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Der Brief
von Wilhelm Stählin

LeerUnsere Leser wissen aus dem Bericht von Pfarrer Spieker-Hamburg (abgedruckt im Michaelisbrief 1935), daß es innerhalb des Berneuchener Kreises eine Evangelische Michaelsbruderschaft gibt, und daß unser Berneuchener Kreis sehr wesentlich von der Arbeit lebt, die in diesem engeren Kreis geleistet und von der Erfahrung, die dort gewonnen wird. Als Leiter des Berneuchener Kreises tue ich meine Arbeit im Auftrag der Michaelsbruderschaft und gebe darum seit Bestehen der Michaelsbruderschaft alljährlich auf dem Konvent der Brüderschaft einen Bericht über den Berneuchener Kreis. Es scheint uns richtig, daß diese Rechenschaft aber zugleich öffentlich vor dem gesamten Berneuchener Kreis abgelegt wird. Deswegen ist in diesem Weihnachtsbrief der gesamte Bericht abgedruckt, den ich im Konvent der Michaelsbruderschaft in Wittenberg über meine Tätigkeit als Leiter des Berneuchener Kreises erstattet habe. Die Leser unserer Jahresbriefe empfangen hier, vielleicht zum erstenmal, ein umfassendes Bild von dem, was der Berneuchener Kreis tut und was er als noch unerfüllte Aufgabe vor sich sieht; ich bitte aber insonderheit alle Mitglieder des Kreises, diesen Bericht sorgfältig zu beachten und sich dafür mitverantwortlich zu fühlen, daß das wirklich geschehe und werde, was uns als unsere Aufgabe zugewiesen ist. Auf allen örtlichen Treffen des Berneuchener Kreises sollte wenigstens kurz darüber beraten werden, wie die ganz konkreten Vorschläge und Bitten verwirklicht werden könnten, die in meinem Bericht ausgesprochen sind.

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LeerUnsere Bibelleseordnung hat nun nach mehr als zehnjähriger Arbeit, in der jede einzelne Lesung immer wieder überprüft und jede einzelne Frage wiederholt durchdacht worden ist, ihre endgültige Gestalt gewonnen. Die „Lesung für das Jahr der Kirche” erscheint in 5 Teilbändchen, von denen das erste, die Advents-, Weihnachts- und Epiphaniaszeit umfassend, seit kurzem vorliegt. Diese vollständige Ausgabe der Bibellese wird für alle Glieder und Freunde unserer Arbeit unentbehrlich sein. Wir wissen wohl, daß der Preis, der entsprechend dem Umfang und der Ausstattung des Bandes nicht ganz billig sein kann, manche abhalten könnte, das Buch zu erwerben. Aber abgesehen davon, daß es sich um eine einmalige Ausgabe handelt, die sich auf ein volles Jahr verteilt, meinen wir, daß gerade das Erscheinen dieses Buches eine gute Gelegenheit wäre, innerhalb unseres Kreises wirklichen. Gemeingeist zu bewähren. Wer irgend dazu in der Lage ist, gebe dem Leiter des örtlichen Kreises die Möglichkeit, einige Exemplare des Buches bereitzuhalten, die solchen zur Verfügung gestellt werden können, die selbst nicht in der Lage sind es zu erwerben. Oder noch besser: mögen die einzelnen sehen, wem sie selbst dieses unser Andachtsbuch auf den Weihnachtstisch legen können!

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LeerEin Leser unserer Jahresbriefe macht uns darauf aufmerksam, daß die in unserer Bibellese hin und wieder gegebene Deutung des Wortes „Demut” als „Mut zum Dienen” nicht ganz zutreffend sei. Unser heutiges „Mut” (im Sinn von Tapferkeit) ist eine Bedeutungsverengung des alten „muot”, was mit „Gesinnung” wiederzugeben ist; „de” hängt zusammen mit thiu = Knecht oder Diener. „Knechtsgesinnung” ist aber durchaus nicht in einem verächtlichen oder geringschätzigen Sinn gebraucht, sondern es ist ebenso positiv gemeint wie die Übertragung des Dienst- und Gefolgschaftsverhältnisses überhaupt auf das Verhältnis zu Gott. Da andererseits „Gesinnung” zu innerlich klingt, vielmehr die Gesamthaltung eines Menschen gemeint ist, wie sie sich aus einer solchen Beziehung ergibt, so wäre „Demut” etwa wiederzugeben mit „Haltung eines Menschen, der im Dienste Gottes steht”
. LeerIch habe diese Hinweise aus einem mir zugegangenen Brief frei wiedergegeben und bin überzeugt, daß viele der Leser ebenso wie ich selbst diese Belehrung dankbar annehmen werden.

