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Mission und Meditation
von Friso Melzer

LeerWas in dieser Zeitschrift im Michaelisheft 1958 über die Mission in Japan berichtet worden ist, läßt sich von Indien her ergänzen. Im 19. Jahrhundert waren wir der Meinung, wir könnten die Macht des Hinduismus geistig brechen, indem wir jenem mythischen Den-' ken die abendländische Naturwissenschaft entgegenstellten. Wir gründeten ein College nach dem ändern. Wie hat dieses Bemühen gewirkt? Als ich 1935-1937 Principal des Malabar Christian College in Calicut war, erbat sich einmal unser Mathematikprofessor für die ersten Stunden des Tages Urlaub. Er habe am Todestag seines Vaters gewisse Tempelzeremonien zu vollziehen. Später fragte ich ihn, wie er als Mathematiker und Physiker solche Dinge mit seinem wissenschaftlichen Denken vereinen könne. Da lächelte er und zeigte auf seinen Kopf: „Die westliche Wissenschaft wohnt hier.” Dann wies er auf sein Herz und den ganzen übrigen Leib und setzte hinzu: „und hier die Religion meiner Väter.” Soweit die westliche Wissenschaft jedoch wirksam wurde und den ganzen Menschen ergriff, entmythisierte sie ihn so gründlich, daß nicht nur ein akademisches Proletariat entstand, das keine Religion mehr hatte, sondern diese Leute, da sie meist keine körperliche Arbeit leisten wollten, wurden zum Treibsand und Zündstoff revolutionärer Bewegungen. Hier sind wir Abendländer - und also auch die Mission - miteinander schuldig geworden.

LeerDie theologische Lehrarbeit im Raum der Mission, an der ich auch Anteil hatte, wurde nach dem gleichen Verfahren betrieben wie bei uns daheim: es wurde doziert nach dem Vorbild des recte docetur. Wohin man heute damit gekommen ist, hat mir die Aussage eines Inders gezeigt, eines Theologie-Dozenten aus dem Telugu-Lande, der - an mich gewiesen - letzten Winter unser Gast war. Er suchte Hilfe gegen den mächtigen geistigen Ansturm des Neuhinduismus, dessen Vertreter sich in Ashrams meditativ schulen und deshalb Persönlichkeiten werden, die bereits durch ihr bloßes Sein wirken. Im üblichen Lehrverfahren, wo nur Richtiges und Wißbares ausgesprochen wird, fand er keine Hilfe; vielmehr hatte er es als intellektualistisch und damit hemmend erkannt. Er suchte nach evangelischer Meditation im exakten Sinn des Wortes. Welch eine Not: indische Christen, vom heidnischen Erbe der Väter abgeschnitten, weil dieses hundert Jahre lang als teuflisch bezeichnet worden war, suchen im Westen Hilfe, wo sie doch aus dem eigenen Erbe - nach gewissen Abwandlungen natürlich - diese Hilfe gewinnen könnten.

LeerWarum leistet die Missionswissenschaft - wir haben jetzt genug amtliche Vertreter dieser Wissenschaft auf den Kathedern der theologischen Fakultäten - keine spürbare Hilfe? Zu meiner Zeit, als ich vor zwanzig Jahren in Indien lebte, kam uns aus ihren Veröffentlichungen für diese besonderen Anliegen unserer geistigen Arbeit in Indien keine Unterstützung zu. Wer unsereinem geistig und methodisch helfen konnte und half, war Stanley Jones; aber der wurde daheim dogmatisch befragt und abgelehnt. Als ob es auf die Liebe, auf die Meditation, auf das Gebet in der Gestaltung des Menschen, seines Lebens und Dienens nicht mehr oder wenigstens nicht ebensosehr ankäme als auf die Lehre, auf den Inhalt der Aussage! Wann wird man im Westen endlich die seelenkundlich als stichhaltig erwiesene Antwort als verbindlich erkennen wollen: „Was du bist, schreit so laut, daß ich nicht hören kann, was du sagst.”

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LeerSollte es jetzt nicht endlich anders werden? Sollte dafür aber nicht auch genutzt werden, was wir einst aus unserer Erfahrung mitgeteilt haben? Warum gibt es keine Antwort, wo unsereiner einmal gewagt hat, etwas im Druck auszusprechen, was nicht ins überkommene Schema paßt? Warum gibt es das brüderliche oder kollegiale Gespräch nicht? Meine Schrift „Theologische Begegnung mit Indien” (1949) ist ohne Antwort geblieben. Dabei habe ich mittelbar sogar in die deutsche Lage zu sprechen gemeint - in unseren „Synkretismus”, da als weltliche Komponente nicht der Hinduismus wie in Indien, sondern der Intellektualismus unserer Methode die Wahrheit merkwürdig färbt. Auch das ist nicht geschehen, obwohl ich auf den Seiten 53-57 deutlich genug gesprochen habe. Hier liegt eine Not, und diese Not fordert, daß wir sie anpacken.

LeerWenn der Theologieprofessor aus Japan solche kritische Beobachtung meldet: sind nicht gerade auch unsere vielgenannten Professoren, die nacheinander nach Japan reisen, mit schuld daran, daß der seiner Kultur und seinem Erbe entfremdete japanische Christ in dieser seiner Entfremdung immer mehr bestärkt wird? Als Karl Heim vor rund 35 Jahren nur für einen kurzen Besuch in Japan weilte, saß er Stunden um Stunden in den Klöstern der Zen-Buddhisten und führte Gespräche. Warum leben sich unsere Professoren nicht erst einmal in die japanische Seele und ihre schönste Blüte, den Zen-Buddhismus, ein, ehe sie dazu übergehen, nun ihrerseits etwas zu sagen, das heißt lehrend vorzutragen? Daß wir auch gleich die Folgerung für unsere eigene Lage ziehen: warum leben sie sich nicht so sehr in die Seele ihrer Hörer, des wirklichen, des heutigen Menschen ein, daß sie in dessen Lage hineinsprechen können - daß sie ihn aus seiner Notlage hinaus führen? Das vermag das überlieferte Dozieren nicht zu leisten. Es kommt nicht auf die richtige, es kommt auf die echte Rede an. Echt ist richtig plus etwas, was auf der menschlichen Seite mit Individuation, mit Ganzheit, in der Richtung auf Gott mit Ganzopfer und „self-surrender” zu tun hat. Wer diesen Weg geht, der wird gehört, auch wenn er in seinen Lehraussagen nicht ganz der Norm entspricht. Er wird nämlich werden, was Stanley Jones und C. F. Andrews waren: Menschen der Liebe, Menschen, in denen das Wort „Fleisch geworden” ist. Wer hat bei uns die Bücher dieser beiden Männer auf Englisch gelesen? Die deutschen Übersetzungen leiden am Intellektualismus unserer akademischen Sprache. Die Originale sind meditativ geschrieben und müssen so übersetzt werden. Das letzte Buch von Stanley Jones „Along the Indian Road” (1939) ist überhaupt nicht mehr bekanntgeworden.

LeerWas ist Ziel und Sinn dieser kurzen Andeutungen? Unser Verfahren und damit unsere innerste Haltung muß sich wandeln - im Osten wie daheim.

Quatember 1959, S. 33-34

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-05
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