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von Kurt Plachte |
Nach einem chinesischen Weisheitswort muß der Mensch viele Tore durchschreiten, wenn er in der Tiefe gewandelt werden will. 5o allein gelangt er zur Überwindung seiner seelischen Krisen, „daß er als ein Gesammelter, Geordneter und Gewandelter einen Lebensweg finden würde, wo er im Augenblick seiner Verstörtbeit nichts sieht” (Anm. 1). Solange aber ein Mensch noch nicht, um mit Kierkegaard zu reden, „sich selbst ganz durchsichtig” geworden ist, solange er noch nicht den Abgrund seiner gott-losen Existenz durchschaut, wirkt sich die Heillosigkeit seiner Existenz, seiner „Krankheit zum Tode”, als Neurose aus. die Psychotherapie, welche den von den Mächten des Unbewußten Umgetriebenen als „krank” anspricht, ist heute auf dem Wege, den Herd, oder jedenfalls einen Herd seiner Krankheit in einer heimlichen und uneingestandenen Schuld zu erkennen. Hier ist daher der geistesgeschichtliche Ort, an dem es zur Begegnung zwischen Psychotherapie und Seelsorge kommt, wo das sachliche Gespräch zwischen Arzt und Seelsorger fruchtbar zu werden beginnt.
Es ist das Verdienst der Pädagogik und praktischen Theologie von Walter Uhsadel, Otto Haendler und Alfred Dedo Müller, diese Zusammenhänge aufzuzeigen und damit Psychologie und Theologie aus der unfruchtbaren Isolierunq eines in sich verschlossenen Spezialistentums zu befreien (Anm. 2). Hier wie auf der andern Seite in den Schriften von C. G. Jung (vgl. die „Beziehungen der Psychotherapie zur Seelsorge”, 1932), Fritz Künkel , Weizsäcker und anderen Ärzten der Gegenwart wird sichtbar, daß die tiefsten Probleme menschlicher Lebensnot unter verschiedenen Aspekten angegangen werden müssen, daß sich die psychologische und die theologische Blickrichtung überschneiden und ergänzen müssen, um den konkreten Menschen in den Blick zu bekommen, um in Diagnose und Therapie bzw. im Ruf zur Umkehr und auf dem Weg der Wandlung diejenigen Lebenshilfen zu geben, durch welche die Heillosigkeit der menschlichen Situation überwunden und ausgeheilt werden kann. Man muß sich der Demaskierung von Friedrich Nietzsche stellen, welcher die Herkunft der durchschnittlichen „Moral” aus dem Willen zur Macht durchschaut: Die „Guten” sind ursprünglich „die Vornehmen, Mächtigen, Höhergestellten” (Genealogie der Moral). Nietzsche wußte, daß „das meiste bewußte Denken eines Philosophen durch seine Instinkte heimllich geführt und in bestimmte Bahnen gezwungen” wird, und er hat in der Enthüllung des Ressentiments die sublimierte geistige Rache der Ohnmächtigen durchschaut, die durch ihre Umkehrung des „werte-setzenden Blicks” den Gegner in der menschlichen Freund-Feindsituation entwerten (ebenda). Er hat endlich den Begriff der Sublimierung geprägt, der dann in der Psychotherapie eine so aufschlußreiche Kategorie wurde. Hiernach gibt es, streng gefaßt, weder ein unegoistisches Handeln, noch ein völlig interesseloses Anschauen, es sind beides nur Sublimierungen, bei denen das Grundelement fast verflüchtigt erscheint und nur noch für die feinste Beobachung sich als vorhanden erweist (Menschliches, Allzumenschliches I). Man muß Sigmund Freud standhalten, der den „Anteil des Egoistis ch-Bösen” in der menschlichen Natur aufdeckt und die Frage stellt: „Ist Ihnen nicht bekannt, wie unbeherrscht und unzuverlässig der Durchschnitt