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LeerIch muß noch einmal auf das zurückkommen, was ich im Michaelisbrief (S.194) über das Erntedankfest geschrieben habe. Pastor Asmussen, an dessen Buch über das Kirchenjahr ich dort angeknüpft habe, erhebt in einem Brief an mich den Vorwurf, daß meine Kritik nicht gerecht sei und fragt, ob sich das, was er (an verschiedenen Stellen seines Buches) über die irdischen Guter geschrieben hat, wirklich in jene meine Sätze zusammenfassen lasse. Wer unsere Jahresbriefe kennt, wird ihnen bezeugen, daß sie alles andere eher als theologische Polemik zu ihrer Aufgabe gemacht haben; wir würden das, was wir verlangen und was wir selbst nach Kräften zu tun uns demühen, verleugnen, wenn wir wissentlich jemandem Unrecht täten. Ich glaube nichts Besseres tun zu können, als daß ich, um jedes eigene Mißverständnis auszuschalten, die entscheidenden Sätze von Asmussen hier mitteile:
„Nach meinem Verständnis des Wortes Gottes ist auch das Erntedankfest kein eigentlich kirchlicher Feiertag. Er hat auch abgesehen davon von seiner Bedeutung viel eingebüßt, weil unsere Abhängigkeit von der Ernte durchaus nicht so stark ist, wie sie früher war. Es liegt kein Grund vor, warum der Stand der Landbevölkerung so ausgezeichnet wird vor dem Wehrstande, dem Elternstande, dem Kaufmannsstande, dem Stande der Künstler usw. Aber da er nun einmal da ist und in sich keine Leugnung des Evangeliums enthält, so soll man ihn nicht abschaffen.” (S.36f.)

Leer„Unser Gott ist kein Brotgott. Er gibt uns Nahrung und Speise nicht darum, damit wir selbst unser Leben beherrschen können ... Darum glaubt der noch nicht an den Schöpfer, welcher anerkennt, daß alle Gabe ihren Schöpfer haben muß. Wer recht an Gott den Schöpfer glaubt, glaubt im Sohne an ihn. . . . Denn Gott will uns durch unsere Arbeit ums Brot und durch seine Gabe zum Glauben rufen, damit wir nicht ihn im Brote suchen, sondern in Ihm alles, auch unser Brot, finden. . . . Christen sind gerufen, mit den Gaben, die ihnen gegeben sind, der Sache Gottes zu dienen. Das Werk Gottes in dieser Welt ist der andere Acker jedes Christen. Den haben wir durch Saat zu bestellen und werden sehen, daß Gott uns auf ihm ohne Dornen und Disteln ernten läßt.” (S. 117).
LeerDas sind die entscheidenden Sätze an den beiden Stellen, wo Asmussen ausdrücklich über das Erntedankfest schreibt. Er macht mich außerdem aufmerksam auf seine Auslegung des 7. Gebotes (S. 129 des gleichen Buches) und seinen Entwurf über die Hochzeit zu Kana (S. 61). Es ist nicht möglich, diese Stellen hier abzudrucken; aber ich möchte, daß alle, denen an einem eigenen Urteil liegt, dort nachlesen, was Asmussen geschrieben hat, weil in der Tat dort die Hinwendung zu der konkreten irdischen Situation des Menschen stärker zur Geltung kommt als in dem, was Asmussen zum Erntedankfest selber sagt.

LeerWenn ich irgendwo etwas herausgehört habe, was dort nicht gesagt werden sollte, oder etwas nicht gehört habe, was Asmussen doch auch gesagt hat, so mögen unsere Leser sich an seine eigenen Aussagen und nicht an meine unrichtige Darstellung halten; und wenn sich Asmussen gegen meine Sätze wehrt, weil er sich mit mir und meinen Freunden in den gleichen Gegensatz zu einer Art von Protestantismus stellen will, der den Boden unter den Füßen und den Himmel über sich verloren hat, so wird das meinen Freunden und mir eine ganz besondere Freude sein.

