|
von Hans Carl von Haebler |
I. Vorüberlegungen II. Das bildhafte Wort Das Traumbild Die Vision Das Symbol Die allegorische Gestalt III. Das worthafte Bild Der Sprachcharakter der mittelalterlichen Kunst Das Bild Gottes Wir stehen auch noch auf andere Weise mit unserer Umwelt in Verbindung, zum Beispiel durch den Geruch. Weihrauch riecht nach katholischer Kirche, der Geruch von verwesendem Laub erinnert an den Herbst. Christian Morgenstern empfiehlt in seinem „Gingganz” Erinnerungsarome, und von frommen Leuten sagen wir, daß sie im Geruch der Heiligkeit stehen. Der Geruch spielt eine größere Rolle in unserem Leben als wir meinen. Aber wir spüren doch: Mit Wort und Bild hat es noch eine andere Bewandtnis. Die Skala der Gerüche läßt sich allenfalls der Skala der Töne gegenüberstellen und der Skala der Farben. Das Wort aber ist mehr als ein Lautkomplex und das Bild mehr als eine Farbenzusammenstellung. Laut, Farbe und Geruch sind vergleichbar. Ich kann zum Beispiel sagen, daß der Laut eine zeitliche, der Geruch eine räumliche, die Farbe eine Flächendimension hat. Ich kann feststellen, daß Farben auf eine sehr weite Entfernung zu sehen sind, aus der noch kein Ton zu mir dringt, und daß der Ton hörbar wird, noch ehe mir der Geruch in die Nase steigt. Andererseits sehe ich nur, was in meinem Blickfeld auftaucht, ich höre aber auch, was hinter mir vor sich geht; im Riechen habe ich den Abstand zu meiner Umwelt verloren, ich atme sie bereits ein. Darauf, daß wir uns im Geruch schon mit unserer Umwelt verbinden, daß also der Akt des Riechens gar nicht mehr von dem Riechstoff unterschieden werden kann, mag es beruhen, daß der Geruch so wenig zu unseren Erkenntnissen beiträgt. Es fehlt der Abstand zu den Dingen. Wie steht es aber mit Auge und Ohr? Wie steht es mit den Farben und Lauten? Der Laut teilt mit dem Geruch die Eigenschaft, daß er etwas Aggressives hat. Wir sagen nicht nur, etwas stinkt, sondern auch etwas schreit gen Himmel. Freilich können wir auch von einer Farbe sagen, daß sie schreit. Aber indem wir uns so ausdrücken, wollen wir ja gerade betonen, daß sie aggressiver ist, als es sich für eine Farbe gehört, und in ihrer Aggressivität eine geradezu akustische Wirkung hat. Dadurch wird das Auge, das im Gegensatz zum Ohr ständig in Aktion ist, überanstrengt. Für das Ohr gibt es Ruhepausen. Daß in der modernen Stadt der Lärm nicht abreißt und daß manche Menschen sich gern mit einer Geräuschkulisse umgeben, ändert nichts daran, daß Töne für uns nicht so da sind wie Farben, sondern daß sie kommen und gehen. Zu der Fähigkeit des Hörens und Sehens kommt die Fähigkeit des Sich-Hören-und Sich-Sehen-Lassens. Dasselbe Auge, das die Außenwelt einfängt, ist ein Spiegel dessen, was in unserem Inneren vorgeht: Es leuchtet vor Freude, es blitzt vor Zorn, es verrät Mitleid, Vertrauen, aber auch Verachtung und Haß. Das Ohr besitzt diese Ausdrucksfähigkeit nicht (wenigstens seitdem wir verlernt haben, die Ohren zu spitzen und mit ihnen zu wackeln). Aber wir haben ein Organ, das mit den Ohren zusammenwirkt, nämlich den Mund. Wenn das Ohr ein passives Organ ist, so ist der Mund dafür um so aktiver. Mit den Ohren hören wir, durch den Mund lassen wir uns hören. In den Lauten, die er hervorbringt, in Freudenrufen und Schmerzensschreien, im Befehlston und im Ton der Frage können wir uns ebenso mitteilen wie im Ausdruck der Augen. Ja, der Mund stößt nicht nur emotionale Laute aus, er formt auch Worte. Gibt es im Bereich der sichtbaren Welt etwas, was sich mit dem gesprochenen Wort vergleichen läßt? Ich denke, ja. So wie Ohr und Mund aufeinander bezogen sind, besitzt auch das Auge ein Organ, das es ergänzt, und