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Die Thesen des Dr. Kroll
von Hans Carl von Haebler

LeerIm letzten Weihnachtsheft machte Helmut Hochstetter darauf aufmerksam, daß das schwerste Hindernis für die Überwindung der Glaubensspaltung in einem tief verwurzelten Mißtrauen liege. Wie berechtigt das war, zeigt jetzt wieder ein Aufsatz im Deutschen Pfarrerblatt (15. Juli 1960). Unter der Überschrift „Das geheime Bekenntnis” wird hier etwa gesagt, daß Rom Männer wie Romano Guardini, Josef Lortz und neuerdings auch Heinz Schütte vorschicke, um „gebildete evangelische Christen” psychologisch auf die Rückkehr unter das Papsttum vorzubereiten. Zu diesem Zwecke stelle man das Gemeinsame heraus, beurteile auch Luther entgegenkommend, verschweige aber das Wesentliche der katholischen Lehre. Solches Mißtrauen läßt sich schwer entkräften. Auch mit dem, was Karl Bernhard Ritter in diesem Hefte über den „Auszug aus dem protestantischen Gehäuse” und Wilhelm Stählin in seiner Buchbesprechung „Römische Selbstkritik” schreiben, könnten sie ja - ich versuche mich in den Verfasser jenes Aufsatzes zu versetzen - auf die raffinierte Taktik von Heinz Schütte hereingefallen sein. Wird er doch von beiden erwähnt und offenbar günstig beurteilt. Nun bezieht sich Stählin aber auch auf die Thesen des Dr. Kroll, die keineswegs für uns evangelische Christen bestimmt sind, sondern dem römischen Konzil vorgelegt werden sollen. Man mag daran zweifeln, ob diese Thesen und ähnliche Äußerungen anderer deutscher Katholiken die ihnen zukommende Beachtung finden werden, aber man sollte nicht daran zweifeln, daß die römische Kirche heute nicht mehr auf die Dörfer geht, um Proselyten zu machen, sondern mit dem Verfasser der Thesen zu der Erkenntnis gekommen ist, daß „der Weg zur Wiedervereinigung im Glauben über die gründliche Reform der Katholischen Kirche führt”, und man sollte ihre Pioniere nicht verdächtigen, sondern sich durch ihre Selbstkritik reizen lassen und fragen, ob nicht vielleicht auch an den Kirchen der Reformation einiges zu reformieren wäre.

LeerNachstehend geben wir die Thesen Dr. Krolls im Auszug wieder:

Leer1. Das Konzil möge darüber befinden, ob zum Heil der Menschen heute ein umfangreicherer Glaube nötig ist als zu der Apostel Zeiten oder ob die Katholische Kirche auch Glaubenssätze vorlegt, die zum Heil nicht unbedingt erforderlich sind.

Leer2. Das Konzil möge im bejahenden Falle dem Inhalt nach die heilsnotwendigen von den übrigen Glaubenssätzen unterscheiden und den heilsnotwendigen Mindestglauben verbindlich abgrenzen.

Leer3. Das Konzil möge alsdann das Gespräch mit den im Glauben getrennten Brüdern aufnehmen und versuchen, über den Mindestglauben eine Einigung herbeizuführen. Konfessionen, die sich hierbei verpflichten, über den Mindestglauben hinaus keine von der katholischen abweichende Lehre zu vertreten oder die sich in ihrem Lehrgebäude auf den Mindestglauben beschränken, wären als unionsfähig anzusehen und mit dem Recht auf den eigenen Ritus auszustatten. Hierbei mögen Papst und Konzil verbindlich zusichern, daß in Zukunft niemand mehr gezwungen werde, neue Glaubenswahrheiten, die der Urkirche nicht bekannt waren, als heilsnotwendige anzuerkennen. Unbeschadet dieser Tatsache möge sich der Papst darüber hinaus verpflichten, auch keine sonstigen neuen Dogmen zu verkünden, die nicht von der Gesamtkirche in einem ökumenischen Konzil gefordert oder gutgeheißen werden. Dogmatische Formulierungen, die bereits bestehende Dogmen in strenger Anlehnung an die Schrift neu erschließen und alte Streitfragen ausräumen, sollen hiervon nicht betroffen sein.

Leer4. Das Konzil möge bekennen, daß die katholische Kirche als sichtbare Gemeinschaft in all ihren Gliedern im Verlaufe ihrer Geschichte Schuld auf sich geladen hat und an den verschiedenen Kirchenspaltungen durch Fehler und Unterlassungen ursächlich beteiligt gewesen ist.

