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Krise der Ökumene
von Johann-Friedrich Moes

Leer„Wir brauchen die anderen!” In dieser Überzeugung kamen vom 14. bis 17. Oktober 1999 auf Einladung des ökumenischen Arbeitskreises der Evangelischen Michaelsbruderschafl etwa 55 Christen aus verschiedenen Konfessionen zum Kirchberger Gespräch zusammen, unter ihnen Verantwortliche im Gespräch der Konfessionen, so u. a. Erzpriester Miron, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Nordrhein-Westfalen, und Dr. J. Georg Schütz von der ökumenischen Centrale in Frankfurt / Main, dazu von ökumenisch tätigen kirchlichen Gruppierungen: neben dem Ältesten der Evangelischen Michaelsbruderschafl, Reinhold Fritz, der Leiter der Offensive junger Christen, Horst-Klaus Hofmann, und der Vorsteher des Ordo Crucis, Thorgeir Havgar aus Oslo.

LeerGleich am ersten Abend wurde es lebendig, beim Podiumsgespräch sachkundiger Vertreter verschiedener Konfessionen, großer und kleiner. Die „Krise der Ökumene”, die sich in Angst vor weiteren Schritten, in Müdigkeit und Enttäuschung ausdrückt, wurde deutlich, aber auch Ermuti gung, die sich darin verbergenden Möglichkeiten zu ergreifen, das Gespräch neu aufzunehmen, dazu die Erinnerung an die Grund-Voraussetzung: die „Bekehrung der Herzen” (Ökumenische Charta der Konferenz europäischer Kirchen). Besonders auffällig (jedenfalls für den Theologen) der Beitrag des Rundfunk-Joumalisten Dr. Johannes Weiß (Südwestfunk): Sofern „weltliche Leute von heute überhaupt nach Kirche fragen, machen sie keinen Unterschied zwischen den Konfessionen; nur gemeinsames Eintreten der Kirchen zählt - und das Versagen einer Konfessionskirche trifft alle.” (Dazu hörten wir, wie mühsam es für einen Neuzugezogenen sein kann, Kontakt zu seiner Kirchengemeinde aufzunehmen.)

LeerAnderntags das Referat des Alt-Ökumenikers Prof. Dr. Lukas Vischer. Nach kurzer Skizzierung der gegenwärtigen Krise erinnerte er an die Anfänge des ökumenischen Rates: Die Not der unmittelbaren Nachkriegszeit (1948) zwang die getrennten Kirchen auf den gemeinsamen Weg; trotz der nüchtern festgestellten tiefgreifenden Unterschiede versprachen sie einander: „we stay together.” So folgten bei den nächsten Konferenzen mutige Schritte zur Erweiterung und Vertiefung der ökumenischen Gemeinschaft. Die Not unserer Zeit ist weniger offenkundig, aber bedrohlich für die Zukunft der Menschheit (der Referent sprach gar von dem „suizidalen Kurs” auf dem sich die Weltgesellschaft befindet): Zerstörung der Lebenswelt und eine solche Ungerechtigkeit in der Verteilung der Güter, daß gewaltsame Konflikte heraufbeschworen werden. Diese Bedrohung fordert den gemeinsamen Einsatz der Kirchen („konziliarer Prozeß”), nicht mit unverbindlichen Erklärungen, sondem mit konkreten Aktionen bis in die regionale und lokale Ebene. - In den Gesprächsgruppen, wie sie sich an jedes Referat anschlossen, gab es Neues zu hören: so vom Zusammenschluß „konfessionsverbindender Paare” zu einem Weltkongreß, vom umsichtigen Einsatz des Ökumenischen Patriarchats Konstantinopel, für die Reinhaltung des Schwarzen Meeres, vom Zusammenschluß von Kirchen mit Politik, Wirtschaft und Nicht-Regierungsorganisationen in Köpenick zur Verwirklichung der „Agenda 21”.

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LeerAm Nachmittag kam ein Vertreter der jungen Generation zu Wort: Dr. Jörg Neijenhuis vom Liturgiewissenschaftlichen Institut der VELKD in Leipzig. Mit dem provokanten Titel „Eucharistische Magerkost auf immer?” meinte er allerdings nicht den Umstand, daß in der evangelischen Kirche das Heilige Abendmahl weithin immer noch selten gefeiert wird. (Wobei der Berichterstatter anmerkt, daß auch die Teilnehmer des Kirchberger Gesprächs auf „Magerkost” gesetzt waren: Nur am letzten Tag, am Sonntag, wurde Eucharistie gefeiert, nach Brauch des Hauses, evangelisch. Warum nicht an jedem Tag, und dann nach dem Brauch anderer Konfessionen?) Vielmehr ging es um die Eucharistiegebete in dem nun einzuführenden „Gottesdienstbuch”, die gegenüber dem zugehörigen „Vorentvurf zur Emeuerten Agende” teils gestrichen, teils wesentlich gekürzt sind. In einer ungemein sorgfältigen Untersuchung ging der Referent vom Eucharistiegebet der „Lima-Liturgie” aus als einem Modell „ökumenischen Betens”.

