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Zwischen Enthusiasmus und Ernüchterung
40 Jahre Ökumenischer Rat der Kirchen

von Hans-Dietrich Paus

Ein Bericht von der Sitzung des Zentralausschusses des ÖRK vom 10. bis 20. August

LeerFaszinierend war es schon, die leidenschaftliche Sehnsucht nach Einheit der Kirchen aus den Worten und Gesten von Emilio Castro, dem Generalsekretär des Ökumenischen Rates, bei seinem Bericht vor dem Zentralausschuß in Hannover herauszuhören. Faszinierend auch, Philip Potter in den Bibelarbeiten zu erleben oder die inzwischen ergrauten Pioniere der Ökumene vom Aufbruch vor 40 Jahren reden zu hören. Aber lag es dann nur an der nüchternen Sachlichkeit der Geschäfts-Sitzungen des Zentralausschusses, der vom 11. bis 20. August 1988 in Hannover tagte, daß nicht nur einer wie ich, der für die Michaelsbruderschaft und für QUATEMBER als offizieller Beobachter teilnahm, den Eindruck hatte, von Aufbruch sei wenig zu spüren?

LeerWer von den deutschen Zuhörern auf den Plätzen hinter den über 300 Delegierten, Beratern, Beobachtern und den Mitarbeitern aus Genf gehofft hatte, einen kräftigen ökumenischen Geist - oder wenigstens sein Wehen - zu spüren, mußte ernüchtert feststellen: Ökumene ist schwere, ja manchmal schwerfällige Angelegenheit. Aber vielleicht war die Erwartung eines kräftigen Aufbruchs ja auch von einer Konferenz, die an Sachfragen bis hin zu Finanzproblemen zu arbeiten hatte, zuviel verlangt.

LeerSoviel wurde mir sehr schnell klar: Von wirklicher Einheit sind wir noch weit entfernt. Jedenfalls von der, die ein gemeinsames Feiern der Eucharistie zuläßt, geschweige denn von einem Beitritt der römischen Kirche zum ÖRK. Darüber täuscht auch nicht hinweg, daß Emilio Castro in seiner liebenswürdigen Art es schon zu einem „positiven Zeichen” ummünzt, daß Rom sich immerhin 12 Monate Zeit genommen habe, mit „einem begrenzten Nein” auf die Einladung zur Zusammenarbeit bei der Vorbereitung des konziliaren Prozesses zu reagieren.

LeerAngesichts der Strukturen des ÖRK würde ein Beitritt der römischen Kirche auch große Probleme hinsichtlich des Delegierten-Schlüssels aufwerfen. Zumal es schon jetzt in den theologischen und politischen Fragen heftige Differenzen mit den orthodoxen Kirchen gibt, die deutlich auch immer wieder in Hannover auftraten, wenn schlichtweg Themen wie Frauen-Quoten umschifft oder schlicht ausgeklammert wurden wie die Frage der Frauenordination, die ja doch angesichts der Ausrufung der Frauendekade ein innerkirchlich brisantes Thema ist. Zwischen den Zeilen war in den Beiträgen, Einwänden, Vertagungswünschen der orthodoxen Delegierten immer wieder die Furcht zu spüren, daß jenseits der theologischen Differenzen eine sozial-ethische Einheit hergestellt werden solle.

LeerSchließlich: offen blieb, welches Modell der Einheit der ökumenischen Bewegung vorschwebt und wie die Strukturen aussehen sollten, käme es tatsächlich zu einem Beitritt Roms. In der Tat, vielleicht kommt man sich bei der Diskussion der Sachfragen und im gemeinsamen Handeln dann auch theologisch näher - oder umgekehrt kommt man aus dem gemeinsamen Gebet und der Feier der Eucharistie zu glaubwürdigem Handeln in der Welt. So im Umgang mit der Schöpfung, der wie es der Vorsitzende des Zentralausschusses, Präsident Heinz-Joachim Held, forderte - wieder als theologisch-christliches Problem ins Auge gefaßt werden muß.

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LeerSolange aber nicht-orthodoxe Ökumeniker in der göttlichen Liturgie von der Kommunion ausgeschlossen sind, brauchen wir wohl doch auch die anderen Zeichen des Handelns, um uns der Einheit in Christus zu vergewissern, also „Solidarität mit den Armen” und „Kampf um Gerechtigkeit und Menschenwürde”, wie Held sie definierte. Daß dabei das „Bemühen um die Gemeinschaft im Gottesdienst” eine zentrale Stelle in der Arbeit des ÖRK innehabe, müsse noch einmal unterstrichen werden.

LeerDeutlich traten somit die Schwierigkeiten zutage, in den drei wichtigen Themenbereichen voranzukommen: Lima-Dokument, konziliarer Prozeß für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung sowie der Ökumenischen Dekade - Kirchen in Solidarität mit Frauen.

