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Suchbild Christus
von Waldemar Wucher

LeerDieser Bericht, der in das vorige Heft nicht mehr aufgenommen werden konnte, wurde noch vor dem Fünften Berneuchener Gespräch geschrieben, auf das hier am Ende verwiesen wird. Über das Berneuchener Gespräch wurde bereits berichtet. Dennoch bringen wir nun auch noch diesen Bericht über die Arnoldshainer Tagung, nachdem am 10. April Hans-Rudolf Müller-Schwefe, über dessen Vortrag hier referiert wird, verstorben ist. Ein Nachruf für ihn ist unter den „Briefen ” zu finden.

LeerTheologie und kirchliches Handeln in diesem Jahrhundert leiden an einem empfindlichen Mangel an musischer Kraft. Dem Absolutheitsanspruch des wissenschaftlich-technischen Zeitalters konnte sich auch die Kirche bisher nur schwer entziehen. Aufmerksamer Beobachtung entgeht jedoch nicht, daß derzeit eine neue Besinnung anhebt, Anstöße kommen meist von außen, nicht zuletzt von den Künsten. So hat schon seit Beginn des Jahrhunderts auch das Christusbild überraschend neue Züge angenommen, die sowohl mit dem künstlerischen Formenwandel wie mit dem vor allem durch die umstürzenden Ergebnisse der modernen Physik bewirkten verwandelten Weltbild zusammenhängen.

LeerZuwendung zum Musischen, zum Künstlerischen in der Kirche geschieht vorerst meist noch von außen und von unten her. Künstler wenden sich aus eigenem Impuls dem biblischen Thema zu, malen ihr Christusbild. Davon berichten bedeutende Veröffentlichungen wie „Christus in der Kunst des 20. Jahrhunderts” von Günter Rombold und Horst Schwebel und „Dialog mit der Bibel. Malerei und Graphik aus der DDR zu biblischen Themen”. In Kirchgemeinden mehren sich Ausstellungen eigenständiger Künstlerarbeiten auch zu biblischen Themen. Schon verdichten sich einzelne Ansätze zu übergreifenden Versuchen am Rande der Kirchen, etwa zu den großen Ausstellungen beim Berliner Katholikentag 1980 (vgl. Quatember 4/1980) und beim Evangelischen Kirchbautag Nürnberg 1983 und zu überraschend gut aufgegriffenen öffentlichen Preisausschreiben für Künstler und daraus hervorgegangenen Wanderausstellungen durch das EKD-Institut für Kirchenbau und kirchliche Kunst an der Philipps-Universität Marburg („Abendmahl” und „Die andere Eva”).

LeerEreignischarakter, so scheint es, bekam die Ausstellung „Die andere Eva”, als sie am 29. September 1985 in der (weltlichen) Kunsthalle in Darmstadt unter anderem durch den Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau Helmut Spengler mit einem wohlakzentuierten Votum eröffnet wurde, das einerseits den Künstlern das Recht und die Kompetenz zusprach, den traditionellen Bildern der Kirche ihre eigene künstlerische Sicht entgegenzuhalten, andererseits der Kirche die Pflicht auferlegte, ihre traditionsbeschwerten dogmatischen und liturgischen Formulierungen an den Bildern der Künstler auf ihre Gültigkeit im 20. Jahrhundert hin neu zu überprüfen. Denn auch Dogmen-wie Liturgiegeschichte sind eben Geschichte, ein Prozeß, der mit der in langen Zeiträumen sich wandelnden Weltsicht und Grundbefindlichkeit des Menschen aufs engste verbunden ist.

