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Michaelsfest in Marburg
von Claus Kemper

LeerZum Michaelsfest 1991 vom 29. September bis 2. Oktober 1991 in Marburg versammelten sich 85 Michaelsbrüder, die Konvente Nordhessen und Hannover und Vertreter aus fast allen übrigen Konventen, in der Stadt, in der vor sechzig Jahren die Evangelische Michaelsbruderschaft gestiftet worden war.

LeerEin öffentliches Konzert des Marburger Bachchores in der Universitätskirche bildete am Sonntagabend gleichzeitig den Beginn des Festes. Wir hörten Werke von Jan Dismas Zelenka, einem aus Böhmen stammenden Komponisten um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert, der als Kapellmeister der Dresdener Hofkapelle gewirkt hat, ferner von Palestrina, von Johann Christoph Bach und Johann Sebastian Bach.

LeerAm Montag begann der Tag der Rechenschaft mit der Gedächtnismesse, ebenfalls in der Universitätskirche. Danach versammelten wir uns im «Kemer» (vom lateinischen «camarium», Beinhaus) neben der lutherischen Pfarrkirche St. Marien zum Rechenschaftskonvent. Pfarrer Friedrich Dickmann erklärte uns die Geschichte des Gebäudes. Es wurde nach einem die Stadt verheerenden Brand im 14. Jahrhundert vom Rat der Stadt zusammen mit dem Deutschen Orden zum gemeinsamen Gebrauch beider gebaut, wie überhaupt der Deutsche Orden maßgeblich an den Geschicken Marburgs mitgewirkt hat. Heute dient das Haus als Gemeindehaus von St. Marien, und die Gemeinde stellte uns den Versammlungsraum zur Verfügung.

LeerNach der Begrüßung durch den mit diesem Fest auch sich verabschiedenden Konventsältesten von Nordhessen, Pfarrer Dickmann, sprach der Vikar der Bruderschaft, Johannes-Friedrich Moes, zum Thema «Sechzig Jahre Michaelsbruderschaft». Ein 60. Geburtstag sei Anlaß zu Dank und Selbstprüfung. So führte Pfarrer Moes uns in einem «Rückblick» durch diese sechzig Jahre. Wie bei jeder Gemeinschaft von Menschen gab es kreative Phasen, kritische Phasen, neuen Aufgaben mußte man sich stellen, und manches Begonnene konnte nicht weiter oder zu Ende geführt werden. Gleiches gilt für die «Standortbestimmung» und daraus sich ergebende Aufgaben. Hier sei aber auf zwei Grundlagen aller Arbeit der Bruderschaft hingewiesen, die Moes immer wieder betonte: einmal die Bindung an das kirchliche Amt und folglich die Ablehnung, durch Schaffung eigener Ämter neben der Kirche zu existieren, zweitens die von Anfang an vorhandene, aber nun nicht mehr wegzudenkende ökumenische Dimension bruderschaftlichen Lebens.


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LeerDie lebendige Aussprache im Gesamtkonvent am Nachmittag konzentrierte sich erfreulicherweise vorwiegend auf den zweiten Teil des Vortrags, den Ausblick. Es gab Beiträge zum Verhältnis Ost/West in Deutschland, in unseren Kirchen und in der Bruderschaft selbst. Angesprochen wurden der interreligiöse Dialog, die mit der Gemeinschaft St. Michael als die einzelnen Konvente übergreifende Gemeinschaft von Frauen und Männern gestellten Fragen, der Stand der Arbeit am Tagzeitenbuch u.v.a. Zwei Erkenntnisse schälten sich dabei heraus, einmal, den Weg zu Christus für Menschen freizumachen, zum anderen der Grundcharakter aller unserer Arbeit als Stückwerk: «Wir brauchen einander, denn wir sind 'Stückwerker'». Am Abend versammelten wir uns in der Universitätskirche zur alle sehr bewegenden Beichtfeier.

LeerDer Festtag am Dienstag hatte drei Höhepunkte: den Festvortrag von Professor Dr. Dietrich Stollberg (Marburg) über «Evangelische Spirtualität heute», die Michaelismesse mit Gesängen und liturgischen Bräuchen der byzantinischen Liturgie und die Agapefeier. Prof. Stollberg lehrt Praktische Theologie in Marburg. Ausgehend von den beiden Thesen, daß Spiritualität nichts spezifisch Evangelisches sei, sonderen daß mit der Kennzeichnung «evangelisch» ein bestimmtes konfessionelles Proprium hinzutrete, ferner, daß unter Spiritualität eine Geisteshaltung zu verstehen sei, die Frömmigkeit im Sinne von anbetender Frömmigkeit und ethisches Verhalten einschließe, führte er uns durch die Geschichte von der apokalyptisch bestimmten Spiritualität der Antike bis zur durchaus diesseitigen Frömmigkeit des Pietismus, der protestantisch-biederen Familienfrömmigkeit aus der Aufklärung und dem 19. Jahrhundert und den verschiedenen zeitgenössischen Frömmigkeitstypen in Kommunitäten, auf dem Kirchentag und im Wiedererstehen eucharistischer Frörnmigkeit. Leider bestand dann nicht mehr die Möglichkeit zu einer Aussprache über Thema und Vortrag.

LeerBei der Michaelismesse, die öffentlich gefeiert wurde, wirkten die Schola und der Ministrantenjugendkreis der Universitätskirchengemeinde mit. Es war eine willkommene Gelegenheit, nach den vielfältigen intellektuellen Eindrücken des Vor- und Nachmittags zur inneren Ruhe zu gelangen. Wer freilich Göttliche Liturgien in Rußland oder Griechenland miterlebt hat, fühlte sich doch durch das Gebundensein an einen festen Sitzplatz im Gegensatz zur Bewegtheit der Gemeinde in den genannten Ländern etwas eingeengt. Das soll aber den Dank an alle, die den Gottesdienst mitgestalteten, nicht mindern! Im Fürstensaal des Marburger Landgrafenschlosses versammelten wir uns dann zur Agapefeier. Sie war nun wirklich ein Höhepunkt und Hochgenuß eigener Art. Dazu trugen die drei kurzen und launig gehaltenen, aber dennoch inhaltlich ernsten Ansprachen bei, in denen Pfarrer Dickmann uns über «das lobwürdige Land der Hessen», den «Fürstensaal als Schmelztiegel europäischer Geschichte» und «was die Reformatoren auf dem Marburger Schloß erlebten» erzählte. Ein großes Erlebnis waren die musikalischen Beiträge des Saltarello-Ensembles Marburg, alte Musik auf alten Instrumenten. Der harmonische Zusammenklang von Inhalt der Ansprachen, Musik und architektonischem Rahmen war außerordentlich.

Quatember 1991, S. 241-242

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-08-16
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