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von Ernest Forrester-Paton |
In alten Zeiten, viele Jahrhunderte vor Christi Geburt, pflegten sich in Indien ernsthafte Gottsucher aus dem tätigen weltlichen Leben zurückzuziehen und in äußerster Einfachheit im Wald in Einsiedeleien oder Ashrams zu leben. Es war vorgeschrieben, daß sich Eheleute nach einem praktischen Leben in der Familie, wenn ihre Kinder erwachsen waren und sie ihr erstes Enkelkind auf den Knieen gewiegt hatten, aus der Welt zurückziehen und sich religiöser Askese, Meditation und der Suche nach Wahrheit weihen sollten. Sie suchten sich irgendeinen Guru oder Religionslehrer und um diesen Guru erwuchsen Waldkolonien. Einige dieser Gurus waren besonders bekannt wegen ihrer großen religiösen Demut und Macht, und zu ihnen kamen junge Menschen, sowohl um ihnen zu dienen, als auch um von ihnen Unterweisung zu erhalten. So lesen wir schon vor Buddhas Zeit von einer Anzahl berühmter Ashrams, in denen die großen Religionswahrheiten der Upanishaden formuliert wurden und von denen Gottes Segen auf alles um sie herum ausstrahlte. Heute gibt es nur wenige Ashrams der beschriebenen Art. Aber es ist ein neuer Typ von Ashrams entstanden, vor allem durch die Ramakrishna-Mission und durch die großen Führer des Indien-Gedankens Rabindranath Tagore und Mahatma Gandhi. Diese modernen Ashrams sind keineswegs auf den Wald beschränkt, und ihr vordringliches Ziel ist auch nicht die religiöse Vollendung ihrer Mitglieder. Sie sind vielmehr Mittelpunkte der Vorbereitung auf den Pionierdienst, der aus einem disziplinierten religiösen Leben entsteht. Im Ashram gibt es überhaupt keine Kasten oder andere Schranken. Und das schöne Vertrauensverbältnis zwischen Guru und Schüler, das in den früheren Ashrams bestand, ist noch aufrechterhalten. Diese Ashrams haben bewiesen, daß sie die Zentren fast aller religiösen, sozialen und politischen Emanzipationsbewegungen sind, die in den letzten fünfzig Jahren über das Land gegangen sind. Sie kommen aus der Eigentümlichkeit des Volkes und sind der Ausdruck für vieles, was im indischen Leben am höchsten gilt. Es ist jetzt dreißig Jahre her, seit die drei ersten christlichen Ashrams zu arbeiten anfingen, und heute gibt es schon sechzehn verschiedene christliche Ashrams, meist in Südindien und zwei auf Ceylon. In dieser Bewegung ist das vorherrschende Motiv der Wunsch geworden, sich mit dem religiösen Erbe und den Hoffnungen der Menschen zu identifizieren, mit denen und für die wir arbeiten, und das christliche Leben in einer Art auszudrücken, die ihr Wesen anspricht. Jesus, der selbst die Gestalt eines Dieners angenommen und sich mit so großer Liebe und Vertraulichkeit unter seinen Schülern bewegt hat, ist dabei unser Vorbild. Manche mögen hier einwenden, daß wir auf dem gefährlichen Weg zum Synkretismus sind. Aber das hängt von unserem Glauben und unserer Erfahrung der Einmaligkeit und Macht des Evangeliums Christi ab. Wir glauben, daß das Evangelium eine lebendige Sache ist und darum nicht an den Buchstaben gebunden, sondern fähig, den Nöten und Besonderheiten seiner Umgebung entgegenzukommen, so daß es Indien ebenso wahrhaft wesensmäßig werden kann wie anderen Ländern. In den christlichen Ashrams gibt es gewisse Grundsätze, die wir uns immer vor Augen zu halten bemühen. Der erste ist, daß Gebet und Andachtsleben zentral sein müssen und daß unsere Aktivität und unser ganzes Tagewerk nur die Frucht sein sollten. Wir müssen uns bewußt aus Ihm nähren, wenn Seine Macht und Liebe Kette und Schuß im Gewebe unseres Lebens sein soll. Um dieser fortdauernden engen Beziehung willen ist es wesentlich für uns, bestimmte Zeiten des Tages auszusparen, in denen unser Körper, Geist und Seele gemeinschaftlich oder einzeln auf den Gottesdienst konzentriert werden können. Unser Gottesdienst muß Frucht tragen im Gehorsam gegen Christi Wort und besonders gegen Seinen großen Befehl, uns gegenseitig so zu lieben, wie Er uns geliebt hat, Das