der Menschen in allen Angelegenheiten des Sexuallebens ist?” (Vorlesung zur Einführung in die Psychoanalyse 1930). Und man muß endlich wieder den Ruf zur Buße hören, der in radikaler Ideologie-Enthüllung die Urmacht des Bösen enthüllt und die Urschuld des Menschen aufhellt, die wie ein Waldbrand wächst von Geschlecht zu Geschlecht, bis im Mysterium Christi: in Offenbarung, Opfer und Wandlung, für die Entsühnung des Menschengeschlechtes und die Vergebung seiner Schuld die Bahn frei wird. So allein entrinnt der Mensch seiner heillosen Lage und gewinnt er das Heil in der Tiefe seiner heilen, das ist seiner ganzen geheilten und geheiligten Existenz. Erst in diesem geistesgeschichtlichen Zusammenhang erkennt man die tiefsten Wurzeln für den Zusammenbruch des Individualismus, in welchem der Mensch meinte, unmittelbar zu Gott zu sein und mit sich selbst fertig zu werden. Die große Täuschung dieser Lebensanschauung wird von der heutigen Psychologie durchschaut und in der Lebenskrise Tausender offenbar. Der Preis, den der Mensch für diese Täuschung des Zeitgeistes zahlen mußte, ist die Neurose. Und so kommen heute Psychotherapie und praktische Theologie zu dem gleichen Ergebnis: „Es ist einfach nicht wahr, daß der Mensch 'mit sich selber' fertig wird. Er wird eben nicht 'fertig', sondern er wird krank” (A. D. Müller, Grundriß der Praktischen Theologie, Seite 319). Und so ist diese Erkenntnis zu Ende zu denken: Er wird nicht nur krank, er wird schuldig. Die Schuldfrage ist die tiefste Existenzfrage des Menschen. Anstatt aber sich auszusprechen, steigt der schuldige Mensch immer tiefer in sich selbst hinein, drängt er die Schuld in immer tiefere Seelenräume ab. Das Gefälle des schuldigen Menschen ist die Verdrängung, solange er nichts weiß von der befreienden Kraft der Vergebung. Wer von dem Gebeimnis der Vergebung nichts weiß, muß seine Schuld verschweigen; denn es ist gefährlich, seine Schuld zuzugeben, weil damit die Existenz auf dem Spiele steht. Wer im Raum der menschlichen Gemeinschaft seine Schuld bekennt, der ist in Gefahr, sich preiszugeben. Denn nun hat der andere, der um meine Schuld weiß, mich in der Hand und kann mich verraten oder vernichten. Die Schuld des Menschen ist der Ehrenpunkt und der dunkelste Punkt meines Lebens. Man kann die Schuldfrage als Waffe gebrauchen im privaten und im öffentlichen Leben. Mit der Aufdeckung der Schuld kann man die bürgerliche Existenz des einzelnen und die politische Existenz des Volkes zerstören. Das ist das Ziel der Schaugerichte im politischen Kampf, daß man einen Menschen oder eine ganze Gruppe von Menschen zuerst schuldig macht und dann schuldig spricht, um die Betroffenen, wie es in der kalten und grausamen Sprache der Politik heißt, moralisch zu liquidieren. Denn im menschlichen Raum gibt es keine Vergebung, sondern nur Vergeltung. Nur wo die Liebe die Schuld aufdeckt, führt sie den Menschen zur Befreiung seines Lebens und zu einem neuen Anfang mit Gott. Doch muß es die heilige Liebe sein, die sich nicht erbittern läßt und die das Böse nicht zurechnet, die mit dem schuldigen Menschen nicht abrechnen will, sondern vielmehr verstehen und tragen, entsühnen und heilen will. Das Beschreiten dieses inneren Weges geschieht im Raum der Kirche, sofern wir unter „Kirche” hier das Kraftfeld heiligen Geistes verstehen, in dem die seelischen Kräfte