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„Durch Ihn ist alles geschaffen”
von Reinhard Mumm

LeerUnter dieser Überschrift hatte das Ökumenische Institut der Abtei Niederaltaich für eine Sommer-Woche zu einer ökumenischen Einkehrzeit eingeladen. Der Untertitel lautete anspruchsvoll „Kosmos im Logos - Logos im Kosmos”. Im stillen fragte ich mich: Wer meldet sich zu einer Tagung mit einem konzentrierten theologischen Programm an? Zu meiner Überraschung fanden sich 175 Teilnehmer ein, unter ihnen die Leiterin des Berneuchener Dienstes, Frau Marga Sperling.

LeerP. Dr. Gerhard Voss OSB leitete die große Schar und trug selber vor über den Prolog des Johannes-Evangeliums und die Geschichte der Astrologie im Raum biblischer Erfahrung. Weiter wirkten mit die Patres Emmanuel Jungclaussen und Irenäus Totzke, ersterer mit einem Vortrag über „Naturbetrachtung als Christusbegegnung”; Archimandrit Irenäus sprach über „Die Heimat des Logos im Kosmos nach dem hl. Athanasios dem Großen.” An einem Abend führte Barbara Bienczyk mit Hilfe von Lichtbildern ein in die kosmischen Visionen der hl. Hildegard von Bingen. Mir fiel die Aufgabe zu, über „Kosmos und Logos nach dem Kolosserbrief” zu sprechen.

LeerDie Vorträge wurden begleitet von Meditationsübungen über das Hohepriesterliche Gebet und das Jesus-Gebet. Außerdem gab es Betrachtungen zur Christus-Ikone und einen Kurs zum „Ikoneschreiben”. Die Gottesdienste hatten ihr eigenes Gewicht. Wer Niederaltaich kennt, weiß, wie stark die Besucher des Klosters von den byzantinischen Feiern angezogen werden. Die St.-Nikolaus-Kapelle der byzantinischen Dekanie war stets überfüllt. Der Reiz von Niederaltaich liegt in dem Angebot von zwei so verschiedenen Gottesdienst-Traditionen wie der römischen und der byzantinischen im gleichen Kloster. Manche Besucher lassen sich verführen, bald hier, bald dort teilzunehmen. Ein evangelischer Laienchrist sagte mir, so verlockend der byzantinische Ritus auch sei, der vor allem das Gefühl anspricht, würde er auf die Dauer sich doch lieber an den römischen Messen und Stundengebeten beteiligen, die teils in lateinischer, teils in deutscher Sprache vor sich gehen.

LeerBeeindruckt hat es mich, wie viele Menschen verschiedener Berufe und Altersgruppen an dieser Einkehrzeit teilnahmen, unter ihnen zahlreiche evangelische Christen. Gespräche mit Einzelnen bestätigten den Eindruck: Es gibt suchende Menschen in großer Zahl. Wir tun gut daran, in Kirchberg und an anderen Orten geistliche Wochen anzubieten, in denen Menschen mit dem Evangelium vertraut gemacht und zu geistlichen Übungen eingeladen werden. Fur Einzelgespräche sollte Zeit bleiben. Die Unterschiede der Konfessionen sind nicht überholt, aber sie trennen uns nicht mehr so wie einst; im Gegenteil, sie bereichern uns sogar, sofern wir bereit sind, uns gegenseitig zu öffnen und einander teilzugeben an den Schätzen der jeweiligen Tradition.

LeerDas Kloster selbst lud an einem Morgen ein zu einer evangelisch-lutherischen Abendmahlsfeier. Wie zu den Zeiten des geliebten Abtes Emmanuel Maria Heufelder gehört es zum ökumenischen Geist von Niederaltaich, auch dem Glauben der Reformation Raum zu geben im gottesdienstlichen Leben. Diesmal stand uns die Oberkirche von St. Mauritius zur Verfügung, der Raum, in dem sonst römisch-katholische Stundengebete und Meßfeiern gehalten werden, da die Abtei-Kirche derzeit renoviert wird. Wir feierten den Gottesdienst mit Predigt und Eucharistie, sangen evangelische Kirchenlieder; unsere katholischen Freunde waren voll beteiligt. Der dänische Pfarrer Berg aus Lyngby, ein Bruder aus dem Theologischen Oratorium, assistierte als Diakon und Pater Dr. Gerhard Voß als Lektor. Bei der Begrüßung wies ich darauf hin, daß nach evangelischem Verständnis jeder Christ als Kommunikant willkommen sei, wenn er daran glaube, daß Christus gegenwärtig ist bei dieser Feier des Altarsakramentes und er sich im Gewissen bewogen fühlt teilzunehmen. Viele Katholiken traten zum Altar heran; manche unterließen dies aus verständlichen Gründen. Die meisten standen unter dem Eindruck, an einem für jeden vollgültigen Gottesdienst teilgenommen zu haben.