besagt eine tiefe Fürsorge füreinander, eine Bereitschaft, sich gegenseitig von ganzem Herzen zu vergeben, einer des anderen Last zu tragen und so zu leben, daß einer sich auf den anderen verläßt. Die Liebe Christi allein kann uns zu etwas machen und wir sehnen uns danach, daß viele Menschen aus anderen Ländern mit uns an dieser Bruderschaft der Liebe teilnehmen mögen. Der dritte Grundsatz ist der des Dienstes an unseren Nächsten im Geiste Christi. Da die große Mehrheit des indischen Volkes sehr arm ist, meinen wir, daß wir ihnen nur dann wahrhaft dienen können, wenn wir die Einfachheit ihres Lebens teilen. Die Art unseres Dienstes wird den Gaben entsprechen, die Gott uns gegeben hat, und die verschiedenen Ashrams haben verschiedene Dienste, um den besonderen Nöten der Menschen um sie zu begegnen. Zum Beispiel hat in Poona das Christa Prema Seva Sangha die besondere Berufung, vor den Studenten jener Stadt zu zeugen; darum betreiben sie ein Studenten-Hotel. Im Christava Ashram in Kottay,am haben sie ein Balagram entwickelt, das ist ein Heim und eine Gewerbescbule zur Erfassung der Straßenjungen. Das Christa Sishya Ashram eröffnet ein Erziehungs-Förderungswerk für zwei sehr zurückgebliebene Stämme in den Ausläufern der Nilgiri-Berge, und in dem Christu-Kula Ashram (Tirupattur) haben wir uns auf den Dienst unter den Dorfbewohnern mittels eines Hospitals, einer Schule und eines ländlichen Förderungswerkes konzentriert. Evangelisation (ebenso durch persönliche Gespräche wie durch Singen und Predigen), Unterricht und Erziehung christlicher Arbeiter und der Fürbitte-Gottesdienst, alles findet einen natürlichen Platz im Tagewerk der Ashrams. Das vierte Prinzip ist schwieriger zu erklären; denn es besteht in dem Versuch, jene Lebens- und Andachtsformen zu aktivieren, in denen das indische Herz Jahrhunderte lang nach Gott gestrebt hat. (Apostelgeschichte 17, 27.) Das umfaßt solche Probleme wie: Sich nicht an die Dinge der Welt hängen (Joh. 2, 15, 17), Kontrolle über unsere körperlichen Triebe (1. Kor. 6, 13), Ahimsa, d. i. Arglosigkeit gegen Menschen und Tiere (Römer 12, 19-21), freiwilliger Dienst (ohne Bezahlung) als Opfer für Gott (1. Kor. 9, 18) usw. Unsere Ashram-Familie ist allmählich gewachsen und umfaßt jetzt Mitglieder verschiedener Nationalitäten und Sprachen und von verschiedener wirtschaftlicher und erziehungsmäßiger Herkunft. Wir haben auch verschiedene Denominationen und für gewöhnlich auch einen oder zwei, die Sucher aus anderen Glaubensgemeinschaften heraus sind. Vier von uns sind zu lebenslänglicher Mitgliedschaft des Ashram verpflichtet, andere sind für ein oder mehrere Jahre als Volontär bei uns, einige auch als Besucher. Unsere Zahl schwankt zwischen fünfzehn und fünfundzwanzig. Wir teilen unsere einfachen indischen Mahlzeiten miteinander, während wir auf dem Fußboden sitzen und auf indische Weise mit den Fingern essen und einer oder zwei von uns abwechselnd bedienen. Diese Mahlzeiten sind oft Zeiten glücklichsten Gelächters und Scherzens, aber während einiger Essen bewahren wir Schweigen und einer ist dazu bestimmt, uns ein gutes Buch vorzulesen. Wir tragen auch einfache indische Gewänder und Sandalen, die nicht nur unser Gemeinschaftsgefühl stärken, sondern uns auch unter unseren ländlichen Nachbarn und Freunden heimisch machen. Aber Nächstenliebe ist nicht nur eine Angelegenheit des Teilens materieller Lebensbedürfnisse miteinander, die wirklichen Nöte kommen, wenn man lernt, die unterschiedlichen Begabungen und Tätigkeitsweisen gegenseitig zu achten, im treuen Miteinanderarbeiten, im Sich-gegenseitig-gehorchen während des gemeinsamen Lebens und Dienens und darin, den anderen für besser als sich selbst anzusehen. Wie leicht können kleine Eifersüchteleien und Empfindlichkeiten. entstehen, und wir können nur durch den Heiligen Geist, der Gottes Liebe in unsere Herzen ergießt, lernen, uns unsere Fehler gegenseitig einzugestehen und uns aus ganzem Herzen zu vergeben. So bemühen