das ist die Hand. Wir können einen Gegenstand, den wir sehen, abzeichnen, so wie wir ein Wort, das wir hören, nachsprechen können: Dem Wort entspricht das Bild. Wort und Bild stehen aber nicht nur nebeneinander, sie beziehen sich auch aufeinander. Sie können einander auch vertreten. So läßt sich zum Beispiel eine Landschaft in Worten beschreiben und, umgekehrt, eine Geschichte in Bildern illustrieren. Schließlich dienen uns Wort und Bild in gleicher Weise als Ausdrucksmittel für unser Fühlen und Denken. Wir können ihnen eine Bedeutung verleihen und sie als Symbole verwenden. Im Hinblick auf diese Zusammenhänge scheint es mir nicht sinnvoll, Wort und Bild gegeneinander auszuspielen und entweder das eine oder das andere höher zu bewerten. Sie ergänzen einander, sie vertreten einander, sie entsprechen einander. Der Mensch ist darauf angelegt, in Raum und Zeit zu leben und zu denken und, was sich in diesen Dimensionen abspielt, aufeinander zu beziehen, miteinander zu verbinden und zu einer Einheit zu verarbeiten, zur Einheit seines Weltbildes. Wenn jemand nur räumlich oder zeitlich denken könnte, wäre es ganz unmöglich, ihm verständlich zu machen, was Zeitraum oder Geschwindigkeit ist. Ähnlich liegen die Dinge auch hier. Wenn jemand nur in Bildern (Gestalten) oder in Worten (Beziehungen) denken könnte, würde er nie begreifen, was wir etwa unter einem Erlebnis verstehen. Hierzu bedarf es des bildhaften Wortes oder des worthaften Bildes. II. Das bildhafte Wort Wie kommen wir heute eigentlich dazu, von dem Geworfensein des Menschen, von seiner Inanspruchnahme, von Bezogenheit und Nutzbarmachung zu reden, und wie diese unschönen Wortbildungen alle lauten? Der Grund für diesen Sprachwandel liegt wohl darin, daß zu Lessings und Goethes Zeiten der Dichter einen Einfluß auf die Umgangssprache ausübte. Heute sind es die Wissenschaften, die auf dem Wege über Journalismus und Halbbildung auf unsere Sprache abfärben. Für die Wissenschaften sind die alten Hauptwörter kein geeignetes Sprachmaterial. Sie konstruieren lieber neue Wörter, die nicht durch herkömmliche Bedeutungen belastet sind und formelhaft verwendet werden können. Wir haben uns schon früher darüber geäußert („Moderne Wortbildungen”, Quatember 1959/60, S. 107 ff.). Eine neue, abstrakte Sprache scheint zu entstehen, die der neuen Architektur vergleichbar ist. Sie verlangt nach Wörtern, mit denen sie die Welt von heute in ihre Verfügungsgewalt bringen kann. Die Schätze und Kräfte der Natur sind zu Rohstoffen und Energiequellen geworden, die der Produktion dienen. Damit rückt die Produktion, die zweckbestimmte Tätigkeit in den Mittelpunkt des Interesses, und die Sprache verleiht dem Ausdruck, indem sie das Tätigkeitswort zum Hauptwort erhebt. Aber von solchen Wörtern kann der Mensch nicht leben. Der Dichter hält am bildhaften Hauptwort fest, ebenso der Mann auf der Straße. Ich möchte das mit einem Telefonat belegen, das die FAZ vor einiger Zeit zum besten gab und das ich hier - etwas gekürzt - folgen lasse: Hallo Becker - hier flüstert Mayer haut's noch hin bei dir? Alle Hauptwörter, die Herr Meyer gebraucht, gebraucht er bildhaft. Er redet ja nicht von einem Koffer, einem Dampfer, einer Mühle - in diesem Falle würde er die Dinge nur beim Namen nennen -, sondern zieht sie zum Vergleich heran. Mit der Feststellung: „Da bist du auf dem falschen Dampfer” umschreibt er zum Beispiel den Tatbestand, daß sein Freund Becker im Irrtum ist. Durch die Verwendung des Bildes erreicht er nun aber, daß nicht nur der Irrtum als solcher konstatiert wird, sondern daß auch das seelische Erlebnis, das mit der Entdeckung dieses Irrtums verbunden ist, nacherlebt wird. Wir