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Verständigung über Luther
Gemeinsame römisch-katholische / evangelisch-lutherische Kommission

LeerVom „14. Kirchberger” und vom „4. Berneuchener Gespräch” in Kloster Kirchberg wird in diesem Heft berichtet. Den Lesern unserer Zeitschrift ist es geläufig, daß seit langem solche Gespräche im Auftrag der Evangelischen Michaelsbruderschaft und des Berneuchener Dienstes stattfinden. Weniger bekannt ist es, daß sich immer häufiger offizielle kirchliche Gremien das Berneuchener Haus als Tagungsort wählen. Der Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen hat sich bereits zur Zeit von Kardinal Jäger in Kirchberg getroffen. Der russisch-orthodoxe Metropolit Nikodim, der in den Armen von Papst Johannes Paul I. sterben sollte, ist in Kirchberg gewesen. Das 7. Studienheft des Kirchlichen Außenamtes der EKD, Witten 1972, berichtet fiber die damalige Theologische Diskussion mit den Theologen des Moskauer Patriarchats: „Der auferstandene Christus und das Heil der Welt. Das Kirchberger Gespräch über die Bedeutung der Auferstehung für das Heil der Welt.” Im Berneuchener Haus wurde auch die „ Verstandigung über Luther” der Gemeinsamen römisch-katholischen / evangelisch-lutherischen Kommission beschlossen. Leider ist dieses wichtige Dökument wenig beachtet worden. Wir geben darum hier einige Abschnitte unseren Lesern zur Kenntnis. Der vollständige Text ist wie auch in manchen anderen Zeitschriften in Heft 8, S. 382ff. / 1983 der Herder-Korrespondenz abgedruckt.

LeerEs wäre interessant zu erfahren: Wer ist durch örtliche oder regionale Kirchenblätter oder auch durch mündliche Information von Pfarrern aufdie „ Verständigung über Luther” hingewiesen worden? Antworten bitte an die Redaktion!


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I. Vom Streit zur Versöhnung
1. In diesem Jahr erinnern sich unsere Kirchen des 500. Geburtstages Martin Luthers. Weder die evangelische noch die katholische Christenheit kann an der Gestalt und der Botschaft dieses Menschen vorbeigehen. An der Schwelle zur Neuzeit hat Luther die Entwicklung der Kirchen-, Sozial- und Geistesgeschichte bis heute entscheidend mitbestimmt.
2. Während Jahrhunderten wurde Luther auf entgegengesetzte Weise beurteilt. Fur Katholiken war er lange Zeit der Inbegriff des Häretikers. Es wurde ihm vorgeworfen, die eigentliche Ursache der abendländischen Kirchenspaltung zu sein. Auf evangelischer Seite begann schon im 16. Jahrhundert die Glorifizierung Luthers als Glaubensheld, zu der nicht selten eine nationale Heroisierung hinzukam. Vor allem aber wurde Luther häufig als Stifter einer neuen Kirche verstanden.
3. Mit der jeweiligen Beurteilung Luthers war auch das Urteil über die andere Kir che verbunden. Man bezichtigte sich gegenseitig des Abfalles vom rechten Glauben und der wahren Kirche.
4. Im Raum der reformatorischen Kirchen und Theologie wurde seit dem Beginn unseres Jahrhunderts Luther neu erschlossen. Bald danach beginnt auch katholischerseits eine sich intensivierende Beschäftigung mit der Person und dem Werk Luthers. Sie hat beachtliche wissenschaftliche Beiträge zur Reformations- und Lutherforschung erbracht und in Verbindung mit der wachsenden ökumenischen Verständigung einer positiven katholischen Schau Luthers den Weg bereitet. Überkommene, von Polemik geprägte Lutherbilder treten so auf beiden Seiten zurück. Man beginnt, ihn gemeinsam als Zeugen des Evangeliums, Lehrer im Glauben und Rufer zur geistlichen Erneuerung zu würdigen.
5. Zu dieser neuen Sicht hat die 450. Jahresfeier der Confessio August ana (1980) wesentlich beigetragen. Dieses Bekenntnis ist ohne Luthers Person und Theologie nicht denkbar. Die Einsicht, daß die Confessio Augustana „eine Übereinstimmung in zentralen Glaubenswahrheiten” zwischen Katholiken und Lutheranern widerspiegelt (Papst Johannes Paul II., 1980; Exekutivkomitee des Lutherischen Weltbundes, 1981), hilft, auch wesentliche Einsichten Luthers gemeinsam zu bejahen.
6. Luthers Ruf zur Reform der Kirche, der ein Ruf zur Buße war, ergeht weiter an uns. Er fordert uns auf, das Evangelium neu zu hören, die eigene Untreue gegenüber dem Evangelium zu erkennen und es glaubwürdig zu bezeugen. Das kann heute nicht geschehen, ohne auf die andere Kirche und ihr Zeugnis zu achten, Versöhnung mit ihr zu suchen und überkommene Feindbilder aufzugeben.