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LeerIn dem Bericht über die Arbeit des Berneuchener Kreises, der in diesem Heft abgedruckt ist, ist auch einiges über unsere geistlichen Übungen gesagt worden. Neben anderen Bedenken theologischer und praktischer Art ist auch immer wieder die Sorge ausgesprochen worden, daß die Heimlichkeit, die wir angeblich mit diesen Übungen und Meditationen treiben, etwas sehr Gefährliches und Verkehrtes sei. Ich könnte, um diese Bedenken zu entkräften, zunächst einfach darauf verweisen, daß ja unsere Freizeiten allen denen offen stehen, die mit gutem Willen teilzunehmen wünschen, und daß wir innerhalb unserer Wochen niemanden zur Teilnahme an solchen Betrachtungen verpflichten, aber auch niemanden davon ausschließen. Wir wünschen freilich nicht, daß die Teilnehmer an solchen geistlichen Übungen viel darüber reden, und wir haben uns bis jetzt noch nicht entschließen können, den Inhalt und die Form solcher Übungen der öffentlichen literarischen Diskussion preiszugeben. Ganz gewiß nicht deswegen, weil das, was wir tun, die strengste theologische Prüfung zu scheuen hätte; sondern deswegen, weil die Pflege des geistlichen Lebens einer gewissen Verborgenheit bedarf, und weil es Dinge gibt, über die man nicht mit jedermann und nicht an jedem Ort reden kann und darf.

LeerSobald man über geistliche Übungen, Betrachtungen, Meditationen viel redet, sobald man sie zum Gegenstand einer kritischen Diskussion macht, wird die heilsame Wirkung solcher Übungen gefährdet. Die Diskussion ist geradezu ein (bewußt oder unbewußt angewandtes) Mittel, um sich der Tiefenwirkung solcher Übungen zu entziehen; der Panzer einer intellektual-kritischen Haltung, mit dem sich die Menschen so gern gegen ein echtes geistliches Geschehen sichern, wird dann nicht durchstoßen. Wir wissen, daß wir niemandem einen Dienst erweisen, wohl aber vielen Menschen wirklichen Schaden zufügen, wenn wir anfangen, diese Versuche und Erfahrungen dem allgemeinen Gespräch und der - Neugier preisgeben. Diese Verpflichtung zur Verschwiegenheit hat also mit irgendwelcher Geheimnistuerei schlechterdings nichts zu tun, sondern sie entspringt der ernstesten seelsorgerlichen Verantwortung und einer Erkenntnis, die in den ersten Jahrhunderten der christlichen Kirche selbstverständlich beachtet worden und nur im Protestantismus sehr zu seinem Schaden verlorengegangen ist. Ich bitte nachzulesen, was ich in meiner Schrift „Vom göttlichen Geheimnis” (S. 86) über diese Frage geschrieben habe. Die Geschwätzigkeit, auch die theologische Geschwätzigkeit ist einer der gefährlichsten Feinde alles echten geistlichen Lebens und Wachstums.

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LeerAus einem Brief:
Leer„Sie fragen mich, ob ich das Alte Testament ablehne, und Sie deuten durch die Art, wie Sie diese Frage an mich bringen, an, daß es von meiner Antwort sozusagen abhänge, ob Sie mich noch als einen vertrauenswürdigen deutschen Mann achten können; Sie lassen durchblicken, daß es selbstverständliche Pflicht eines deutschbewußten Christen sei, das Alte Testament „abzulehnen”. Nach meiner Gesamtüberzeugung, in der mich gerade die nationalsozialistischen Grundanschauungen bestärken, muß ich es ablehnen, eine solche Frage zu beantworten. Sie setzt voraus, daß es sich hier um Meinungen oder Überzeugungen einzelner Menschen handelt, in denen der einzelne etwas „anzuerkennen” oder „abzulehnen” hätte. Diese Denkweise wurzelt in einem liberal-individualistischen Zeitalter, das wie auf anderen Gebieten so auch auf dem Gebiet religiösen Denkens nur unverbindliche Privat-Meinungen kennt.