LeerIn dem Widerspruch lutherischer Dogmatiker dagegen ist jene „konfessionelle Selbstgenügsamkeil” zu sehen, die das Fortschreiten auf dem Weg zur vollen Gemeinschaft hindert. Dieser Widerspruch stößt sich an den Aussagen über das Opfer Christi und will die Einsetzungsworte des Abendmahls ausschließlich als Verkündigung verstehen. Aber sollte der Mißbrauch einer biblischen Aussage deren rechten Gebrauch verbieten? Und sollte es wirklich falsch sein, Gott im Gebet an sein Wort, seine Verheißung zu erinnem? Dann müßten die meisten „Kollektengebete” fallen, erst recht die Präfationen, die betend Gottes große Taten rühmen - ganz zu schweigen von den Psalmen, deren Beter klagend und lobend Gott sein Wort vorhalten. Das „ökumenische Lernen” ist auch auf diesem Feld ein wechselseitiger Prozeß: Die Überzeugung des einen Partners wird zur Frage an den anderen; im Gespräch gilt es, den „angemessenen” Ausdruck zu finden; dabei wird es eine Hilfe sein, auf die Verstehens-Möglichkeiten heutiger Menschen zu achten.

LeerAm nächsten Vormittag der Vortrag des röm.kath. Ökumenikers Prof. Dr. Theodor Schneider aus Mainz über die heikle Frage, ob die Ordination von Frauen das Bemühen um Einigung unter den Christen stört, in der Tat wird dies von vielen Kirchen, insbesondere der sogenannten „katholischen” Tradition so gesehen, vor allem den orthodoxen und der römisch-katholischen. So äußerte sich auch P. Beda Müller OSB (Neresheim), der allerdings die Einführung eines eigenen kirchlichen Amtes für Frauen (mit Weihe) fordert. Doch auch hier eine interessante Neuigkeit: in Deutschland werden 15 Frauen in einem dreijährigen Kursus auf das Amt der Diakonin vorbereitet, ohne zu wissen, ob sich ein Bischof findet, der sie für dieses Amt, das bisher nur Männern vorbehalten ist, weihen wird.

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LeerGewöhnlich wird die Ablehnung der Frauen-Ordination mit schlichten Zitaten aus der Heiligen Schrift begründet, ohne zu berücksichtigen, daß diese Worte nicht nur in unsere Sprache, sondem auch in unsere Zeit hinein „übersetzt” werden müssen. Römisch-katholische Verlautbarungen - bis hin zum päpstlichen „Schlußwort” von 1994 - fügen weitere Zitate hinzu, aber sämtlich aus der eigenen konfessionellen Tradition - wieder ein Beispiel für die „Selbstgenügsamkeit” einer Konfession, die das Bemühen um den gemeinsamen Weg stocken läßt. Denn die Überzeugung, daß wir „die anderen brauchen”, widerstreitet jedem Gedanken, als stimme die „eine, heilige, apostolische, allumfassende Kirche” (Vorschlag des Ökumenischen Pfingsttreffens in Augsburg 1971, in den Akten verschwunden) mit einer „real existierenden” Konfessionskirche überein, in die die anderen nur noch integriert werden müßten. Die Einheit, um die Christus für die Seinen gebetet hat, liegt vor uns, und wenn sie auch erst in der Vollendung wahrhaftig offenbar werden wird, so will sie doch in dieser Zeit zeichenhaft verwirklicht werden.

LeerAuf dieses Feld führte uns der letzte Referent, Dr. Günther Overlach von der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen Niedersachsen. Hier hätte eine zündende, wenn nicht gar prophetische Rede zeigen sollen, welches denn die „Einheit in versöhnter Verschiedenheit” sein könnte, die als irdisches Ziel erreichbar scheint. Aber Propheten sind ein seltenes Geschenk Gottes an Sein Volk, und es hat sein Gutes, wenn in nüchtemer Beobachtung gezeigt wird, welches der nächste Schritt ist, der getan werden muß. Und ein solcher Schritt ist nötig. Denn alte Gegnerschaft ist vergangen; fast überall leben die Gemeinden unterschiedlicher Konfession in freundlicher Nachbarschaft. Man kennt sich, und ökumenische Gottesdienste zu besonderen Anlässen sind selbstverständlich.

LeerAber wer die Leitlinien dieses eingespielten Verhaltens überschreitet, indem er etwa seinen evangelischen Vikar zum römisch-katholischen Religionslehrer ins Praktikum schickt, wird zurückgepfiffen. (in Westfalen gab es kürzlich ein Examensthema „Warum konfessionell getrennter Religionsunterricht?” Man erwartete natürlich eine umfassende Zusammenstellung von Argumenten für diese Praxis statt der naheliegenden Antwort: „Recht habt Ihr! Warum eigentlich?”) Aber die Zeit drängt zu dem Schritt auf  v e r b i n d l i c h e  Partnerschaft hin zwischen Gemeinden verschiedener Konfession. Das heißt konkret: Es sind Vereinbarungen zu treffen über gemeinsame Trägerschaft von Kindergärten und sozialen Einrichtungen, über gemeinsame Jugend- und Bildungs-Arbeit (bzw. über stellvertretende Gruppenarbeit: nicht jeder macht alles), über gemeinsame Gottesdienste nicht zusätzlich zu, sondern anstelle von Gottesdiensten der Einzelgemeinde ...

LeerDas offene Gespräch unter Christen verschiedener Prägung, in großer wie in kleiner Gruppe, getragen vom Tagzeitengebet „katholischer Tradition” nach dem „Evangelischen Tagzeitenbuch”, ermuntert und ermutigt zu solchen bescheidenen, aber verbindlichen Schritten.

Quatember 2000, S. 96-99
© Johann Friedrich Moes

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-08-13
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