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Briefwechsel Jochmus/Stählin von Wilhelm Stählin |
Lieber Herr Jochmus! Für Ihren Brief bin ich Ihnen herzlich dankbar. Er gehört durchaus zu jener Art von Kritik, die wir als wertvolle Hilfe dankbar empfangen, weil sie uns durch Zwang zur Rechenschaft fördert. Meine Antwort soll nicht den Versuch machen, Ihre Bedenken zu entkräften und uns gegen Ihre Fragen zu verteidigen; sie soll nur aussprechen, wie wir selbst diese schwerwiegende und verantwortungsvolle Frage nach der Lehre der Kirche ansehen und zu verstehen suchen. Vor allem freilich muß ich Ihnen meine Freude darüber bekunden, daß wir eine so weite Strecke Weges zusammengehen. Noch vor wenigen Jahren hätte ein etwa aus dem Kreis um Johannes Müller herkommender Mann vielleicht die Kirche als Gemeinschaft, vielleicht auch ihren Gottesdienst bejaht, aber sich gegen die Lehre, gegen das Dogma der Kirche gewandt, und zum mindesten das Erlebnis gegen die formulierte Lehre gepriesen. Vielleicht gerade, weil wir alle - auch wir! - davon herkommen, sehen wir in dieser Sache nun so klar. „Dogma ist notwendig für unsre Kirche; nur eine neue Lehre, in der wirklich ‚die tragende und richtende Wahrheit erscheint’, kann die Not wenden.” Es ist schon sehr viel und ist sehr wichtig, daß wir diese beiden Sätze gemeinsam sagen. Wir sind uns also darin einig, daß eine Konfirmationsfeier, wie Sie sie beschreiben, unerträglich ist. Man braucht wirklich keine Theologen und keine Pfarrer dazu, um die gleichen Dinge vielleicht etwas schöner und pathetischer zu sagen, die alle anderen auch schon wissen und täglich hören und lesen. Ich kann Ihnen auch nicht widersprechen, wenn Sie den Verlauf des Vortragsabends von Hauer über den „deutschen Glauben” - ich bin hier allerdings auf Ihren Bericht angewiesen - als Beispiel für die unter den Theologen und Laien gerade in der Frage der Lehre herrschende Verwirrung anführen. Und was tritt heute nicht alles auf mit dem Anspruch, „deutscher” Glaube zu sein! Die deutsche Seele hat auch hier sehr verschiedene Möglichkeit in sich, und es ist mir schon unheimlich, wenn man etwa das Deutschsein für den Protestantismus so ausschließlich in Anspruch genommen hat, es ist mir doppelt unheimlich, wenn heute nun bestimmte, von dem geschichtlichen und kirchlichen Christusglauben sich fernhaltende Gruppen ihre Frömmigkeit als der deutschen Art gemäß empfehlen und anpreisen. - So geht es wirklich nicht. Sie haben mit Recht empfunden, daß wir Berneuchener wenigstens in der Öffentlichkeit zu den Fragen der Lehre weniger gesagt haben als zu den Fragen des Kultus und der kirchlichen Gestaltung überhaupt. (Es ist vielleicht nicht ganz so wenig, wie Sie meinen, aber ich will darüber nicht streiten; der Anschein gibt Ihnen jedenfalls Recht.) Ich darf versuchen, Ihnen das aus einem von Ihnen selbst ausgesprochenen Gedanken zu erklären. Sie schreiben über den unauflöslichen Zusammenhang von Kultus und Lehre; Sie sagen, was im Kultus erfahrbar geworden ist, bedarf der Umformung in gedankliche Erklärung, wenn sich nicht alles in Seelenzustände und Stimmungen verflüchtigen soll. Darin kann ich Ihnen nur von Herzen zustimmen und noch schärfer sagen: Wenn hinter dem Kultus nicht eine ganz ernsthafte, mit nüchternen Worten sagbare Lehre steckt, dann bleibt alles in der Sphäre eines überhitzten Gefühls und eines unverantwortlichen Geschwätzes. Aber da gilt nun auch umgekehrt: Eine