LeerWeil ich überzeugt bin, daß es eine lächerliche Anmaßung dieser einzelnen Menschen ist, ihre begrenzte Einsicht zum Maßstab allgemeiner Urteile zu machen, so fühle ich mich in allen solchen Fragen selbstverständlich an die für mich verbindliche Lehre der christlichen Kirche gebunden. Daß die christliche Kirche sich zu der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testamentes bekennt, ist Ihnen ebenso wie mir bekannt. Eben diese Kirche lehrt mich zugleich, das Alte Testament so zu verstehen, wie es für einen seines eigenen Volkstums bewußten Christen notwendig und richtig ist; niemals in allen Jahrhunderten hat die christliche Kirche einen ZWeltel darüber gelassen, daß nur von Christus her das Alte Testament wirklich zu verstehen, und nur so verstanden auch für uns Menschen anderer Völker und anderer Zeiten Heilige Schrift sein kann. Darum bin ich überzeugt, daß nur für solche, die sich selbst außerhalb der christlichen Kirche stellen, und darum solche Hilfe zu einer rechten christlichen Deutung des Alten Testamentes entbehren müssen, das Alte Testament unüberwindliche Anstöße bereitet.”

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LeerEin Glied unseres Kreises, Hausfrau und Mutter, schreibt mir, daß sie seit längerer Zeit begonnen habe, die im Gottesjahr und in den Jahresbriefen angeführten Bibelstellen sorgsam abzuschreiben und dann wiederholt laut zu lesen, um sie ganz von innen her und dann auch dem Sprachklang nach in sich aufzunehmen. „Diese Arbeit als Abschluß eines vielleicht gehetzten Tages bringt wieder ins seelische Gleichgewicht, macht still und bereit und führt zum Wesentlichen.”

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LeerDer Leiter des Syrischen Waisenhauses in Jerusalem, Pfarrer Hermann Schneller, schreibt mir, daß sich dort die täglichen Morgenandachten und die Wochenschlußfeiern nach dem „Gebet der Tageszeiten” voll eingebürgert haben, daß die ersten Nummern einer arabischen Übersetzung unserer Bibellese erschienen sind und eine Übersetzung der „Gebete für das Jahr der Kirche” in Arbeit ist. Diese Nachrichten bestätigen, was uns voriges Jahr einer der arabischen Mitarbeiter von Pfarrer Schneller gesagt hat, daß gerade diese feste und streng gebundene Form des kirchlichen Gebetslebens das ist, was eine christliche Kirche des Morgenlandes braucht und erwartet.

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LeerDer ständig wachsende Briefwechsel belastet die Kasse des Berneuchener Kreises mit sehr erheblichen Portokosten. Wenn sich alle Glieder des Kreises, die sich mit irgend welchen Anliegen an mich persönlich oder an die Geschäftsstelle des Berneuchener Kreises wenden, angewöhnen wollten, Briefmarken für die Antwort beizulegen, so würde das dem einzelnen eine kaum fühlbare Ausgabe zumuten, aber unsere Kasse fühlbar entlasten und unsere sehr begrenzten Mittel für andere Aufgaben freimachen.

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LeerDer Weihnachtsbrief hat zum erstenmal eine Bildgabe. Es ist nicht ein „Kunstblatt”, das der Zeitschrift „beiliegt”; auch verwandeln wir unsere Jahresbriefe nicht in eine „Illustrierte Zeitschrift”, um wirkungsvoller werben zu können. Die christliche Kunst, aus der wir jedesmal eine Darstellung bringen wollen, ist ebenso wie die Liturgie gestaltete Glaubenslehre, sichtbar gewordenes Gebet der Kirche, Bekenntnis des Glaubens und Zeugnis des Gotteslobes. Freilich, wie viele von uns mit Freuden gelernt haben, die liturgische Ordnung des kirchlichen Gebetes als sinnvollen und notwendigen Ausdruck für das Geheimnis der Kirche und ihres Glaubens selbst zu begreifen, so müssen wir auch ganz neu lernen, diese Werke einer wahrhaft gläubigen Kunst besinnlich, horchend und schauend, zu betrachten als einen Gegenstand unserer Meditation. Dazu sollen jedesmal in der Betrachtung des einzelnen Bildes bestimmte Hilfen gegeben werden.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1937, S. 23-28

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-24
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