wir uns, die Eintracht des Geistes zu erhalten und zugleich Friedensstifter und Versöhner zu sein. Da Dr. Jesudason und ich Mediziner sind, war das erste Werk, das wir begannen, ein Hospital, zunächst für die ärmsten Dorfbewohner bestimmt, die aus einem Umkreis von 30-40 Meilen zu uns kommen. Die Schwerkranken werden in einem Ochsenkarren gebracht oder in ihren Betten aus Barnbusgestellen getragen. Wir beschäftigen keine bezahlten Diener im Hospital, weil wir meinen, daß wir uns alle daran beteiligen müssen, die niedrigeren Aufgaben zu tun, denn auf diese Weise können wir Christi Liebe vielleicht noch mehr offenbaren, als durch unsere berufliche Arbeit. Die Verwandten der Kranken arbeiten ebenfalls mit, helfen sehr viel im Krankenhausdienst, kochen für ihre kranken Angehörigen. Zu diesem Zweck ist ein Rasthaus in der Nähe vorgesehen. Wir haben ein schönes, gut ausgestattetes Krankenhaus mit Versorgungsmöglichkeit für etwa 70 Hauspatienten. Aber es hängt von der Zahl unserer Volontäre in der Ashram-Familie ab, für wie viele wir zu sorgen imstande sind. Diese einfachen Kinder lernen so selbstverständlich Gott zu vertrauen und zu ihm zu beten, weil sie ihn durch Christus und das Leben im Asbram kennengelernt haben; darum haben sie ihre Angst vor bösen Geistern verloren und oft ist ihr Leben für ihre Eltern ein Vorbild. Viele von ihnen haben wahren christlichen Geist gezeigt und verschiedene haben, nachdem sie alt genug waren, in einer benachbarten Dorfgemeinde die Taufe empfangen. Um unsere Ashram-Hütten und -Wohnungen haben wir Obstbäume und einen, Gemüsegarten. In der Nähe haben wir Pachtland, das wir für unseren Lebensunterhalt bebauen, und wir halten auch Kühe und Hennen. Für diese Landarbeit und in der Küche beschäftigen wir einige junge Burschen aus den umliegenden Dörfern. In der Nachweihnachtszeit schließen wir das Krankenhaus und wandern in ein oder zwei Gruppen in unserem Ashram-Ochsenkarren von Dorf zu Dorf, um an Punkten, wo wir alte Patienten oder Freunde haben, zwei oder drei Tage zu bleiben. Unsere Küchenvorräte, Medizinen und Lichtbilder nehmen wir mit, aber wir vertrauen darauf, daß die Dörfer uns an Unterkunft gewähren, was immer verfügbar sein mag, und oft versehen sie uns ebenso gut mit Nahrungsmitteln. Diese Fahrten sind sehr glückliche Zeiten und helfen uns dazu, miteinander und mit den Dorfbewohnern in die Gemeinschaft hineinzuwachsen. Zuweilen haben wir auch als Gruppe christliche Zentren besucht, um mit den Menschen dort engere Fühlung zu bekommen und vor ihnen vom christlichen Leben in Gemeinschaft, Gebet und Gottesdienst Zeugnis abzulegen. Viele Christen sind auf die eine oder andere Art in näheren Kontakt zu uns gekommen und einige sind ständige betende Freunde des Ashram geworden. In unserem Gottesdienst gebrauchen wir einiges aus dem reichen indischen Erbe an Gebet und Gesang, das eine Rechtfertigung in Christus findet. Die Lieder, die wir singen, sind von christlichen Dichtern geschrieben, einige beruhen auf den großen Hymnen, die uns im Westen vertraut sind, aber die große Mehrzahl sind Originalkompositionen. Wir singen diese Hymnen zu indischen Melodien, die unmittelbar eine Antwort im indischen Herzen erwecken. Jedes Ashram hat ein unabhängiges Wachstum und seine eigene Lebensordnung, die sich nach den Zwecken richtet, für die es begonnen wurde. Es gibt z. B. Ashrams, die von Frauen gegründet worden sind und in denen die Mitgliedschaft auf Frauen beschränkt ist. Es gibt andere Ashrams, in denen eine Männer- und eine Frauengruppe getrennt voneinander lebt, aber zu Gottesdienst und Andacht zusammenkommt, und es gibt drei Ashrams, die ganze Familien zu ihren Mitgliedern zählen, Wir halten das Zölibat nicht für wertvoller als das Eheleben, aber glauben, daß es in Gottes Gedanken einen bestimmten Platz im Aufbau seines Reichs für die besondere Berufung zum Zölibat gibt. So kann das asketische Element im indischen Erbe einen Beitrag zum protestantischen kirchlichen