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Gottesdienst mit Herzen, Mund und Händen
von Karl-Heinz Hohmann

Tage gemeinsamen Lebens und theologischer Arbeit
4.-7. Februar 1993 im »Haus der Stille« in Bethel

LeerEs war bereits das vierte Mal, daß fünf Brüder aus den Konventen Rheinland und Westfalen mit Unterstützung von Brüdern und Schwestern aus dem Konvent der Jungbruderschaft und des Berneuchener Dienstes zu »Tagen gemeinsamen Lebens und theologischer Arbeit« ins »Haus der Stille« nach Bethel einluden. Diese Tage standen unter der Überschrift »Gottesdienst mit Herzen, Mund und Händen«, sie sollten der Begegnung und dem gemeinsamen Gespräch gewidmet sein. Das Echo auf die Veranstaltungen der letzten Jahre bestärkte uns Brüder im Mitarbeiterkreis, die Vorbereitungsarbeit für die diesjährige Tagung wieder auf uns zu nehmen und unsere Zeit den jungen Theologiestudierenden wenigstens für diese Tage zu widmen.

LeerErstmals hatten wir einen Gastreferenten eingeladen, um mit ihm neue Erfahrungen mit dem gesprochenen und dem gesungenen Wort Gottes zu machen - Professor Dr. Godehard Joppich, einen Freund der Bruderschaft und einen kompetenter Berater bei der Neufassung unseres Tagzeitenbuches. 24 Studierende folgten der durch die Landeskirchenämter in Bielefeld und Düsseldorf verschickten Einladung, unsererseits waren sieben Brüder und Schwestern als Mitarbeiter gekommen, dazu Professor Godehard Joppich. Da der äußere Rahmen im »Haus der Stille« stimmt, gab es keine Schwierigkeiten, sich schnell einzuleben.

LeerWelche Gründe veranlaßten die Studentinnen und Studenten zur Teilnahme? Ich lasse dieses Mal die Gäste von ihren Eindrücken berichten und mit ihrer Kritik sprechen, um auf diese Weise ein lebendiges Echo weiterzugeben. Es waren einmal die Neugierde und das damit verbundene Interesse, vage Informationen oder Kenntnisse über die Evangelische Michaelsbruderschaft zu vertiefen, dazu kam der Wunsch nach Ruhe und Besinnung, das Interesse an Liturgie, Ordnung des Tages durch Gebet und besondere Formen der Spiritualität. Immer wieder kam das Verlangen durch, bei diesen Tagen etwas zu finden, was im Studium fehlt.

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Leer»Die Auseinandersetzung mit der Spiritualität fiel m.E. auf den Boden einer unbekannten, von daher unbelasteten religiösen Form«, schrieb eine Teilnehmerin. »Hervorhebenswert scheint mir die Einheitlichkeit, mit der die Teilnehmenden das Feld der Religiosität erkundeten: Körper, Geist und Seele wurden angesprochen, Vorträge, Gebete, meditative/liturgische Übungen in gleichmäßigem Wechsel ließen keine Einseitigkeit zu wie z.B. Verkopfung, Frömmelei oder eine Häufung entleerter Gesten. Diese den ganzen Menschen angehende Einheitlichkeit war für mich besonders wichtig.«

LeerDas Thema »Gottesdienst mit Herzen, Mund und Händen« entfaltete sich zunächst am gesprochenen und gesungenen Wort. Der Vortrag von Godehard Joppich über die Neumen (wie die Buchstaben-Notenschrift vom 9.-12. Jahrhundert bezeichnet wird), also über Ursprung, Geschichte und Entwicklungen des Psalmodierens und das praktische Üben und Singen in der speziellen und persönlichen Art von G. Joppich begannen bereits nach der Vorstellungsrunde und nahmen uns dann mit wenigen Unterbrechungen der Stundengebete bis zum frühen Abend des ersten Tages voll gefangen. »Dieser ‘Kompakt-Tag’ hatte eine gewaltige Faszination, und ich erinnere mich, daß ich gerade noch beten konnte. Die Aufzeichnungen des Vortrages von Godehard Joppich, die ich wie wertvolle ‘Beutestücke’ hüte, lassen mich auch beim dritten und vierten Hören immer noch wieder weitere Dinge und Zusammenhänge begreifen lernen.«

