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Beichte ale Lebenshilfe
von Kurt Plachte

LeerNach einem chinesischen Weisheitswort muß der Mensch viele Tore durchschreiten, wenn er in der Tiefe gewandelt werden will. 5o allein gelangt er zur Überwindung seiner seelischen Krisen, „daß er als ein Gesammelter, Geordneter und Gewandelter einen Lebensweg finden würde, wo er im Augenblick seiner Verstörtbeit nichts sieht” (Anm. 1). Solange aber ein Mensch noch nicht, um mit Kierkegaard zu reden, „sich selbst ganz durchsichtig” geworden ist, solange er noch nicht den Abgrund seiner gott-losen Existenz durchschaut, wirkt sich die Heillosigkeit seiner Existenz, seiner „Krankheit zum Tode”, als Neurose aus. die Psychotherapie, welche den von den Mächten des Unbewußten Umgetriebenen als „krank” anspricht, ist heute auf dem Wege, den Herd, oder jedenfalls einen Herd seiner Krankheit in einer heimlichen und uneingestandenen Schuld zu erkennen. Hier ist daher der geistesgeschichtliche Ort, an dem es zur Begegnung zwischen Psychotherapie und Seelsorge kommt, wo das sachliche Gespräch zwischen Arzt und Seelsorger fruchtbar zu werden beginnt. Es ist das Verdienst der Pädagogik und praktischen Theologie von Walter Uhsadel, Otto Haendler und Alfred Dedo Müller, diese Zusammenhänge aufzuzeigen und damit Psychologie und Theologie aus der unfruchtbaren Isolierunq eines in sich verschlossenen Spezialistentums zu befreien (Anm. 2). Hier wie auf der andern Seite in den Schriften von C. G. Jung (vgl. die „Beziehungen der Psychotherapie zur Seelsorge”, 1932), Fritz Künkel , Weizsäcker und anderen Ärzten der Gegenwart wird sichtbar, daß die tiefsten Probleme menschlicher Lebensnot unter verschiedenen Aspekten angegangen werden müssen, daß sich die psychologische und die theologische Blickrichtung überschneiden und ergänzen müssen, um den konkreten Menschen in den Blick zu bekommen, um in Diagnose und Therapie bzw. im Ruf zur Umkehr und auf dem Weg der Wandlung diejenigen Lebenshilfen zu geben, durch welche die Heillosigkeit der menschlichen Situation überwunden und ausgeheilt werden kann.

LeerSo muß also, um das Leitbild noch einmal aufzunehmen, der Mensch „viele Tore” durchschreiten und in verschiedenen Aspekten denken, um Wahrheit, Wesen und Wirklichkeitl des menschlichen Daseins wieder ins Blickfeld der Erkenntnis zu rücken. Er muß dabei der Destruktion der Lebenslüge standhalten, wie sie in der Kulturkritik des 20. Jahrhunderts bereits vollzogen wurde. Er muß sich also der Kritik von Karl Marx stellen, die mit rücksichtslosem Griff die Ideologie-Enthüllung aller vom wirtschaftlichen Interesse verfälschten inneren Werte vollzieht.

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LeerEine Ideologie entsteht aus der Koppelung der Idee mit einem wirtschaftlichen oder politischen oder erotischen Interesse. Da wird die Idee zum Flügelpferde, das man vor seinen mit Interessen beladenen Wagen spannt, zum Pegasus im Joch, an dem nun „der Vogel und der Ochs an einem Seile” ziehen (Schiller). So wird zum Beispiel die „Höflichkeit” zur ldeologie in der Trübung der Höflichkeit des Herzens durch das Geschäftsinteresse. Nun wird sie zum „interessierten” Verhalten, das mit dem Wechsel von Angebot und Nachfrage steigt oder fällt. So wird die Gerechtigkeit zur Ideologie, wenn sie in jeweilige Machtinteressen eingespannt wird, wenn sie diesen Interessen dient, sie „Rechtsgültig” macht, anstatt umgekehrt die Macht unter das Recht zu beugen. So wird die „Frömmigkeit” zur Ideologie, wenn der Gottesdienst zur frommen Leistung und zum Verdienst des Menschen wird, oder wenn sie zur Sublimierung erotischer Gefühle mißbraucht wird.