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LeerDie Frage der eucharistischen Gastfreundschaft kann nur behutsam und mit großer Rücksicht beantwortet werden. Es war sehr entgegenkommend, daß wir als evangelische Christen in solcher Offenheit an diesem Ort unseren Gottesdienst halten durften. Von römisch-katholischer Seite wurde niemand von der Kommunion in der katholischen Messe ausgeschlossen, freilich auch niemand eingeladen oder aufmerksam gemacht auf die Möglichkeit einer offenen Kommunion. So entschied sich jeder nach seiner eigenen Einsicht, ob er nur hörend und betend oder auch kommunizierend mitfeierte. Wiederum anders liegen die Verhältnisse in der byzantinischen Liturgie. Orthodoxe Kirchen pflegen in der Regel nur orthodoxe Christen zur Kommunion zuzulassen. Da es sich in Niederaltaich um den byzantinischen Ritus innerhalb der katholischen Kirche handelt, empfingen viele die eucharistische Speise mit dem goldenen Löffelchen, eben die katholischen Christen. Zur Darreichung des Antidoron, des Brotes, das als ein Rest altkirchlicher Liebesmahlfeiern nach dem Gottesdienst ausgeteilt wird, konnte jeder herantreten.

LeerEinige Beobachtungen konnen uns anregen, ähnliches zu beachten: Vor allen Versammlungen wurde zur Stille gemahnt. Die große Schar richtete sich auch danach. Bis in unsere Einkehrzeiten hinein haben wir mit der Unsitte allgemeinen Geschwätzes zu tun. Kehren wir zurück zu den guten Sitten vom Anfang der Berneuchener Bewegung und schweigen wir bei den Versammlungen! Zum Reden ist Zeit in den Pausen.

LeerPsalmen kann man auf verschiedene Weise beten. Man kann sie singen oder sprechen. Das kann im Wechsel zwischen zwei Halbchören oder einer kleinen Schola und der Gemeinschaft geschehen. Es ist auch möglich, daß einer den Psalm verliest und alle ihn beschließen mit dem Lob des Dreieinigen Gottes.

LeerBewegend war die Messe zum Totengedenken. Wir stiegen durch eine Luke hinab zu den Grabkammern. Modergeruch schlug uns entgegen. An den Wänden lasen wir die Namen der Mönche, die mancher gekannt hat, und lateinische Sinnsprüche über ihr Leben. Zur Fürbitte konnte jeder Namen laut nennen, für die wir gemeinsam um Erbarmen riefen.

LeerDer Gedanke, den Menschen als Glied der ganzen Schöpfung zu betrachten und Christus als den Mit-Schopfer und Erlöser nicht nur der Menschen sondern des gesamten Kosmos, durchzog diese Tage auf vielfältige Weise. Die Heilige Schrift kam zu Wort, die nachdenkliche Besinnung und auch das umstrittene Feld astrologischer Erkenntnisse. Wichtig sind in solchen Tagen die Einzelgespräche. Sie machen deutlich, wie unterschiedlich die Voraussetzungen sind, von denen ein jeder herkommt. Manche haben reiche Erfahrungen in ihrem Leben gesammelt und viele Fragen durchdacht. Auf andere stürmt völlig Unbekanntes ein, und sie brauchen Rat. Darum ist neben einer guten Leitung die Gemeinschaft wichtig, in der einer auf den anderen eingeht.

Leer„Durch Ihn ist alles geschaffen”, dieser Satz stammt aus dem Brief an die Kolosser (1, 16), und er ist aufgenommen in das nizänische Glaubensbekenntnis. Dieser kühne Glaube der frühen Christenheit will immer neu aufgenommen sein, wie es im August 1984 im über tausendjährigen Donau-Kloster Niederaltaich geschehen ist. Michaelsbrüder, Mitglieder des Berneuchener Dienstes und andere sind berufen, dazu zu helfen, daß Menschen unserer Zeit mit den großen Zeugnissen des Glaubens an Christus vertraut gemacht werden. Viele suchen und fragen nach der tragenden Wahrheit für ihr Leben. Manche geraten an trübe Quellen. Darum ist unsere Aufgabe groß, die Schätze aufzutun, die uns anvertraut sind, und sie weiter zu reichen an viele.

Quatember, S. 226-228

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-08
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