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»Worship«
von Rudolf Stählin

Leer„Wenn du wissen willst, was die Kirche ist, dann frage nicht zuerst, was die Theologen darüber sagen, sondern mache die Augen auf und sieh, was sie ist und was sie tut”. So schreibt Vater A. Gabriel Hebert in der Einleitung seines Buches „Liturgy and Society” (London 1936). Damit ist diesem ganzen, bedeutungsvollen Buch, das aus dem Leben eines anglikanischen Ordens erwachsen ist (der Society of the Sacred Mission in Kelham/England), die Richtung gewiesen.

LeerDie Frage, von der Vater Herbert ausgeht, ist: Was hat die Kirche der modernen Welt zu geben? Die Welt wendet sich heute enttäuscht von der Kirche ab, weil sie in ihr selbst nur ein Stück Welt erblickt. Eine Kirche, die eine Christlichkeit im Gewande vergangener Zeiten repräsentiert, aber keine lebendigen Heilkräfte mehr zu spenden hat, ist nicht mehr zeitgemäß. «Worship» bezeichnet aber die eigentliche Aufgabe, mit der die Kirche ihre Funktion in der Welt erfüllt: die hingebende Verehrung, in der der Mensch vor Gott triff und ihm Ehre und Herrschaft einräumt. Die Eingeborenen des Basuto-Volkes übersetzten das Wort mit „vor jemand knien”. Es ist der anbetende Lobgesang der Kirche „Du allein bist heilig. Du bist allein der Herr”, der die Mitte all ihres Tuns ist. Nirgends ist die Kirche so sehr sie selbst wie in ihrem Gottesdienst. Im Gottesdienst will der Mensch - und mit ihm alle Kreatur - befreit werden von seiner Selbst-Herrlichkeit zur wahren Gotteskindschaft. Das Wunder dieser Befreiung geschieht aber in Kreuz und Auferstehung Christi. Deshalb führt aller Gottesdienst in der christlichen Kirche hin zu dem heiligen Sterben und Auferstehen des Herrn. Diese Wirklichkeit des Heils gegenwärtig, wirklich und mächtig zu erhalten: das ist die Aufgabe der Kirche. Durch ihr Leben will Gott sein Erlösungswerk an der Welt stets von neuem ausrichten.

LeerSo redet Vater Hebert, der als ein Ordensmann täglich von dem Reichtum! der anglikanischen Liturgie lebt, von dem Geheimnis des Fleisch-gewordenen Worts, das in der Liturgie der Kirche Gestalt annimmt. Dieser Grundgedanke wird in dem Buch nach verschiedenen Seiten hin entfaltet. Wenn auch nur wenige in Deutschland in der Lage sein werden, dies Buch selber zu lesen, und wenn wir auch keine unmittelbare Berührung mit dem Leben der anglikanischen Kirche haben, sollen doch die Hauptlinien, die Vater Hebert zeichnet, im Blick aus unsere eigene Kirche nachgezogen werden. Denn die Erkenntnisse, die Hebert entfaltet, sind dieselben, die auch bei uns aufgebrochen sind.

LeerDie heutige Welt gibt dem Geist des „Liberalismus” den Abschied. Damit hat auch ein religiöses Leben, das vor allem nach dem Heil der Einzelseele fragte und sich selbst nach den Maßstäben einer bürgerlichen Moral beurteilte, keinen Raum mehr. Die Welt der Technik und der Massen versteht die Sprache der Kirche nicht mehr. Wohl müht man sich allerorts, die Kirche dem Geist der Welt anzupassen und sie damit zu durchdringen. Aber dieser Versuch bringt die Kirche wieder in die Babylonische Gefangenschaft, - Vater Hebert erinnert an Luthers Zeit -, die sie hindert, ihren eigentlichen Dienst zu tun: durch ihr Leben in Gottesdienst, Lehre und christlicher Gemeinschaft der Welt zu bezeugen, daß Gott der Richter und Christus der Erlöser aller Kreatur ist. Der moderne Mensch sucht den Gesetzen seines Volkes, des natürlichen Lebens und der Wirtschaft zu dienen, ohne um den Sinn dieses seines Lebens zu wissen. Auch die Kirche muß die Antwort auf die Frage danach schuldig bleiben, wenn sie sich einem Humanismus verschreibt, dessen Ende Enttäuschung und Zweifel sind.