LeerMan muß sich der Demaskierung von Friedrich Nietzsche stellen, welcher die Herkunft der durchschnittlichen „Moral” aus dem Willen zur Macht durchschaut: Die „Guten” sind ursprünglich „die Vornehmen, Mächtigen, Höhergestellten” (Genealogie der Moral). Nietzsche wußte, daß „das meiste bewußte Denken eines Philosophen durch seine Instinkte heimllich geführt und in bestimmte Bahnen gezwungen” wird, und er hat in der Enthüllung des Ressentiments die sublimierte geistige Rache der Ohnmächtigen durchschaut, die durch ihre Umkehrung des „werte-setzenden Blicks” den Gegner in der menschlichen Freund-Feindsituation entwerten (ebenda). Er hat endlich den Begriff der Sublimierung geprägt, der dann in der Psychotherapie eine so aufschlußreiche Kategorie wurde. Hiernach gibt es, streng gefaßt, weder ein unegoistisches Handeln, noch ein völlig interesseloses Anschauen, es sind beides nur Sublimierungen, bei denen das Grundelement fast verflüchtigt erscheint und nur noch für die feinste Beobachung sich als vorhanden erweist (Menschliches, Allzumenschliches I).

LeerMan muß Sigmund Freud standhalten, der den „Anteil des Egoistis ch-Bösen” in der menschlichen Natur aufdeckt und die Frage stellt: „Ist Ihnen nicht bekannt, wie unbeherrscht und unzuverlässig der Durchschnitt der Menschen in allen Angelegenheiten des Sexuallebens ist?” (Vorlesung zur Einführung in die Psychoanalyse 1930).

LeerUnd man muß endlich wieder den Ruf zur Buße hören, der in radikaler Ideologie-Enthüllung die Urmacht des Bösen enthüllt und die Urschuld des Menschen aufhellt, die wie ein Waldbrand wächst von Geschlecht zu Geschlecht, bis im Mysterium Christi: in Offenbarung, Opfer und Wandlung, für die Entsühnung des Menschengeschlechtes und die Vergebung seiner Schuld die Bahn frei wird. So allein entrinnt der Mensch seiner heillosen Lage und gewinnt er das Heil in der Tiefe seiner heilen, das ist seiner ganzen geheilten und geheiligten Existenz.

LeerErst in diesem geistesgeschichtlichen Zusammenhang erkennt man die tiefsten Wurzeln für den Zusammenbruch des Individualismus, in welchem der Mensch meinte, unmittelbar zu Gott zu sein und mit sich selbst fertig zu werden. Die große Täuschung dieser Lebensanschauung wird von der heutigen Psychologie durchschaut und in der Lebenskrise Tausender offenbar. Der Preis, den der Mensch für diese Täuschung des Zeitgeistes zahlen mußte, ist die Neurose. Und so kommen heute Psychotherapie und praktische Theologie zu dem gleichen Ergebnis: „Es ist einfach nicht wahr, daß der Mensch 'mit sich selber' fertig wird. Er wird eben nicht 'fertig', sondern er wird krank” (A. D. Müller, Grundriß der Praktischen Theologie, Seite 319). Und so ist diese Erkenntnis zu Ende zu denken: Er wird nicht nur krank, er wird schuldig. Die Schuldfrage ist die tiefste Existenzfrage des Menschen.