haben dieses Telefonat aufgegriffen, weil die hier verwendeten Bilder geradezu in die Augen springen. Aber wenn wir unsere Umgangssprache näher ansehen, werden wir finden, daß auch sie von Bildern lebt. Christian Morgenstern hat unsere Aufmerksamkeit darauf gelenkt, indem er von der vergleichenden Funktion, welche die Bilder haben, absah und diese sensu proprio verstand: Eine Flinte wird gefunden, die jemand ins Korn geworfen hat - ein Schneider stellt Windhosen her - die Freunde Korf und Palmström suchen ein böhmisches Dorf auf, in dem sie kein Wort verstehen. - Aber das vergleichende Verfahren, das wir in unserer Sprache anwenden, reicht noch viel weiter, bis hinein in die abstrakteste Ausdrucksweise. Schon Redewendungen wie: „ich fasse ins Auge”, „ich bin der Ansicht”, „es leuchtet mir ein” sind Vergleiche, durch die ein geistiger Vorgang mit einem Wahrnehmungsakt verglichen und auf diese Weise veranschaulicht und charakterisiert wird. Schon der Gebrauch der Wörter: oben und unten, vorn und hinten, innen und außen stellt eine Übertragung von Beziehungen dar, die mit unserer Leiblichkeit und mit unserer Situation zwischen Himmel und Erde gegeben und durch diese qualitativ bestimmt sind. Ich möchte den Philosophen sehen, der sich sprechend und philosophierend aus dieser Situation lösen könnte; ich möchte den Theologen sehen, dem es gelänge, nicht anthropomorph zu reden. Man macht sich etwas vor, wenn man Himmel und Hölle leugnet, ohne sich von den Erlebnissen befreien zu können, die mit oben und unten verbunden sind. An und für sich ist eine visuelle Vorstellung noch kein Bild. Sie wird es erst dadurch, daß ich sie zum Vergleich heranziehe. Wenn ich zum Beispiel sehe, daß ein Mann eine Leiter emporsteigt, und feststelle: „Jetzt steht er auf der obersten Sprosse”, dann gebe ich einfach eine Information. Wenn ich aber von jemandem sage, daß er die oberste Sprosse seiner Beamtenlaufbahn erklommen hat, dann mache ich die verschiedenen Ämter, die er bekleidet hat, in den Sprossen einer Leiter bildhaft. Ich veranschauliche mir den steilen und beschwerlichen Aufstieg, den er hinter sich hat. Es gibt ferner Bilder, die wir uns ausdenken, und Bilder, die ungefragt auftauchen und in unser Bewußtsein einbrechen. Mit den Bildern, die wir uns ausdenken, verfolgen wir bestimmte Absichten. Wir wollen unsere Sprache beleben, wir wollen nicht nur über etwas reden, sondern dieses Etwas zur Anschauung bringen und durch Vergleiche in seinem Wesen erfassen, wir wollen unseren Gefühlen Ausdruck verleihen. Immer will die bildliche Ausdrucksweise auf dem Wege über das Erlebnis zur Erkenntnis führen. Das wird besonders deutlich, wo nicht das einzelne Wort, sondern eine ganze Erzählung zum Träger des Bildes gemacht wird, das heißt im Gleichnis. Wir denken beim Gleichnis zunächst an die Form, in der Jesus seine Lehre veranschaulicht hat. Aber Jesus hat sich nur einer Redeweise bedient, die zu allen Zeiten und in allen Völkern beliebt war. In einem Gleichnis wendet sich schon der Prophet Nathan an den König David, und schon hier wird deutlich, welchem Mittel das Gleichnis seine Wirkung verdankt: Es ist das Mittel der „Verfremdung”: Dadurch, daß eine Begebenheit in ein fremdes Milieu verlegt wird, in dem unsere Interessen nicht auf dem Spiel stehen, erscheint sie uns in ganz anderem, neuem Licht und versetzt uns in die Lage, vorurteilslos Stellung zu nehmen, wobei es dann - so bei Nathan, aber auch bei Bert Brecht - passieren kann, daß wir ahnungslos den Stab über uns selber brechen. - Eine Verfremdung besonderer Art liegt in der Fabel vor, die den Menschen in Tierkostüme steckt. Zu den Bildern, die ungefragt