Lehre, die nicht in der ständigen Beziehung auf den Kultus der Kirche steht, die nicht aus dem heiligen Opferfeuer des Gebets und des Sakramentes ihre Lebensglut entstammen läßt, bleibt eine dürre „Weltanschauung”, aber eben nicht Lehre der Kirche. Ein Pfarrer ließ mich jüngst fragen, was unsre Berneuchener Abendmahlslehre sei; ich habe ihm antworten lassen, unsre Abendmahlslehre sei, daß es auch für Pfarrer wichtiger sei, zum Abendmahl zu gehen als eine Abendmahlslehre zu haben. Es ist schlimm genug, daß man solche Selbstverständlichkeiten mit Betonung sagen muß; aber Sie werden gerade von hier aus verstehen, warum wir uns an der theologischen Diskussion nicht so sehr beteiligt und von manchen Dingen, die uns auf unsren Freizeiten und in den Erfahrungen unsres engeren Kreises besonders wichtig geworden waren, überhaupt nichts gesagt haben. Aber vielleicht haben wir hier doch etwas versäumt; vielleicht hätten wir unbekümmert um die theologische Verkehrspolizei um unsrer nicht-theologischen Freunde willen noch mehr von der Lehre reden sollen. Freilich, ganz praktisch gesprochen: Lehre muß eben im wesentlichen mündliche Lehre sein, und darum halten wir Freizeiten und auf diesen Freizeiten täglich einen Vortrag, der doch „Lehre” ist, und halten seit Jahren, wo wir können, einen „Religionsunterricht für Erwachsene”. Aber was ist das freilich gegen die ungeheure Not! Für die Lehre selber stellen Sie, so viel ich sehe, drei Forderungen auf: Sie unterscheiden zunächst zwischen der „Lehre des Christentums” als einem im Lauf von 1900 Jahren entstandenen, sehr menschlichen Gemächte, und dem gedanklichen Ausdruck der Offenbarung in Christo. Es ist mir nicht ganz sicher, ob ich Ihr Anliegen in diesem Punkt richtig verstehe. Meinen Sie wirklich, daß man die Offenbarung Gottes in Christo erfassen kann, abgesehen von der geschichtlichen Gestalt und der Lehre des Christentums? Eben diese Möglichkeit haben wir ja gerade nicht! Wir können nicht aus unsrem geschichtlichen Ort herausspringen; auch die Heilige Schrift als die Urkunde der geschichtlichen Offenbarung ist zu verschiedenen Zeiten der christlichen Kirche verschieden verstanden worden, je nach der besonderen Erfahrung, die der betreffenden Zeit geschenkt war. Das, was Sie als „Lehre des Christentums” bei Seite zu setzen scheinen, ist ja nichts anderes als der Versuch, jeweils für das lebende Geschlecht und die geschichtliche Stunde zu denken, was denn eigentlich mit der Offenbarung Gottes in Christo geschehen und gemeint ist. Die „Offenbarung Gottes in Christo” ist doch nicht ein abgeschlossenes historisches Ereignis, das wir außerhalb unsrer Zeit wissenschaftlich untersuchen und beschreiben könnten, sondern wir haben immer nur deswegen ein Verhältnis dazu, weil wir selbst in dem Strom darin stehen, der von dort her zu uns kommt; theologisch oder vielmehr biblisch gesprochen: durch den Heiligen Geist. Darf ich einen Vergleich gebrauchen: Auf dem Weihnachtsbild des Isenheimer Altars ist unmittelbar neben- und miteinander diese ungeheure Spannweite dargestellt, die märchenhaft leuchtende und glühende himmlische Gloriole mit den seligen Engeln und die ganze Niedrigkeit einer irdischen Geburt bis hin zu den zerrissenen Windeln. So ist eben die Offenbarung Gottes in Christo, und so steht es mit der Kirche und so also auch mit der Lehre der Kirche; und darum kann man nicht die Offenbarung Gottes in Christo gegen die Lehre des Christentums ausspielen. Wir