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LeerMan muß aber den Stollen der Besinnung in die Tiefe treiben, um das zu erkennen. Denn der Mensch, der vor Gott schuldige Mensch, hat ein heimliches Interesse daran, seine Schuld zu leugnen oder zu verharmlosen, sicz zu entschuldigen oder sich zu rechtfertigen. Wo das mißlingt, verschweigt man seine Schuld. In einem schweren Schicksal will ein Mensch sich aussprechen, seine Schuld will er verschweigen. Nicht allein vor andern, sondern auch vor sich selbst. Darum verdrängt man die Schuld, drängt sie in immer tiefere Räume des unbewußten. Dort aber, in der Tiefe des Kerkers Ich, stöhnt die gefangene Seele: da ich es wollte verschweigen, verschmachteten alle meine Gebeine durch mein täglich Heulen, sagt der Psalmist (Ps .32, 3). Ein treffendes Bild für die tiefenpsychologische Situation des Menschen, der vergessen möchte und nicht vergessen kann, der nicht „fertig” wird mit seiner Schuld. Der Mensch hat sich in seiner Schuld gewissermaßen selbst verhaftet. Die Seele ist im Schuldturm gefangen. Aber die Riegel dieses Gefängnisses können nur von innen aufgestoßen werden. Sie heißen Stolz und Scham. Der Stolz will vergessen, was geschah. Stolz und Gedächtnis, sagt Nietzsche, liegen miteinander im Streit: Das habe ich getan, sagt mein Gedächtnis; Das kann ich nicht getan haben, sagt mein Stolz. Und schließlich gibt das Gedächtnis nach. Die Scham aber brennt in der Tiefe weiter und schafft einen Krankheitsherd, der sich in gesteigerter Empfindlichkeit auswirkt, der den Menschen krank macht an Leib und Seele. Hysterie und Neurose sind die Symptome des in der Tiefe gespaltenen Bewußtseins.

LeerAnstatt aber sich auszusprechen, steigt der schuldige Mensch immer tiefer in sich selbst hinein, drängt er die Schuld in immer tiefere Seelenräume ab. Das Gefälle des schuldigen Menschen ist die Verdrängung, solange er nichts weiß von der befreienden Kraft der Vergebung. Wer von dem Gebeimnis der Vergebung nichts weiß, muß seine Schuld verschweigen; denn es ist gefährlich, seine Schuld zuzugeben, weil damit die Existenz auf dem Spiele steht. Wer im Raum der menschlichen Gemeinschaft seine Schuld bekennt, der ist in Gefahr, sich preiszugeben. Denn nun hat der andere, der um meine Schuld weiß, mich in der Hand und kann mich verraten oder vernichten. Die Schuld des Menschen ist der Ehrenpunkt und der dunkelste Punkt meines Lebens. Man kann die Schuldfrage als Waffe gebrauchen im privaten und im öffentlichen Leben. Mit der Aufdeckung der Schuld kann man die bürgerliche Existenz des einzelnen und die politische Existenz des Volkes zerstören. Das ist das Ziel der Schaugerichte im politischen Kampf, daß man einen Menschen oder eine ganze Gruppe von Menschen zuerst schuldig macht und dann schuldig spricht, um die Betroffenen, wie es in der kalten und grausamen Sprache der Politik heißt, moralisch zu liquidieren. Denn im menschlichen Raum gibt es keine Vergebung, sondern nur Vergeltung. Nur wo die Liebe die Schuld aufdeckt, führt sie den Menschen zur Befreiung seines Lebens und zu einem neuen Anfang mit Gott. Doch muß es die heilige Liebe sein, die sich nicht erbittern läßt und die das Böse nicht zurechnet, die mit dem schuldigen Menschen nicht abrechnen will, sondern vielmehr verstehen und tragen, entsühnen und heilen will. Das Beschreiten dieses inneren Weges geschieht im Raum der Kirche, sofern wir unter „Kirche” hier das Kraftfeld heiligen Geistes verstehen, in dem die seelischen Kräfte entbunden werden.

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LeerDoch muß man den seelischen Tiefgang wagen, um durchzubrechen zum neuen Leben. Das Verständnis für die Schulderfahrung des Menschen führt durch vier Stufen: Lebensschuld, Lebenslüge, Lebensangst und Lebensrettung.

1.

