studenten der Theologie gibt, die angesichts des Pluralismus (nicht nur der Pluralität) in der Theologie sich entschieden denen zuwenden, die eine klare gefestigte Lehre anbieten oder anzubieten scheinen. Es muß nachdenklich stimmen, wenn in Basel und anderwärts eine theologische Ausbildung angeboten wird, die von einem weniger differenzierten biblischen Fundament ausgeht und verbunden wird mit Erfahrungen in Gemeinschaften mit einem geprägten geistlichen Leben. Woran liegt es, daß junge Menschen sich abwenden von dem Ideal einer wissenschaftlichen Theologie? Hängt das nicht zusammen mit einem Mangel an geistlicher Wirklichkeit im normalen Hochschulstudium?

LeerOffenbar beweist die große Bewegung des Pietismus in ihren verschiedenen Strömungen hier eine Kraft, die sich bis heute und nun wieder neu auswirkt. Es steht uns nicht gut an, wenn wir diese Tatsache hochmütig verachten wollten. Statt dessen sollten wir uns fragen, ob nicht andere, uns nahe stehende geistliche Gemeinschaften berufen sein könnten, junge Theologen und angehende Pfarrer in ein Leben einzuführen, das ihnen Mut machen kann zu einem Dienst in den Gemeinden. Ungezählte junge Menschen finden in Taizé eine geistliche Heimat, einzelne auch in anderen Kommunitäten. Die Michaelsbruderschaft ist keine Kommunität. Aber auch sie prägt geistliches Leben in ihrer Weise aus. Was unternehmen wir seitens der Bruderschaften und Kommunitäten, um junge Theologen in ein geistliches Leben einzuführen, in dem man nachdenken und kritisch fragen darf und soll, das sich aber darin nicht erschöpft, sondern das Nachdenken und Fragen im Kontakt erhält mit der Wirklichkeit geistlichen Lebens? Dieser Frage, meine ich, müssen wir uns stellen.

Quatember 1973, S. 60-62

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-01
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