auftauchen, in unser Bewußtsein einbrechen und dann in Worten mitgeteilt werden können, gehören Traumbilder, Visionen, Symbole und jene Erscheinungsweisen personaler Wesenheiten und Kräfte, die wir, nicht gerade glücklich, als allegorische Gestalten bezeichnen. Es gibt urtümliche Bilder dieser Existenzangst, etwa das Bild des Drachen, der ein Kind verschlingt. Dieses Bild verfolgt die Menschheit seit Anbeginn. Man findet es in der Plastik primitiver Völker, man begegnet ihm in der Heraldik. Die Visconti in Mailand führten es im Wappen. Heute kommt es in der Psychoanalyse zum Vorschein: Vor einigen Jahren sah ich das Traumbild eines Jugendlichen, das dieser in Aquarellfarben wiedergegeben hatte: Einen grauen Drachen, der ein rosa Kind verschlingt. Er hatte dem Bilde auch eine Deutung gegeben und es mit der Unterschrift versehen: Begegnung mit der Welt! Wer solche Bilder kennt, wird das zwölfte Kapitel der Offenbarung St. Johannis nicht voreilig entmythisieren, sondern aufatmen, daß der alte Drache, der noch immer realiter aus den Gründen des Unbewußten auftaucht, hier überwunden ist. Ein Ausdruck für diese Existenzangst ist heute der Surrealismus. In den Dichtungen von Franz Kafka und in den Bildern von Giorgio di Chirico wird die Außenwelt geradezu vom Traum verschluckt und verzaubert. Bild und Wort werden nicht mehr sensu proprio gebraucht, sondern als Hieroglyphen für etwas, was Gott heißen könnte, aber auch Sinnlosigkeit. Das Titelbild unseres Heftes liefert ein gutes Beispiel dafür, wie das Wort in der Vision bildhaft wird: Das Bild der Schutzmantelmadonna ist zweifellos aus einem Gebet hervorgegangen. Ein Gebet, das vor einem Bilde der Mutter Gottes verrichtet wurde, machte dieses für sie selbst durchlässig. Sie trat aus ihm heraus, öffnete ihren Mantel, zeigte dem Betenden ihre Schutzbefohlenen und offenbarte sich als mater misericordiae. Das Gebet hatte von dem Bilde Besitz ergriffen, es war bildhaft geworden, und das neue visionäre Bild konnte wiederum dem Künstler in Worten beschrieben werden, so daß er in die Lage versetzt würde, es ins Sichtbare zu übertragen. Oder versetzen wir uns in einen Baum, unsere Beine und Füße in seine Wurzeln, unsere Arme und Hände in Äste und Zweige, unseren Rumpf in seinen Stamm! Im Kreislauf unseres Blutes spüren wir den Saft, der in ihm aufsteigt. Daß der Baum kein Haupt hat, sondern nur einen Wipfel und daß sein Saft grün ist und nicht rot, setzt unserem Erleben freilich Grenzen. Wir begreifen uns im Baum nur als etwas Vegetatives, als lebendige Kreatur. Immerhin liefert uns der Baum eine Menge von Symbolen, in denen wir unserer selbst innewerden und uns ausdrücken können. Wir gelangen zu diesen Symbolen aber nicht, indem wir über den Baum nachdenken, sondern, indem wir uns mit ihm identifizieren. Auch Kulturgegenstände können Symbolkraft haben, zum Beispiel das Haus, dessen bergende Wände uns ein Gefühl der Sicherheit und Abgeschlossenheit, aber auch der familiären Verbundenheit geben: My home is my castle! Das moderne Glashaus führt freilich zum entgegengesetzten Erlebnis. Es nimmt den Garten, den Straßenverkehr, die ganze Umwelt in sich auf und stellt umgekehrt seine Insassen mitleidlos zur Schau. Als ich hinter den Glaswänden eines solchen Hauses eine Stenotypistin arbeiten sah und mir vergegenwärtigte, daß diese Frau täglich acht Stunden den Blicken der Vorübergehenden ausgesetzt ist, kam sie mir vor wie ein Fisch im Aquarium, den man bis auf die Gräten durchschaut. Das Glashaus ist ein Symbol dafür, daß es heute keine intimen Bereiche mehr gibt, in welche der Röntgenologe, der Tiefenpsychologe und der Reporter nicht einzudringen vermag. Vielleicht