LeerWo im Menschenleben eine offene Schuld ist, die nicht gesühnt und nicht bedeckt wird, da brennt sie wie eine heimliche Wunde. Schon wenn einer Schulden hat, die nicht gedeckt werden können, steht er vor dem Bankrott, vor der Vernichtung seiner bürgerlichen Existenz. Wieviel mehr bedrängt uns die Schuld am Nächsten, spaltet das Bewußtsein auf und führt in die Vertrauenskrise. Die tiefste Lebenskrise aber ist die Schuld vor Gott, die Sünde. Sünden sind nicht Laster, sondern ihr Herd ist die Sünde: das verfehlte Leben des Menschen in der Gottesferne und in der Gottesfeindschaft. Laster sind faule Früchte am Baum des Lebens, Sünde aber ist die kranke Wurzel. Aus der Sünde wächst die Krise der Existenz, die Krankheit zum Tode. Wie in der Krise einer Krankheit die Entscheidung fällt: Tod oder Durchbruch des neuen Lebens, so fällt in der Existenzkrise die Entscheidung zwischen seelischem Siechtum oder tieferer Lebensweise, wenn die Schuld vor Gott erkannt, bekannt und - vergeben wird: wohl dem Menschen, dem die Ubertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedeckt ist (Ps. 32, 1). Die Nähe Gottes aber bedeutet, daß sich der Mensch in einer tödlichen Gefahrenzone befindet. Darum begibt man sich auf die Flucht vor Gott. Man will seine Lebensschuld nicht wahr haben und fühlt sie doch und weicht ihr aus in die Lebenslüge.

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LeerDie Flucht in die Lebenslüge verdrängt die Schuld. Aber die heimliche Schuld ist nun der seelische Unruheherd, der sich im Fieber der Selbstrechtfertigung auswirkt. Der wesenhaft schuldige Mensch hat das ständige Bedürfnis, sich selbst zu rechtfertigen, sich zu entschuldigen und andere zu beschuldigen. Das Versteckspiel der ersten Menschen wiederholt sich immer wieder. Wo der Mensch die wissende, warnende Stimme hört, wo er sich gefragt weiß: Wo bist Du? da versteckt er sich hinter Ideologien und großen Worten. Oder er antwortet in irgendeiner Abwandlung: Das Weib, das du mir gabst, hat mich verführt (1. Mos. 3, 8-13). Trifft ihn aber ein richtendes Auge oder ein Wort, das seine Lebensschuld aufdeckt, so begegnet er dem andern mit Ressentiment: er versucht den andern zu entwerten, er entwirft von ihm das Zerrbild des „Moralisten”, er verfälscht die Situation, wird unsachlich und empfindlich. In den unbewußten seelischen Schichten stürzt er in die Angst, die sich im Haß zur Wehr setzt; er haßt das Licht und kommt nicht an das Licht, auf daß seine Werke nicht enthüllt werden (Joh. 3,19). Die Lebenslüge findet immer andere Schleichwege. Man wahrt das Gesicht vor der Öffentlichteit, man rechtfertigt sich vor sich selber und zieht sich zurück in das Gehäuse seiner „Weltanschauung”, in welcher die Schuldfrage verharmlost oder endlich geleugnet wird. Indessen, tief unten im Keller der Seele wächst unheimlich die Lebensangst.

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Leer„Da ich es wollte verschweigen, verschmachteten alle meine Gebeine durch mein täglich Heulen. Denn deine Hand war Tag und Nacht schwer auf mir” (V. 3-4). Der Selbstbetrug führt zur Selbstvergiftung. Und was am Tage zugedeckt wird durch Ablenkung und Zerstreuung, durch laute (allzu laute!) Selbstsicherheit und Geltungsdrang, das steigt in den Träumen der Nacht wieder herauf. Über den unbewußten Schichten der Seele liegt ein Bann, der sich in Depressionen und Neurosen auswirkt. Der schuldige Mensch ist krank an Leib und Seele, und „weiß” nicht warum; denn er will es nicht wissen. Bis er eines Tages im tiefen Erschrecken über sich selbst zum heilsamen Erwachen gelangt und die Hände des Retters ergreift. Nun versteht er: die Bedrohung des Lebens durch Gott ist auch die Lebensrettung. Im Gericht ist die Gnade verborgen. Gottes Gnade aber ist nicht billig zu haben, sie fordert das Bekenntnis unserer Schuld. Die Lebensrettung ist die Beichte.