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II. Zeuge des Evangeliums
7. In seiner Kritik an verschiedenen Aspekten der theologischen Tradition und des kirchlichen Lebens seiner Zeit verstand Luther sich als Zeuge des Evangeliums: als „unseres Herrn Jesu Christi unwürdiger Evangelist”. Er berief sich auf das apostolische Schriftzeugnis, zu dessen Auslegung und Verkündigung er als „Doktor der Heiligen Schrift” verpflichtet war. Bewußt stand er auf dem Boden des altkirchlichen Bekenntnisses zum Dreieinigen Gott und zu Christi Person und Werk und sah in diesem Bekenntnis einen verbindlichen Ausdruck der biblischen Botschaft. Bei seinem reformatorischen Ringen, das ihm äußere Anfeindung und innere Anfechtung brachte, fand er Gewißheit und Trost darin, daß er von der Kirche zu Studium und Lehre der Heiligen Schrift berufen war. In dieser Überzeugung fühlte er sich vom Herrn der Kirche selbst getragen.
8. Im Bewußtsein seiner Verantwortung als Lehrer und Seelsorger und zugleich in der Situation persönlich erfahrener Glaubensanfechtung führte die intensive Beschäftigung mit der Heiligen Schrift zu einer Wiederentdeckung der Barmherzigkeit Gottes inmitten der Ängste und Ungewißheit seiner Zeit. Diese „reformatorische Entdeckung” bestand nach Luthers Selbstzeugnis darin, daß er die Gerechtigkeit Gottes im Lichte von Röm. 1,17 als schenkende Gerechtigkeit erkannte, nicht als die fordernde Gerechtigkeit, die den Sünder verurteilt. „Der Gerechte lebt aus dem Glauben”: er lebt aus der Barmherzigkeit, die Gott durch Christus schenkt. In dieser Entdeckung, die er beim Kirchenvater Augustin bestätigt fand, erschloß sich ihm die Botschaft der Heiligen Schrift als frohe Botschaft, als „Evangelium”. Es öffnete sich für ihn, wie er sagte, „die Tür zum Paradies”.

Vermächtnis und Auftrag
26. Es ist uns heute möglich, gemeinsam von Luther zu lernen. „Er mag uns darin gemeinsamer Lehrer sein, daß Gott stets Gott bleiben muß und daß unsere wichtigste menschliche Antwort absolutes Vertrauen und die Anbetung Gottes zu bleiben hat” (Johannes Kardinal Willebrands).
  • Als Theologe, Prediger, Seelsorger, Liederdichter und Beter hat Luther in ungewöhnlicher geistlicher Konzentration die biblische Botschaft von Gottes schenkender und befreiender Gerechtigkeit neu bezeugt und zum Leuchten gebracht.
  • Luther verweist uns auf die Priorität des Wortes Gottes im Leben, Lehren und Dienen der Kirche.
  • Er ruft uns zu einem Glauben, der unbedingtes Vertrauen zu dem Gott ist, der im Leben, Sterben und Auferstehen seines Sohnes sich als der uns gnädige Gott erwiesen hat.
  • Er lehrt uns, die Gnade als personhafte Beziehung Gottes zum Menschen zu verstehen, die an keine Bedingung geknüpft ist und freimacht vor Gott und für den Dienst am Nächsten.
  • Er bezeugt uns, daß menschliches Leben allein durch Gottes Vergebung Grund und Hoffnung erhält.
  • Er ruft die Kirche dazu auf, sich ständig vom Wort Gottes erneuern zu lassen.
  • Er lehrt uns, daß die Einheit im Notwendigen Verschiedenheiten der Gebräuche, der Ordnungen und der Theologie erlaubt.
  • Er zeigt uns als Theologe, wie die Erkenntnis der Barmherzigkeit Gottes sich nur dem Betenden und Meditierenden erschließt, den der Heilige Geist von der Wahrheit des Evangeliums überzeugt und
  • gegen alle Anfechtungen - in dieser Wahrheit erhält und stärkt.
  • Er mahnt uns, daß es Versöhnung und christliche Gemeinschaft nur dort geben kann, wo man dem „Maßstab des Glaubens” wie dem „Maßstab derLiebe”folgt, „die nur das Beste von jedem denkt und nicht argwöhnisch ist, alles Gute vom Nächsten glaubt und . . . jeden Getauften einen Heiligen nennt” (Luther).
27. Vertrauen und anbetende Demut vor dem Geheimnis der Barmherzigkeit Gottes sprechen aus Luthers letztem Bekenntnis, das als sein geistliches und theologisches Vermächtnis Wegweisung auch für unser gemeinsames Suchen nach der einenden Wahrheit sein kann: „Wir sind Bettler. Das ist wahr.”

Kloster Kirchberg (Württemberg),
6. Mai 1983.
Hans L. Martensen
Bischof von Kopenhagen, DK
George A. Lindbeck
Professor der Yale-Universität,
New Haven, USA
Gemeinsame Vorsitzende

Quatember 1984, S. 174-176

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-08
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