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LeerWas aber ist die Antwort der Kirche, auf die die Welt wartet? Nicht sozialpolitische Programme. Nicht theologische Spekulationen. Sondern: der Glaube, den die Apostel bezeugen. Ihn zu wecken und zu verwirklichen, ist die Aufgabe der Kirche an der Welt. Was die Kirche an ihren Gliedern tut, das geschieht ja nicht nur an ihnen, sondern damit erfüllt die Kirche ihren Auftrag an der ganzen Schöpfungswelt. Ihr Haupt, der himmlische Christus, ist der Herr aller Kreatur. So vollzieht sich im liturgischen Dienst, in dem das Heil von Kreuz und Auferstehung gegenwärtig wird, je und je das Wunder, daß die ganze Schöpfungswelt aus ihrer gottlosen Eigenmächtigkeit heraus- und zurückgerufen wird in den Gehorsam des Geschöpfes. Gebet, Sakrament und Lobgesang der Kirche wollen nicht einige fromme Seelen erbauen, sondern das göttliche Leben, mit dem Gott die Kreatur zu ihrer eigentlichen geschöpflichen Bestimmung vollendet, gegenwärtig setzen, entfalten und austeilen. In der Liturgie wird das Geschehen von Bethlehem und Golgatha, Ostern und Pfingsten gegenwärtig.

LeerBesonders wichtig ist, was Vater Hebert über das Wesen der Kirche sagt. Die Bilder, in denen das Neue Testament sie darstellt: Leib Christi, Braut Christi, unsere Mutter, lassen sie als wirkliches Leben erkennen. Dieses Leben, das Christus selber ist, bestimmt die sichtbare Gestalt der Kirche. Das gilt zum Beispiel von der Lehre der Kirche, dem Dogma. Nicht Lehrmeinungen einzelner Theologen, Zeiten oder Kirchen, sondern die geistgewirkte Bekundung der Wahrheit Christi in Seinem Leib, das „So spricht Gott” begründet die Lehre der Kirche. Gottes Wort geschieht so, daß es eingeht in die irdische Welt und Fleisch wird. So wird Kirche, und so wird Dogma. Es ist die irdische Gestalt, in der die göttliche Wahrheit gegenwärtig und verwirklicht ist. Das Dogma ist die Darstellung der Christus-Wirklichkeit, die in der Kirche lebt.

LeerDas Leben Christi gewinnt vor allem Gestalt in der sichtbaren Form des Gottesdienstes der Kirche, in der Liturgie. Hier werden Menschen gewürdigt, das Christusleben durch ihr Wort und ihre Gebärde im Gehorsam des Glaubens darzustellen und sich in ihm erneuern zu lassen. In dem abgeschlossenen, verborgenen Einzelgeschehen eines Gottesdienstes werden, wenn es Liturgie (in dem aufgezeigten Sinn, der die Predigt nicht aus-, sondern einschließt) ist, alle Grenzen menschlichen Tuns gesprengt. Christus ist immer nur einer. Wer teilhat an Seinem Leben, der gehört zu der unsichtbaren Gemeinschaft Seines Leibes. Niemand kann Liturgie „für sich” feiern. Die Kirche - das ist Vater Heberts Grundthese - ist ein Gemeinschaftsleben, in das Menschen hineingezogen werden können, an dem sie Teil haben können. Das geschieht, wenn es Gott gefällt, in der Liturgie. Sie ist selbst Verwirklichung der Menschwerdung Gottes im irdischen Raum, und deshalb dem Gestaltungswillen und -bedürfnis der Welt entzogen. In den Formen der Liturgie lebt das göttliche Geheimnis auf Erden. Und zwar zu allen Zeiten in gleicher Weise. Liturgische Formen sind Ausdruck und zugleich Garant der Einheit der Kirche. Die Liturgie ist als Einheit in Gebet und Bekenntnis das stärkste Band zwischen den verschiedenen Kirchen. Theologische Anschauungen mögen trennen. Liturgie eint die Glieder des Leibes in ihrem Haupt.