entbunden werden. Und diese Absolution hat mit jenen furchtbaren Frieden verliehen, von welchem heute Tausende leben, deren Krankheit nichts anderes ist, als daß sie den Frieden mit Gott verschmähten.” Wer aber zum Gottesfrieden kommen will, der muß den tödlichen Ernst seiner Sünde erkennen und die echte Beichte wagen als das Gespräch des Menschen im Angesicht Gottes. Dazu bedarf er des Seelsorgers, der um die seelischen Tiefen weiß und den Abgrund der Schuld nicht beschönigt. Dazu bedarf er des Menschen, der das priesterliche Amt bekleidet, der ihm den priesterlichen Dienst tun kann: der in demütiger Liebe ein Mit-Wissender und ein Mit-tragender ist, und dem doch Christus die Vollmacht gab, Sünde zu vergeben - im Namen Gottes. Das aber bedeutet Befreiung. Wer auf Selbstrechtfertigung, auf alle Verschleierung und Verharmlosung seiner Schuld verzichtet, wer sich aus der Hand gibt in die Hände Gottes, der erfährt die Lebenshilfe des priesterlichen Menschen, der mit mir redet, der mir zur Selbstklärung hilft, der mich trägt und tröstet im Angesichte Gottes. Er steht im Dienst des Königs der Wahrheit, welcher sagt: Ich stehe vor der Tür und klopfe an. So jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich eingehen (Off. 3, 20). Doch muß der angerufene Mensch die Tür seines Gefängnisses von innen her auftun, er darf das Licht der Wahrheit nicht scheuen, er muß sich dem Gerichte Gottes stellen und aus der Tiefe rufen: Wir bitten nicht! schlag zu, o Gott, schlag zu!Wenn Beichte diese konkrete Lebenshilfe sein kann, die den in sich selbst gefangenen Menschen in die Freiheit und in den Frieden Gottes führt, wenn aber die Beichte auch eine Gefahr sein kann, weil hier der Mensch sich selber preisgeben und in die Hände der Menschen fallen kann, dann ist zu fragen: wer darf Beichte hören? Darauf ist zu antworten: wer selbst zur Beichte geht und wer ein priesterliches Amt bekleidet. Wer selbst zur Beichte geht, versteht sich selbst als Sünder unter Sündern. Er erhebt sich nicht über den andern, sondern stellt sich unter seine Last als der mit-schuldige, mit-betroffene Mensch. Wer das priesterliche Amt bekleidet, der handelt nicht im eigenen Namen, sondern im Namen dessen, der allein Vollmacht hat, Sünde zu vergeben. Seine Tugend ist die Verschwiegenheit. Als in Prag der Erzpriester Nepomuk das Beichtgeheimnis der Königin Johanna nicht preisgeben wollte, da ließ ihn der König Wenzel in die Moldau stürzen und ertränken. Seitdem ist er der Brückenheilige in den Ländern der Donau und des Mains. Er wird uns zur symbolischen Gestalt des Beichtvaters, so als wollte er sagen: auf diese Brücke kannst du treten! Wer Beichte hört, muß wissen, wie tief das Beichtsiegel ihn verpflichtet zum Schweigen bis in den Tod. Wer Beichte hört, soll aber nicht allein ein verschwiegener, er soll auch ein schweigender Mensch sein. Er muß schweigen und warten, schweigen und hören. Muß warten auf die Stunde der Gnade und auf den wunderbaren Augenblick, in dem die Seele sich der Seele offenbart. So „hört” er die Beichte des Bruders: er hört ihm bis zum letzten Satze zu, bis er von selber sinkt in stumme Ruh / Und wartet immer noch und fühlt ihm an, was er aus tiefster Not nicht sagen kann. (Johannes Günther.) Dietrich Bonhoeffer, der Blutzeuge des Dritten Reiches, hat uns gesagt, Beichte bedeute dreierlei: Durchbruch zur