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Leer„Darum bekannte ich dir meine Sünde und verhehlte meine Missetat nicht” (V. 5). Beichten aber ist gefährlich, und man soll auch nicht jedem beliebigen Menschen beichten, weil die Gefahr besteht, daß man sich preisgibt, daß man sich dem andern in die Hand gibt. Zum Beichtehören gehört eine wissende und tragende Liebe, eine tiefe Lebenreife und eine priesterliche Vollmacht. - Weil man die Gefahrenzone fühlt, in der die Beichte steht, darum begibt sich der heutige Mensch an dieser Wegscheide von neuem auf die Flucht; denn es fehlt ihm die kirchliche Erziehung zur Beichte. Mit der reformatorischen Ablehnung des Beichtzwanges als einer wahrhaft seelengefährlichen Vergewaltigung des Gewissens ist in der Geschichte des Protestantismus auch die Beichte selbst verfallen. Nun hat der Mensch zwei Fluchtmöglichkeiten. Entweder sagt er als „guter Protestant”: beichten, das ist ja katholisch! Darauf ist zu antworten, daß die Beichte ein tiefstes Anliegen Martin Luthers war. Er wollte „lieber alles verlieren, denn von der Beichte das geringste Stücklein aus der Kirche kommen zu lassen”. Ja, man kann sagen: die Beichte ist das Herzstück der lutherischen Theologie. Denn in der Beichte wird es ja konkret und praktisch, daß ein Mensch auf alle Selbstrechtfertigung verzichtet, daß er sich demütigt in dem Wissen, daß er auf Gottes Gnade angewiesen ist. Weil aber kein Mensch „unmittelbar zu Gott” ist, weil er sich das Wort der Vergebung sagen muß, darum braucht er den priesterlichen Menschen, welcher Sachkenntnis hat in den vielschichtigen und gefährlichen Fragen der Seelenführung und welcher Vollmacht hat, Sünde zu vergeben. (Vgl. die Schrift von Otto Glüer: Die Beichte und das Sakrament des Freispruchs. Ev. Verlagsanstalt, Berlin.)

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LeerDie andere Ausflucht lautet: Der „moderne Mensch” beichtet dem Arzt und nicht dem Pfarrer; denn der Arzt ist jenseits von gut und böse; in der Aussprache gegenüber dem Arzt begibt man sich in eine neutrale Zone. Hier wird die Schuld als Krankheit gewertet und - entwertet, weil sie verharmlost wird, weit ihr der Stachel der Verantwortung genommen wirc, der Verantwortung vor Gott, die dem Menschen zu allererst seine Würde verleiht. Das ist, nach einem Worte Hegels, die Würde des Menschen, daß er Schuld haben kann: „nur das Tier ist wahrhaft unschuldig”. „Statt zum Sakrament floh ich zur Wissenschaft”, so hat Gertrud von le Fort diesen Fluchtweg des modernen Menschen gekennzeichnet (im „Schweißtuch der Veronika”): und ich „empfing von ihm die einzige Absolution, welche die Welt zu spenden vermag, nämlich die Absolution des Psychiaters, vor dem es keine Sünde gibt, die nicht vergeben werden kann, weil es ja keine Seele gibt, die sich Gott versagen kann.