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LeerDie Liturgie lebt in geprägten Formen, in leibhafter Gestalt. Sie ist nicht Bericht über eine Sache, sondern ihre Gegenwärtigsetzung. An diesem Grundgesetz hat auch alle echte kirchliche Kunst Anteil. Die alt-christlichen Katakombengemälde, etwa das Bild des guten Hirten, sind Symbole für das Handeln des lebendigen Herrn an den Menschen. In dem Buch Vater Heberts tritt diese innere Einheit von christlicher Kunst und Liturgie in den beigegebenen Abbildungen aus allen Zeiten der Kirche in Erscheinung. Von hier aus kann sich auch das Verständnis der Psalmen als geistlicher Dichtung erschließen. Der Psalter ist nicht eine Sammlung „religiöser Lyrik”, sondern das Gebetbuch der Kirche. In ihm hat sich das „Volk Gottes” je und je in Gottes Wahrheit, die über ihm gilt, erneuert. „Jerusalem”: die Stadt Gottes, das Bild des geistlichen Reiches, dessen Bürger wir durch Gottes Gnade sein dürfen, ist das Ziel des Betens; „Die Gottlosen”: die Mächte, die sich gegen Gott auflehnen, vor allem in uns selber, sind die Gewalten, um deren Überwindung durch Christus die Kirche bittet, wenn sie die Psalmen betet.

LeerWeil es in der Liturgie nie um eine Beschreibung, sondern immer um eine Vergegenwärtigung der Gnade Gottes geht, gibt es in ihr keinerlei Willkür und Zufall. Wie bei echter Kunst alles, auch die kleinste Einzelheit ihren bestimmten Platz hat, ist für die Liturgie ein Gesetz strenger und genauer Ordnung gültig. Allein eine in Inhalt und Form streng gebundene Liturgie wird den Dienst tun können, zu dem sie der heilige Geist benützt.

LeerDie Liturgie ist also nicht eine Summe individueller Gebete, sondern das Gebet der Kirche als des Leibes Christi, dessen Glieder bereit sind, ihre eigensüchtige Selbständigkeit aufzugeben, um als Glieder einer Familie zu kommen, die ihren Vater sucht. - Solches Gebet hat seine Auswirkung auf die ganze Welt. Das Haupt der Kirche ist der Heiland, der die ganze Schöpfung erlösen will. Gottes Sohn hat die menschliche Natur angenommen und durch Sein Leben in ihr geheiligt. Im Gebet der Kirche wird sie jeweils Gott dargebracht, daß Er sie erneuere und erlöse. Die Stimme des Menschen darf laut werden im Gebet, und ist damit gewürdigt, Träger des Geistes Gottes zu werden. Damit ist auch das Wort des Menschen im alltäglichen Leben, auf der Straße und an seiner Arbeitsstätte geheiligt. Das Gebetswort der Kirche, das in der Liturgie ertönt, bringt alles Menschenwort Gott als Opfer dar. Und Essen und Trinken am Familientisch wird zum Gottesdienst, weil das heilige Mahl des Sakraments das Herrenmahl ist. Das Leben des Alltags wird durch den Gottesdienst der Kirche zu seiner geschöpflichen Bestimmung erlöst.

LeerDas ist die Vollmacht der Kirche in der Welt, daß in ihr und an ihr und durch sie geschieht, was Christus tut: „So ich aber durch Gottes Finger die Teufel austreibe, so kommt ja das Reich Gottes zu euch.” Alles, was die Kirche tut, insbesondere ihr liturgischer Dienst, hat seinen Brennpunkt in der Feier des Heiligen Abendmahls. Von hier aus entfaltet sich das Geheimnis der Kirche als des Fleisch-gewordenen Wortes. „Deshalb muß notwendigerweise alle Geschichte gesehen werden im Licht des Geschehens, das ihr ihren Sinn gibt; und das ist, was in der Eucharistie geschieht. Das Leben derer, die zu einer Abendmahlsfeier kommen, ist Teil der Geschichte; sie selbst sind sich bewußt, daß der ganze Inhalt ihres Lebens hier in Beziehung gebracht wird zu Gottes Heilsplan, und sie wissen, daß das auch gilt von dem Leben all der anderen, die Gottes Allgemeine Kirche bilden. Jede Messe ist deshalb eine Messe der ganzen Kirche. Und wenn es uns möglich wäre, ihre volle Bedeutung zu erfassen, würden wir hier wie in einem Brennpunkt Gottes ganzes Heilswerk der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammengefaßt sehen.” (Hebert, S. 70).

Evangelische Jahresbriefe 1937, S. 152-155

[Siehe auch Kelham]

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-24
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