haben wirklich das eine nur im anderen. Ihr zweites Verlangen geht dahin, daß die Lehre der Kirche vereinbar sein müsse mit dem, was der von Gott gegebene Geist der Menschen an Erkenntnis und Wissen errungen hat. Das kann, wenn ich recht sehe, doppelt verstanden werden. So bald wir anfangen, in gedanklicher Klarheit darüber zu reden, was uns in der Offenbarung aufgegangen und aufgetragen ist, können und dürfen wir nicht aus den Denkformen, in denen wir als Kinder unsrer Zeit und unsres Volkes leben, herausspringen; wir können nicht plötzlich in einem religiösen Bereich ganz anders denken und reden, als wir sonst denken und reden; wir können nicht als Christen so reden, als ob alles das, was uns Naturwissenschaft, Geschichtsforschung, Rassenkunde und Psychologie zu sehen gelehrt haben, nicht da wäre, sondern das alles muß nun in Beziehung zueinander gesetzt werden, eben weil wir die Einheit unsres menschlichen Denkens nicht auseinanderreißen können. Ich vermute, daß Sie eben das meinen, und ich kann nur wieder völlig dem zustimmen, daß hier eine riesengroße Aufgabe vor der gegenwärtigen Theologie liegt, die nur sehr zum Teil in Angriff genommen ist. Aber Ihre Worte könnten auch so verstanden werden, als ob sachlich die Lehre von der Offenbarung an den Ertrag menschlicher Forschung und Erkenntnis zu binden wäre; ich bin gewiß, daß Sie nun umgekehrt mir darin zustimmen werden, daß diese Forderung dem Wesen der Offenbarung widerstreitet. Offenbarung wäre ja nicht Offenbarung Gottes, wenn hier nicht eben das zu uns käme, was jenseits aller geistigen Forschungsarbeit, jenseits unsres „Wissens” liegt; eben das, was alle Grenzen unsrer „Erfahrung” sprengt, „was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört und in keines Menschen Herz gekommen ist”. Weil es so ist und nicht anders sein kann, darum bleibt alle Rede von der Offenbarung immer ein Stammeln von einem Geheimnis, das wir nicht im Tages- oder Lampenlicht unsrer Vernunft, sondern immer nur ahnend als das „Licht das da scheint an einem finstern Ort” empfangen können. Aber ich denke, daß wir auch darin ganz einig sind. Auf solchen Linien, wenn auch in anderen Bildern und Worten, werden auch unsre Gedanken über diese Fragen ihre Lösung finden. Christus ist die Erfüllung nicht nur der alttestamentlichen Weissagung, sondern aller der Erkenntnisse und Ahnungen, die in der außerchristlichen und vorchristlichen Welt lebendig gewesen sind. Das gilt nicht nur von der Menschenwelt, sondern es gilt auch von der Welt der Natur. Es kann in der Geschichte einen Augenblick gegeben haben, wo ein Bote des Christenglaubens die Überlegenheit seines Herrn nur dadurch einleuchtend machen konnte, daß er die heilige Eiche fällte; aber es kann ebenso notwendig und im tiefsten Sinn dann doch sinnvoller sein, daß an den Stamm der Eiche gelehnt das Kreuz aufgerichtet wird und daß fromme Kinderhand das Bild des Schmerzensmannes mit den Blumen des Feldes schmückt. Ich maße mir wirklich nicht an, daß nun alles im richtigen Licht erscheinen könnte, noch weniger wage ich zu sagen, daß Ihre Sorge unnötig ist. Aber gerade weil Ihre Sorge nötig ist, wollte ich gern das Gespräch mit Ihnen aufnehmen, und es wäre schon etwas, wenn Sie und manche andere spüren dürften, daß Ihre Sorge um die Lehre der Kirche unsre eigene Sorge ist.
Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1932/33, S. 116-121 |
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