Meilenstein in der Ökumene: das Lima-Dokument

LeerDie Lambeth-Konferenz aller anglikanischen Bischöfe hat zwar kürzlich den Text des Lima-Dokuments als einen „höchst bedeutsamen Beitrag zum Ringen um die sichtbare Einheit” bezeichnet, aber es finden sich im Prozeß der Stellungnahmen auch kritische Anmerkungen zu grundsätzlichen Themen wie zum Verhältnis von Heiliger Schrift und Tradition, zur Rolle der Kirche und zum Verständnis von Sakrament und Sakramentalität. Insgesamt war wenig aus dem gegenwärtig laufenden Prozeß zu hören.

LeerIst es die Angst vor weiteren Schritten des Einandernäherkommens, die daran hindert, die Einheit auch in der Eucharistie zu suchen? Wenn Metropolit Paulos Gregorius von der syrisch-orthodoxen Kirche in Indien (übrigens in der Frauenfrage erfrischend positiv) hervorhebt, daß man im Lima-Prozeß die Meinung überwunden habe, Glaube trenne und Dienst eine, dann ist doch sowohl die Furcht vor einendem Handeln (im konziliaren Prozeß) und der Ausschluß von der Kommunion mindestens zu hinterfragen. Der „Meilenstein” wird noch ein schwerer Fels sein, scheint mir.

Höchste Zeit zum Handeln: der konziliare Prozeß

LeerStatt daß zwei Jahre vor der Weltversammlung 1990 in Seoul konkrete Vorschläge für ein gemeinsames Handeln der Kirchen vorgelegt worden wären, drohte die Versammlung fast verschoben zu werden, zumindest aber - auf Antrag des konservativen englischen Erzbischofs Habgood - beinahe auf ein Minimum von 50 Delegierten und damit zur Bedeutungslosigkeit degradiert, beschränkt zu werden. Eine Mehrheit fand sich dann doch noch, der Vorbereitungsgruppe den Auftrag zur Weiterarbeit zu geben.

LeerViel Zeit bleibt nicht mehr, um die noch lange nicht geklärten Fragen zu beantworten: Welche Verpflichtungen sollen die Kirchen eingehen, wie ist der Zusammenhang zur nächsten Vollversammlung, wie werden die Basisgruppen und die „anonymen Aktivitäten” in den Prozeß eingebunden? Zu unterschiedlich ist der Fortgang des konziliaren Prozesses in den verschiedenen Regionen. In den westeuropäischen Kirchen, vor allem in der DDR und der BRD, ist der Prozeß schon in einem fortgeschrittenen Stadium, in anderen Teilen der Welt, vor allem dort, wo Menschen gegen die konkrete Unterdrückung kämpfen, herrscht eine ganz andere Sicht. Nämlich die, „endlich zu handeln”, wie es die Nigerianerin Adebisi Sowumni vehement forderte.

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LeerAber vielleicht war sowenig Enthusiasmus zu spüren, weil es eben nicht die Basis war, die in Hannover zusammenkam, sondern (überwiegend) kirchliche Funktionäre. Ein wenig Hoffnung für den Verlauf der Konvokation gibt der Vorschlag für den Stil (übrigens ein oft benutztes Wort im Zentral-Ausschuß) des Prozesses bei der Versammlung: er soll durch einen liturgischen Rahmen „gesteuert” werden. Vielleicht gelingt es hier, Liturgie, Erfahrungsberichte und Handeln in einer Einheit wirklich zusammenzubringen, ohne in ein formalisiertes Diskussionsritual zu verfallen.

LeerUnd es gelingt, eine liturgische Form dafür zu finden, in der sich „die Kirchen zum Widerstand gegen die Bedrohungen des Lebens in den Bereichen Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung verpflichten”. Diese Verpflichtung, so das Dokument der Vorbereitungsgruppe, könnte im Bundesschluß als einer Konsequenz des Bundes Gottes ihren Ausdruck finden, im solidarischen Handeln an der Seite der Armen und in der Eucharistischen Gemeinschaft in Christus, die zum Miteinanderteilen führt. Es ist höchste Zeit.

Reizthema: ÖRK-Frauendekade

Bezeichnend schien das schon: Das abendliche Frauenforum im ÖRK-Begleitprogramm fand in drangvoller Enge eines zu kleinen Saals statt, ohne die offizielle Simultananlage. Häufig auch war von „Zeitdruck” die Rede, unter dem man die Quotenfrage (40 % der Delegierten der nächsten Vollversammlung sollen Frauen sein) nicht diskutieren könne. Angesichts bedrängender Berichte über die unterdrückenden Strukturen gegenüber Frauen in Südamerika, Asien und Südafrika war es schon bedrückend zu erleben, wie mit formalen Argumenten die Diskussion um die gleichberechtigte Gemeinschaft von Frauen und Männern erstickt wurde, wenn es um Veränderungen patriarchalischer und hierarchischer Strukturen oder schlicht um Stimmenanteile ging.