Gemeinschaft, Durchbruch zum Kreuz und zum Leben. Zuerst der Durchbruch zur Gemeinschaft. Wir sind alle einsam in unserer Sünde (Anm. 3). Sein böses Wesen muß man verschweigen. Man kann und darf nicht jedem Menschen beichten, weil man sich damit preisgibt. Und gefährlich ist es, in die Hände der Menschen zu fallen. Aber der schuldige Mensch versteckt sich auch vor Gott, er scheut das Licht und kommt nicht an das Licht und weicht dem Rufer im Gewissen aus. Darum ist unsere Gemeinschaft nur Schein. Wir trauen einander nicht, vertrauen uns dem andern nicht an. Wir wahren das Gesicht, die fromme Maske. Wir täuschen einander Frömmigkeit vor und sind doch Sünder: „Unausdenkbar das Entsetzen vieler Christen, wenn auf einmal ein wirklicher Sünder unter die Frommen geraten wäre.” Sind wir nicht alle immer noch Moralisten? Zucken wir nicht die Achseln über den Mitmenschen, der den Schritt vom Wege tat? Wenden wir uns nicht ab? Fragen wir nicht im Stillen. „Wie kann man . . .?”, anstatt zu fragen: „Wie kann ich - Dir in Deiner Not helfen?” Sind wir nicht christliche Pharisäer, die sich entrüsten, wenn einer mit Sündern zu Tische sitzt? Trifft uns nicht die Ironie des Christuswortes: „Ich bin gekommen, Sünder zur Buße zu rufen und nicht - die Frommenl” (Matth. 9, 13). Freilich, zur Buße: zur Umkehr, zum Umbruch der ganzen Existenz. Das Herrenwort pflügt uns um und reinigt unsern Acker. Trifft sein Wort, so weiß man: Wir werden alle aneinander schuldig. Wir müssen immer wieder uns begegnen und immer wieder durch einander leiden, bis wir dereinst dies alles segnen (Chr. Morgenstern). Denn da, wo Schuld bekannt und vergeben wird, da wächft - auf gereinigtem Boden - die echte Gemeinschaft. Da tragen wir einer des andern Last, weil uns die Liebe Christi trägt. „Nun darfst du Sünder sein und doch der Gnade Gottes froh werdenl” Und endlich, Beichte ist der Durchbruch zum neuen Leben. Beichten ist ja eine Reifestufe der christlichen Existenz. Nicht jeder kann oder will beichten. Wer beichtet, tritt damit ein in den Raum der Christusherrschaft. Ist aber jemand „in Christus” (und nicht in sich selbst verschlossen), so ist er ein neuer Mensch geworden. Das Alte ist vergangen. Wer beichtet, hat mit seiner Vergangenheit gebrochen. Damit ist auch die Herrschaft der Sünde gebrochen. Und darum ist Beichte Befreiung. Wer beichtet, wird frei von sich selbst und frei für Gott. Im Vorgang der Beichte geschieht etwas mit mir, ein Entschlackungsprozeß meines seelischen Organismus und dadurch ein Gesundungsprozeß: Das Alte ist vergangen, es ist alles neu geworden. Darum soll man wissen, daß man im Raum der Christusherrschaft vor dem Bruder und Priester seine Sünden bekennen darf, weil Christus selber gekommen ist, Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Gerechten. Weil er selbst uns zuruft: Kommt her zu Mir, ihr Mühseligen, ihr Belasteten, ihr SchuIdbeladenen, siehe, Ich stehe vor der Tür und klopfe an! Aber noch einmal: Nur von innen her kann das Tor der Seele geöffnet werden, denn Gott wendet sich an den Willen und ehrt die Freiheit des Menschen. Darum bittet der Seelsorger als Botschafter an Christi Statt: Laßt euch versöhnen mit Gottl Brecht durch zur Gemeinschaft, zum Kreuz und zum Leben! Anmerkungen:
Evangelische Jahresbriefe 1952, S. 52-56 und 95-98 |
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