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LeerIn genauem zeitlichen Zusammenhang mit diesem Vorgang behandelte der Arbeitskreis Bildende Kunst der Evangelischen Akademie Arnoldshain in einer dreitägigen Tagung das Thema „Suchbild Christus. Das Christusbild in Literatur und Bildender Kunst der Gegenwart”, in der die neuen Bilder der Künstler reflektierend und meditierend aufgenommen wurden mit dem Versuch einer ersten Deutung und Vermittlung für Theologie und Kirche. Daß das Bild Christi in der modernen Literatur Geschichte macht, wurde ganz deutlich, als Hans-Rudolf Müller-Schwefe seine Analyse der gegenwärtigen schriftstellerischen und dichterischen Versuche und Visionen in ein geschichtliches Gesamtbild einordnete. Er begann mit 1945, jener „Stunde Null”, in der bei Elisabeth Langgässer, Stefan Andres und Graham Green der sakramentale Christus neu entdeckt wird. Doch dann galt es, zu einem neuen Sakramentsverständnis zu kommen, als hautnah deutlich wurde, daß Christus solidarisch ist mit allen, die auf der Schattenseite des Lebens stehen. Es blieb nicht verborgen, daß unsere Welt so völlig durch Wissenschaft und Technik verändert ist. „Bleibt denn Christus dahinter zurück?” Von Reinhold Schneider („Winter in Wien”) über Günter Grass, Marie-Luise Kaschnitz und Heinrich Böll bis zu jenen Schriftstellern, die in den 50er und 60er Jahren auf die Armen der Welt aufmerksam machten, wie Ernesto Cardenal, Dorothee Sölle und Walter Jens, suchte der Referent Motive und Profile der literarischen Christusbilder dieser Zeit nachzuzeichnen. Wer könnte dabei nicht sehen, wie Jesus durch alle Tradition hindurch mitten in unsere Zeit hineingreift und Menschen bewegt!

LeerEs blieb nicht beim Zuhören. In zwei längeren Phasen besprachen und meditierten die Teilnehmer ausgewählte Texte von Marie-Luise Kaschnitz, Ernst Herhaus und Paul Celan. Das literarische Bild wurde gleichsam umrahmt von Werken der Bildenden Kunst. Zu Beginn zeigte Heinz-Ulrich Schmidt, Mitarbeiter des Marburger Instituts, einige ausgewählte Beispiele zur christlichen Bildgeschichte bis 1900 und schloß einen instruktiven Längsschnitt an durch das 20. Jahrhundert mit Schwergewicht auf der Nachkriegszeit. Am Ende der Tagung vertiefte er den Überblick durch die Analyse von drei in ihrer formal-künstlerischen Gestalt und in ihrem geistlichen Gehalt (was untrennbar zusammengehört) ganz verschiedenen Bildern, den großformatigen (je 198 x 152 cm) abstrakten 14 Kreuzwegstationen von Barnett Newman aus den Jahren 1958 bis 1966, den Zeichenhandlungen von Josef Beuys („Fußwaschung” 1971) und dem „Abendmahl” von Harald Duwe (1978).

LeerWas bewegt denn diese Schriftsteller und Künstler? Warum schreiben oder malen sie heute Christusbilder? Darüber berichtete der Direktor des Marburger Instituts Professor Horst Schwebel aus vielen Gesprächen, die er und andere mit den Künstlern selbst geführt haben. Dabei wurde freilich deutlich, daß authentische Aufschlüsse nur aus den Werken selbst zu gewinnen sind. Und gerade dies ist ja das Merkmal des Künstlerischen. Deshalb sollte das Gespräch zwischen Kirche und Kunst gerade in dieser unserer Zeit nicht so sehr auf verbaler Ebene geführt werden. Es gilt vielmehr, sich auf die Werke selbst einzulassen. Das Tagungsgespräch in Arnoldshain war von dieser Zurückhaltung geprägt und gerade darum, auch wo Formulierungen versucht wurden, fruchtbar und voller Anregungen für beide Seiten, wurde es doch insgeheim auch geführt im Hinblick auf das Fünfte Berneuchener Gespräch in Kloster Kirchberg am Ersten Advent, das unter dem Thema „Durch Ihn beten Dich an die Mächte” vom Arbeitskreis für Gegenwartsfragen der Evangelischen Michaelsbruderschaft in Verbindung mit der Evangelischen Akademie Arnoldshain angekündigt worden ist, wobei Einsichten, wie sie in Arnoldshain gewonnen wurden, auch im liturgischen Kontext ihren Platz haben.

Quatember 1986, S. 112-114

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-21
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