LeerBedauerlich, daß selbst auf kritisches Nachfragen von Journalisten die Frage der Frauenordination als eine „schwierige Frage” ausgeklammert wurde. Dem Bericht über die ersten Entwicklungen der Frauendekade war abzuspüren, daß überall Frauen in den Kirchen aufbrechen, um die positiven Ergebnisse der UN-Frauendekade endlich auch in die Kirchen einzubringen.

LeerFormuliertes Ziel ist die Erneuerung der menschlichen Gemeinschaft, die Männer und Frauen gleichermaßen einschließt. Das vorgelegte Dokument spitzt die Anfrage an die Kirchen zu: „Wo die Kirche ist, da ist Solidarität mit den Frauen. Wo es keine Solidarität mit Frauen gibt, ist da Kirche?” Da wird deutlich zu benennen sein, wo überall immer noch Ungerechtigkeiten gegenüber den Frauen in den Kirchen bestehen, wo Frauenorganisationen gehindert werden, eine weibliche Theologie und eine neue Sprache für geistliche Erfahrung zu entwickeln. Verlangt werden da die „Entstehung von Gemeinschaften, in denen die Gaben und Erfahrungen von Frauen geachtet werden”, und ein Prozeß struktureller Veränderungen.

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LeerEin Prozeß gewiß, in dem die gelebte Spiritualität der Frauen eingebracht werden muß und als Bereicherung erfahren wird. Aber auch hier war deutlich herauszuhören, daß die orthodoxen Kirchen zwar nichts gegen die Dekade einzuwenden haben, aber viele Ziele eben nicht ihrem Kirchenverständnis entsprechen. Ich bin gespannt, wie sich an dieser Stelle die berechtigten Forderungen der Frauendekade mit der Kirchendiplomatie (meist ja eine männliche Domäne) verbinden lassen. Oder schärfer pointiert: wieweit ökumenisch gesinnte Frauen auf Veränderungen bestehen und dafür auch die Auseinandersetzung (den Kampf) nicht scheuen. Es wird nicht leicht werden.

Neuer Akzent für 1991: Anrufung des Geistes als Leitwert für die Vollversammlung

LeerAm Ende doch noch ein Hauch des Geistes: Thema für die nächste Vollversammlung in Canberra wird die Formulierung „Komm Heiliger Geist - Erneuere die ganze Schöpfung” sein. Erstmals also die Erwähnung des Geistes, in die Form eines Gebets gefaßt, in dem Erwartungen und Hoffnungen ausgedrückt sind. Darin kommt das ausgesprochene Interesse an Spiritualität zum Ausdruck wie auch die „priesterliche Dimension” (Präsident Held) kirchlichen Handelns in der Verantwortung für die Welt.

LeerDer Vorlage des Planungsausschusses und den Diskussionsbeiträgen war abzuspüren, daß die Suche nach liturgischer und geistlicher Erneuerung aufgebrochen ist, die zugleich verbunden ist mit der „Verwandlung des Lebens des einzelnen und der Gesellschaft”. Ich meine, dies muß der Weg geistlicher Weltverantwortung sein, an dem besonders auch die geistlichen Gemeinschaften gefordert sind. Die offiziellen „Organe” des ÖRK wie der Zentralausschuß und andere Gremien sind da sichtlich schwerfälliger als beispielsweise eine gelebte Ökumene wie beim „Ökumenischen Dialog” zum konziliaren Weg in Assisi, der zur selben Zeit wie die Tagung des Zentralausschusses stattfand. An anderer Stelle in diesem Heft wird darüber berichtet.

LeerDie Frage, warum die Christen aus den europäischen Kirchen der Reformation die paulinischen Aussagen über das Wirken des Heiligen Geistes nicht intensiver aufgenommen haben, warf der Dresdener Bischof Johannes Hempel in seiner Predigt im Schlußgottesdienst auf. Es sei nötig, nach einem neuen Geist zu fragen, damit wir uns „für das Leben einsetzen, für das eigene, das Leben der Gemeinschaft”, forderte Hempel, einer der Präsidenten des ÖRK. Damit war am Ende noch einmal die Richtung angegeben, in die der Ökumenische Rat und alle ihm angehörenden Kirchen sich führen lassen sollten: Daß der Geist sie vorwärts treibe auf dem Weg für eine bessere Welt. Dabei wird es sicherlich riskante und schwierige Wege geben, auf die Gott uns zur Umkehr führt. „Uns kann nur noch retten, was eigentlich nicht geht”, fügte Hempel hinzu. Das müssen wir wohl heute sagen, im Namen des Geistes Gottes.

Quatember 1988, S. 222-225

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-12
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