LeerUnser Anliegen ist wohl verstanden worden, wenn ich eine andere Äußerung zitiere: »Ich denke an die Teilnahme an den Stundengebeten, an unser ‘Singen’. Nicht die Vielzahl der Strophen und Lieder macht dies Gefühl des gemeinsamen Tuns, des Getragenseins aus, sondern das Singen, was das Wort, den Begriff, die Buchstaben heißen sollen.« -»Meine Einstellung zu den Stundengebeten ist durch den Vortrag (von G. Joppich) verändert worden. Ich habe sie noch viel intensiver als Möglichkeit der Stille und Meditation erfahren als vorher. Durch sie wurden die Tage hervorragend strukturiert. Sie boten in dem enggesteckten Programm kleine Inseln der Stille und des Innehaltens.« Die Tischmesse mit der anschließenden Agape beschloß den ersten »Kompakt-Tag«; hierzu wurde der Wunsch geäußert, daß nächstens mehr Vorbereitung möglich sein sollte, eventuell durch Ankündigung des Textes oder eine andere Hinführung durch den vorbereitenden Liturgen.

LeerAm folgenden Vormittag wurde das Thema des Tages in einem intensiven Gespräch mit Bruder Alexander Völker von einer ganz anderen Seite betrachtet: Wo liegen die Gründe dafür, daß der Gottesdienst in unserer Kirche einen so schlechten Ruf hat, nicht angenommen wird und die Gemeindeglieder so spärlich zum Gottesdienst kommen? Es ergab sich eine äußerst lebhaft Diskussion, aus der ich einige Stichworte zitiere: hohe Erwartung, Unverständnis der Sprache, abgestorbene Rituale, immer weniger Verbindlichkeit, unser Alltag kommt nicht mehr zur Sprache.

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LeerDann als zentrale Fragen: ob Gott in unserem Leben und unserer Gesellschaft vorkommt; ob es Sinn hat, Gott zu erfahren; wie können wir Formen finden, die das ausdrücken, was wir meinen? Gefragt ist die Echtheit, mit der gefeiert wird. Eine Teilnehmerin schrieb dazu, daß sie die relativ wenigen Erfahrungen mit Gottesdienst und Kirche als das, was protestantisch ist und sein soll, nicht besonders angesprochen und befriedigt hätten. »Dagegen in Bethel die Erfahrung des Gottesdienstes mit Herz, Mund und Händen als ein regelrechtes Aha-Erlebnis und erstmalig die Erfahrung von Kirche als Glaubensgemeinschaft, als das, was sie doch ihrer ursprünglichen Bedeutung nach sein sollte und nicht nur als eine Institution.«

LeerAuch die Meditationsübungen mit Bruder Kurt Abel mit dem Hinführen zur Ausgeglichenheit von Körper und Geist fanden bereitwillige Aufnahme und Antwort als ein anderer Aspekt der Tage. Vielen Studierenden waren die Meditationen und liturgischen Übungen wichtig. »Wie sehr doch der Körper am Beten beteiligt ist, und wie vernachlässigt die einfachsten Körperhaltungen wie Stehen und Sitzen sind, das ist mir (da) deutlich geworden. Wie fatal die Trennung von Innerlichkeit und Körper ist, hat Karl Bernhard Ritter ja schon in der Einführung zur ‘Eucharistischen Feier’ beschrieben. Dieses wurde bei den Übungen erlebbar. Außerdem habe ich in der Meditation eine wunderbare Quelle der Ruhe und Kraft gefunden.«

LeerEine Abwechslung brachte der - verhältnismäßig kurze -Ausstellungsbesuch in der Bielefelder Kunsthalle, er führte in die Welt des Expressionismus an Beispielen von Menschen-Darstellungen. »O Mensch! Das Bildnis des Expressionismus«; es ging um das Menschenbild, um Bildmenschen, Bildsprache, Spruchbild, Sehen, Erkennen, Verstehen. Nie Gesehenes sichtbar machen. Die wenigen Beispiele, die wir erläutert bekamen, machen das Anliegen deutlich.

LeerEine wesentliche Bedeutung dieser Tage liegt in den persönlichen Begegnungen und Gesprächen zwischen den »Terminen« und vor allem abends im Kaminzimmer. Hier werden die Themen des Tages noch einmal reflektiert, und hier wird Persönliches dargestellt, gefragt, beantwortet. Hier entfaltete sich das Thema »Bruderschaft und Kirche«. Zu den Begegnungen mit den Brüdern und Schwestern schreibt eine Teilnehmerin: »Einen tollen Eindruck haben Ihre Mitbrüder und -Schwestern mir gemacht. Die unterschiedlichen Charaktere verhinderten monotone Schienen, auf die am Anfang solcher Rüstzeiten oft gesetzt wird und die dann befahren werden, als könnte es gar nicht anders sein. Jedenfalls wurden wir mit einer Vielfalt von Ansprechpartnern und -Partnerinnen konfrontiert. Da nicht mit jedem gleich gut auskommen ist, ergab sich dies in Gesprächen mit Teilnehmenden durchaus als Vorteil.«