LeerUnd diese Absolution hat mit jenen furchtbaren Frieden verliehen, von welchem heute Tausende leben, deren Krankheit nichts anderes ist, als daß sie den Frieden mit Gott verschmähten.” Wer aber zum Gottesfrieden kommen will, der muß den tödlichen Ernst seiner Sünde erkennen und die echte Beichte wagen als das Gespräch des Menschen im Angesicht Gottes. Dazu bedarf er des Seelsorgers, der um die seelischen Tiefen weiß und den Abgrund der Schuld nicht beschönigt. Dazu bedarf er des Menschen, der das priesterliche Amt bekleidet, der ihm den priesterlichen Dienst tun kann: der in demütiger Liebe ein Mit-Wissender und ein Mit-tragender ist, und dem doch Christus die Vollmacht gab, Sünde zu vergeben - im Namen Gottes. Das aber bedeutet Befreiung. Wer auf Selbstrechtfertigung, auf alle Verschleierung und Verharmlosung seiner Schuld verzichtet, wer sich aus der Hand gibt in die Hände Gottes, der erfährt die Lebenshilfe des priesterlichen Menschen, der mit mir redet, der mir zur Selbstklärung hilft, der mich trägt und tröstet im Angesichte Gottes. Er steht im Dienst des Königs der Wahrheit, welcher sagt: Ich stehe vor der Tür und klopfe an. So jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich eingehen (Off. 3, 20). Doch muß der angerufene Mensch die Tür seines Gefängnisses von innen her auftun, er darf das Licht der Wahrheit nicht scheuen, er muß sich dem Gerichte Gottes stellen und aus der Tiefe rufen:
Wir bitten nicht! schlag zu, o Gott, schlag zu!
Wir löschen unser Licht, nun leuchte Du. (Gerhard Schumann.)
LeerWenn Beichte diese konkrete Lebenshilfe sein kann, die den in sich selbst gefangenen Menschen in die Freiheit und in den Frieden Gottes führt, wenn aber die Beichte auch eine Gefahr sein kann, weil hier der Mensch sich selber preisgeben und in die Hände der Menschen fallen kann, dann ist zu fragen: wer darf Beichte hören? Darauf ist zu antworten: wer selbst zur Beichte geht und wer ein priesterliches Amt bekleidet. Wer selbst zur Beichte geht, versteht sich selbst als Sünder unter Sündern. Er erhebt sich nicht über den andern, sondern stellt sich unter seine Last als der mit-schuldige, mit-betroffene Mensch. Wer das priesterliche Amt bekleidet, der handelt nicht im eigenen Namen, sondern im Namen dessen, der allein Vollmacht hat, Sünde zu vergeben. Seine Tugend ist die Verschwiegenheit. Als in Prag der Erzpriester Nepomuk das Beichtgeheimnis der Königin Johanna nicht preisgeben wollte, da ließ ihn der König Wenzel in die Moldau stürzen und ertränken. Seitdem ist er der Brückenheilige in den Ländern der Donau und des Mains. Er wird uns zur symbolischen Gestalt des Beichtvaters, so als wollte er sagen: auf diese Brücke kannst du treten! Wer Beichte hört, muß wissen, wie tief das Beichtsiegel ihn verpflichtet zum Schweigen bis in den Tod. Wer Beichte hört, soll aber nicht allein ein verschwiegener, er soll auch ein schweigender Mensch sein. Er muß schweigen und warten, schweigen und hören. Muß warten auf die Stunde der Gnade und auf den wunderbaren Augenblick, in dem die Seele sich der Seele offenbart. So „hört” er die Beichte des Bruders: er hört ihm bis zum letzten Satze zu, bis er von selber sinkt in stumme Ruh / Und wartet immer noch und fühlt ihm an, was er aus tiefster Not nicht sagen kann. (Johannes Günther.) Dietrich Bonhoeffer, der Blutzeuge des Dritten Reiches, hat uns gesagt, Beichte bedeute dreierlei: Durchbruch zur Gemeinschaft, Durchbruch zum Kreuz und zum Leben.