Leben und Denken leisten. Auf die gleiche Art weichen die Ashrams auch in ihrer Kirchen- oder Missionszugehörigkeit voneinander ab, obgleich das Streben dahin geht, alle Bekenntnisunterschiede zu vermindern. Einige sind endgültig mit einer Sonderkirche oder ihrer Botschaft verknüpft - mit der syrisch-orthodoxen Kirche von Malabar, der Mar Thoma-Kirche, der Kirche von Indien und der Methodisten-Kirche, andere Ashrams sind interkonfessionell und einige sind der Indischen Nationalen Missionsgesellschaft eng verbunden. Der in den Ashrams bestehende bruderschaftliche Geist zielt darauf hin, alle engen Grenzen zu überschreiten, und versucht, alle heimisch zu machen. Wir begrüßen im Christu-Kula Ashram auch religiös gesinnte Nicht-Christen, die kommen und an unserem Gottesdienst teilnehmen, aber volle Mitgliedschaft gibt es nur für Christen. Da die Ashrams Stätten der Übung und des Dienstes sind, streben sie primär nicht danach, sich selbst zu erhalten, sie verlassen sich lieber auf die freiwilligen Gaben von Freunden, wenn auch einige ein zusätzliches Einkommen aus der Mission oder anderen Quellen haben. Wir versuchen, miteinander nach dem Grundsatz der freiwilligen Gütergemeinschaft zu leben. Das hat sich in der Praxis gut bewährt. Unser Glaube ist dadurch ziemlich geprüft worden, daß wir den notwendigen Freiwilligen beistehen, in der Zucht und im Dienst weiterzukommen, mehr noch durch die Aufgabe, jene zu finden, die Gott ruft, um sich ständig dem Ashram-Leben zu weihen. Doch so oft sind unsere Gebete erhört worden und Arbeiter den Nöten entsprechend ergänzt worden. Wir freuen uns darüber, daß die Mitgliederzahl der Ashrams langsam aber stetig im Wachsen ist. In diesem Zusammenhang möchten wir hinzufügen, daß wir nicht nur in Indien nach Ashram-Mitgliedern suchen, sondern auch in anderen Ländern, die Gott aufrufen möge, sich mit Indien in dieser Art des Lebens und Dienens für das Gottesreich zu identifizieren. Unter diesem Gesichtspunkt halten wir durch Briefe und Besuche enge Verbindung mit Freunden in verschiedenen Zentren. Alle Ashrams begrüßen es, daß Gäste kommen und einige Tage mit ihnen verbringen, und von Zeit zu Zeit veranstalten einige Ashrams besondere Tagungen oder Besinnungen für studentische Gruppen oder andere Freunde. Wenn wir eingeladen werden, leiten wir auch besondere Begegnungen an christlichen Mittelpunkten und Studentenlagern. Auf diese Weise haben wir sehr viel Freunde kennengelernt, die sich dazu hingezogen fühlen, die gleichen Grundsätze, denen wir in unseren Ashrams zu folgen versuchen, in ihrer eigenen Umgebung anzuwenden, und die die Gemeinschaft im Gebet mit uns aufrechterhalten. Um diesen Zweck zu fördern, geben wir periodisch ein Ashram-Gebetrundschreiben heraus. Wir meinen, daß die Ashrams eine große Rolle dabei zu spielen haben, die Weltlichkeit und den Materialismus der Durchschnittschristen zu überwältigen und uns zu der Erkenntnis zu helfen, daß unser ganzes Leben (unsere Häuser, Arbeit, geldliche und soziale Bindungen) dem liebenden Willen und Vorhaben Gottes gehorsam sein muß. Und damit wird unser Leben in Christus sein. Wir sehnen uns nach der Zeit, in der wir Christen auf eine neue Weise verwirklichen werden, daß es in der Tat unsere Berufung ist, eine Heilige Nation und eine königliche Priesterschaft für Christus zu sein, und dann werden wir imstande sein, mit Macht vor den Nicht-Christen Zeugnis abzulegen. Wir glauben, daß die Ashram-Bewegung nicht auf Indien begrenzt ist, und an einer Anzahl von Plätzen sind bereits verwandte Typen christlicher Gemeinschaften am Werk gewesen. Könnte es nicht sein, daß hier ein Weg ist, auf dem Gott zu der verzweifelten Not unseres Jahrhunderts spricht, uns eine neue Sicht und neue Ausgießung seiner Liebe und Macht gibt, die sich im Aufbau seines Königreichs erweist? Übersetzung Eva Möller Quatember 1953, S. 170-174 [siehe auch den ergänzenden Bericht von Friso Melzer] |
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