LeerVieles von dem Gehörten und Erfahrenen wurde am Sonntagmorgen im Gottesdienst deutlich, der mit Bruder Völker als Liturg und Bruder Abel als Prediger in der Ordnung der Evangelischen Messe gefeiert wurde. »Eine aussagekräftige Predigt und eine in sich abgerundete und geschlossene Liturgie machten diesen Gottesdienst zu einer Feier, und nicht zu einer ‘abgehaltenen Amtshandlung’«, das ist die rückblickende Meinung eines Teilnehmers.

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LeerDas Schlußgespräch ergab wie immer eine Rückschau mit konstruktiver Kritik und Anregungen für unsere weiteren Planungen. Einige Zitate aus uns später zugegangenen Briefen mögen das Schlußgespräch und die Diskussion widerspiegeln: »Ich lief die ganze Zeit auf Hochtouren, wollte weder etwas vergessen noch versäumen. Das Wochenende war vollgestopft mit ständig neuen Terminen, jeder auf einer anderen Frequenz des Themas.«

Leer»Ich wünsche mir wieder soviel Gelegenheit zum Ganzsein und Echt-sein-Dürfen und merke mir gerne den Termin fürs nächste Jahr vor« - »Aus Erfahrung wußte ich, daß diese Tage sehr dicht sein würden, und habe mir entsprechende ‘Kapazitäten’ zur ‘Aufnahme’ frei gemacht. ... Aus meinen Aufzeichnungen dieser Tage ist (bei aller Begeisterung) auch die Erschöpfung abzulesen, und es gab verschiedene Einzelgespräche, wo auch das Moment des ‘Zu-Viel’ laut geworden war. Neben dem Auftanken kam auch die Anstrengung heraus, der große Spannungsbogen, die hohe Erwartung.«

Leer»Die Zeit im ‘Haus der Stille’ ist wirklich über die oft so mechanische Theologie hinausgegangen und hat Bereiche angesprochen, die leider (im Studium) vernachlässigt werden, aber dringend dazugehören. Ein Anstoß, der durchdringt und betroffen macht.« - »Meine Erfahrungen von Bethel möchte ich zusammenfassen und das besonders unter dem Aspekt, sie (die Erfahrungen) in meiner Welt, in meinem Glauben, in meinem Christsein, in unserer Landeskirche zusammen mit anderen ebensolchen machen zu können und dafür nicht andere Glaubensgemeinschaften, ferne Länder und Kulturen aufsuchen zu müssen.« - »Es war die staunende Erfahrung, daß es einen Raum gab, in dem so etwas wie geistliche Impulse frei werden konnten - und zwar so, daß es deutlich nicht nur aus der eigenen Erkenntnis und dem anstudierten Wissen, sondern daß anderer Mut und Worte plötzlich da waren.«

LeerAus dem Ablauf und dem Echo einer jeden Tagung zieht der verantwortliche »Planer« Konsequenzen, um vermeidbare Fehler und Schwächen nicht zu wiederholen. Ort, Thema, Zeitpunkt und die Zusammensetzung des Mitarbeiterkreises haben sich seit Jahren als richtig erwiesen; sicherlich wird sich immer nur ein relativ kleiner Kreis von Studierenden unserer beiden Landeskirchen von solchen Begegnungstagen angesprochen fühlen; aber das Echo auf die diesjährige Tagung, das wir bewußt mit einigen Briefzitaten eingefangen haben, und die freundliche Unterstützung der rheinischen und der westfälischen Landeskirche bestätigen die Richtigkeit des eingeschlagenen Weges und rechtfertigen den Einsatz und die Arbeit. Es sollte für die Evangelische Michaelsbruderschaft als Veranstalter eine Verpflichtung sein, zusammen mit unseren Landeskirchen diese Arbeit zu vertiefen und fortzuführen, möglicherweise auch einmal für Studenten anderer Fachbereiche.

Leer»Dadurch, daß Sie als Bruderschaft zum Gespräch bereit waren, und auch durch Gespräche mit einzelnen Teilnehmern wurde ich angestoßen, wieder einmal darüber nachzudenken, was mir Gemeinschaft, Zugehörigkeit, Verbindlichkeit im Leben allgemein und beim Beten und Glauben bedeuten und welche anderen Möglichkeiten von Gemeinschaft es gibt als die sonst üblichen.«

Quatember 1993, S. 238-241

[Siehe auch: Haus der Stille in Bethel]

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-15
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