Leer6. Das Konzil möge bekennen, daß die Kirche jahrhundertelang das Naturrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit mißachtet und die Verfolgung der Andersgläubigen wie Andersdenkenden befohlen und geduldet hat, so daß im Laufe der Geschichte aus einer verfolgten Märtyrerkirche eine verfolgende Kirche wurde, die sich mit dem Blut zahlloser unschuldiger Menschen befleckt hat.

Leer7. Darum möge das Konzil in feierlicher Form alle diese Fehler und Irrtümer widerrufen und durch ausdrücklichen Beschluß festlegen, daß in Zukunft die Kirche die Glaubens- und Gewissensfreiheit achten und niemals mehr das Schwert und die Gewalt zur Glaubensverbreitung oder zur Bekämpfung des Un- oder Irrglaubens benutzen werde.

Leer9. Für Reden und Schriften ist jegliche Vorzensur als mit der Würde eines Christen unvereinbar abzuschaffen . . .1m Zeitalter der ökumenischen Bewegung sollte die Bibelübersetzung Martin Luthers endlich vom Index gestrichen werden.

Leer10. Das Konzil möge dafür Sorge tragen, daß die Verfassung der Kirche die Rechte des Laien im vollen Umfange zur Geltung bringt und auf allen Stufen der kirchlichen Hierarchie dem Laien Gelegenheit zur Beratung und Mitarbeit nach dem Vorbild der Urkirche eingeräumt wird. . . Keiner Gemeinde soll gegen ihren Willen ein Pfarrer aufgezwungen werden . . . Laien und Klerus sollen in angemessener Weise an der Bischofswahl (-ernennung) beteiligt werden.
Das Konzil möge insbesondere das Recht auf den Laienkelch wiederherstellen.

Leer11. Das Konzil möge bekennen, daß die Kirche in ihrer menschlichen Schwäche immer reformbedürftig sein wird und darum auch der lebendigen, verantwortungsbewußten Kritik ihrer Glieder nicht entraten kann.

Leer13. Die gottgegebenen Rechte der Bischöfe sollen in vollem Umfange wiederhergestellt und der kirchliche Zentralismus gelockert werden. Die Besetzung der kurialen Ämter soll so erfolgen, daß alle Kulturkreise und großen Nationen an der Regierung der Kirche beteiligt werden.

Leer 14.Das Konzil möge dafür Sorge tragen, daß eine Erneuerung der Theologie aus dem Geiste des Evangeliums in die Wege geleitet und die Festlegung auf bestimmte (abendländische) Philosophien, die zu einer Entfremdung vom Evangelium geführt haben, vermieden wird.

Leer 15.Das Konzil möge sich dafür einsetzen, daß künftighin die Landessprache als Kultsprache anerkannt wird.

Leer16. Das Konzil möge untersuchen, ob die Forderung des Zölibats für alle Priester nicht der Schrift widerstreitet. . . und ob nicht die Auffassung der Ostkirche über die Priesterehe für die Gesamtkirche als vorbildlich anzusehen ist.

Leer18. Das Konzil möge prüfen, ob die vielerlei Härten, die Katholiken im Umgang mit den getrennten Brüdern von ihrer Kirche erfahren, nicht einer Milderung bedürfen. Zumindest die Teilnahme an gemeinsamen Gebetsgottesdiensten sollte statthaft sein. Auch eine Neugestaltung des Mischehenrechts erscheint in diesem Zusammenhang dringend geboten. Die Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses sollte auf überzeugte Gegner des christlichen Glaubens beschränkt werden.

Leer19. Das Konzil möge alle Maßnahmen fördern, die geeignet sind, den wahren Glauben an Jesus Christus und den Dreifaltigen Gott zu vertiefen und die Gefahren des Unglaubens wie Aberglaubens abzuwehren. Jeglichem Fetischismus in der Kirche ist darum entschieden entgegenzuwirken. Wandlung, Weihe und Segen sind in reinen Formen zur Darstellung zubringen. Reliquien-, Madonnen- und Heiligenverehrung in strenge Zucht zu nehmen.

Leer20. Die Seelsorge ist nicht auf die Pfarrei zu beschränken. Das Konzil möge prüfen, inwieweit in den modernen Betrieben, in denen die Mehrzahl der heutigen Menschen den größten Teil ihres Lebens verbringt, eine seelsorgliche Betreuung in angemessener Weise möglich ist.

Quatember 1960, S. 173-174

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-01-09
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