LeerZuerst der Durchbruch zur Gemeinschaft. Wir sind alle einsam in unserer Sünde (Anm. 3). Sein böses Wesen muß man verschweigen. Man kann und darf nicht jedem Menschen beichten, weil man sich damit preisgibt. Und gefährlich ist es, in die Hände der Menschen zu fallen. Aber der schuldige Mensch versteckt sich auch vor Gott, er scheut das Licht und kommt nicht an das Licht und weicht dem Rufer im Gewissen aus. Darum ist unsere Gemeinschaft nur Schein. Wir trauen einander nicht, vertrauen uns dem andern nicht an. Wir wahren das Gesicht, die fromme Maske. Wir täuschen einander Frömmigkeit vor und sind doch Sünder: „Unausdenkbar das Entsetzen vieler Christen, wenn auf einmal ein wirklicher Sünder unter die Frommen geraten wäre.” Sind wir nicht alle immer noch Moralisten? Zucken wir nicht die Achseln über den Mitmenschen, der den Schritt vom Wege tat? Wenden wir uns nicht ab? Fragen wir nicht im Stillen. „Wie kann man . . .?”, anstatt zu fragen: „Wie kann ich - Dir in Deiner Not helfen?” Sind wir nicht christliche Pharisäer, die sich entrüsten, wenn einer mit Sündern zu Tische sitzt? Trifft uns nicht die Ironie des Christuswortes: „Ich bin gekommen, Sünder zur Buße zu rufen und nicht - die Frommenl” (Matth. 9, 13). Freilich, zur Buße: zur Umkehr, zum Umbruch der ganzen Existenz. Das Herrenwort pflügt uns um und reinigt unsern Acker. Trifft sein Wort, so weiß man: Wir werden alle aneinander schuldig. Wir müssen immer wieder uns begegnen und immer wieder durch einander leiden, bis wir dereinst dies alles segnen (Chr. Morgenstern). Denn da, wo Schuld bekannt und vergeben wird, da wächft - auf gereinigtem Boden - die echte Gemeinschaft. Da tragen wir einer des andern Last, weil uns die Liebe Christi trägt. „Nun darfst du Sünder sein und doch der Gnade Gottes froh werdenl”

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LeerZum andern geschieht in der Beichte der Durchbruch zum Kreuz. Die Wurzel aller Sünde ist der Hochmut. „Geist und Fleisch des Menschen sind vom Hochmut entzündet.” Die Beichte aber, das Bekenntnis unserer Schuld, schlägt den Hochmut nieder. Da wird unser Ichmensch ans Kreuz geschlagen, da brennt die Scham uns rein. In der Beichte bejahen wir unser Kreuz: „Der alte Mensch stirbt, aber über ihn hat Gott gesiegt.”

LeerUnd endlich, Beichte ist der Durchbruch zum neuen Leben. Beichten ist ja eine Reifestufe der christlichen Existenz. Nicht jeder kann oder will beichten. Wer beichtet, tritt damit ein in den Raum der Christusherrschaft. Ist aber jemand „in Christus” (und nicht in sich selbst verschlossen), so ist er ein neuer Mensch geworden. Das Alte ist vergangen. Wer beichtet, hat mit seiner Vergangenheit gebrochen. Damit ist auch die Herrschaft der Sünde gebrochen. Und darum ist Beichte Befreiung. Wer beichtet, wird frei von sich selbst und frei für Gott. Im Vorgang der Beichte geschieht etwas mit mir, ein Entschlackungsprozeß meines seelischen Organismus und dadurch ein Gesundungsprozeß: Das Alte ist vergangen, es ist alles neu geworden.

LeerDarum soll man wissen, daß man im Raum der Christusherrschaft vor dem Bruder und Priester seine Sünden bekennen darf, weil Christus selber gekommen ist, Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Gerechten. Weil er selbst uns zuruft: Kommt her zu Mir, ihr Mühseligen, ihr Belasteten, ihr SchuIdbeladenen, siehe, Ich stehe vor der Tür und klopfe an! Aber noch einmal: Nur von innen her kann das Tor der Seele geöffnet werden, denn Gott wendet sich an den Willen und ehrt die Freiheit des Menschen. Darum bittet der Seelsorger als Botschafter an Christi Statt: Laßt euch versöhnen mit Gottl Brecht durch zur Gemeinschaft, zum Kreuz und zum Leben!


Anmerkungen:

1: W. Uhsadel, Überwindung seelischer Krisen. Ev. Jahresbriefe, Fastenbrief 1951, S. 47.
2: Vgl. Uhsadels „Der Mensch und die Mächte des Unbewußten”, Johannes Stauda Verlag, Kassel, 1952, Haendlers „Predigt”, Töpelmann 1949, und Müllers „Grundriß der praktischen Theologie”, Gütersloh 1950.
3: Ich berichte im folgenden den Gedankengang Bonhoeffers und knüpfe daran an. Vgl. D. Bonhoeffer : Gemeinsames Leben. München 1949.


Evangelische Jahresbriefe 1952, S. 52-56 und 95-98

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-29
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