ist es auch ein Symbol für die Extrovertiertheit des modernen Menschen. Neue Symbole entstehen, alte verblassen. Das Symbol verliert seine Kraft und erstarrt zu einem konventionellen Zeichen, wenn es nicht durch Einfühlung belebt und durchlässig gemacht wird. Vielleicht hatte der letzte Papst recht, als er den heiligen Georg im Kirchenkalender strich; denn die in ihm verkörperte Symbolik des ritterlichen Menschen scheint ihre Lebenskraft verloren zu haben. Wir haben um so mehr am Symbol des Guten Hirten festzuhalten, als es sich um ein Symbol handelt, das Christus für sich in Anspruch genommen hat und das dadurch, ohne aufzuhören, das zu sein, was es war, einen neuen Gehalt bekommen hat. Das christliche Symbol unterscheidet sich vom natürlichen durch den neuen Sinn, den Christus dem Leben gegeben hat. Es ist Erlösungssymbol, Unterpfand der neuen Schöpfung. Denken wir nur an die Symbole von Brot, Wein und Wasser, an das Symbol der Braut. Aber die Kirche ist nicht bei den biblischen Symbolen geblieben. Sie hat die ganze mittelalterliche Welt symbolisiert und zum Abbild des Reiches Gottes gemacht. War das ein Irrtum oder ist es ein Mangel von uns, daß wir unsere Kultursymbole nicht in den Dienst Gottes gestellt haben? Hängt es vielleicht damit zusammen, daß diese dann die Gestalt unheimlicher Träume annehmen? Wie steht es mit der Maschine? Sie erscheint uns als ein Symbol der Zwangsläufigkeit, der Unterwerfung der Materie unter den Verstand, aber auch der Entseeltheit der modernen Welt. Alles ist „verzahnt”, und wir selber kommen uns manchmal vor wie Zahnräder in dieser Maschinerie. Und doch verdanken ihr die Milliarden von Menschen, die heute die Erde bevölkern, ihr Leben. Sie verdanken ihr Arbeitserleichterungen, Freizeit, Urlaubsreisen, kurz eine Menge kleiner und größerer Annehmlichkeiten. All das ist in und mit der Maschine gegeben und will mitbedacht sein, wenn wir von ihr reden. Es ist an der Zeit, daß wir lernen, die Maschine als eine Gabe Gottes „mit Danksagung zu empfangen” und dann auch von dem Leben, den Gütern und der Freizeit, die sie uns schenkt, den rechten Gebrauch zu machen. Die allegorische Gestalt Heute reden wir von Personifikationen und Allegorien und finden es antiquiert und schwülstig, wenn jemand noch von der Göttin Justitia spricht. Aber Antike und Mittelalter dachten anders und würden uns entgegenhalten: Was ihr Gerechtigkeit nennt, euer Gerechtigkeitsbegriff ist die Versachlichung einer personalen, engelhaften Kraft. Im Psalm küssen sich Gerechtigkeit und Frieden, und Salomo ermahnt die Könige: Diligite justitiam - habt die Gerechtigkeit lieb .Wie kann man seine eigenen Eigenschaften lieben? Unter dem Einfluß des Nominalismus sind dann freilich jene den Menschen bewegenden Kräfte zu bloßen Denkgestalten verblaßt. Heute bannen wir die Kräfte in Formeln und Gesetzen; die Antike bannte sie in Gottheiten, die sie anrufen konnte, und das christliche Mittelalter hat in diesen Gottheiten dann dienstbare Geister und Engel Gottes erkannt. Götter und Gesetze scheinen verschiedene Namen für dieselben Wirklichkeiten zu sein. Die einen beschwört man und sucht man mit Opfern zu gewinnen, die anderen macht man sich mit Hilfe von Apparaturen gefügig. Aber wie immer man sie nennen mag, sie können sich auch gegen den Menschen kehren. Hat die Atomkraft nicht auch etwas von einem Gerichtsengel an sich oder ist sie nur ein chemisch-physikalischer Sachverhalt? Dagegen könnte man einwenden, daß es sehr verschedene Kräfte gibt und daß man zwischen den Kräften der Natur und den Kräften der Seele unterscheiden muß. Ich bin dessen nicht ganz sicher. In dem griechischen Wort „ate” sind Schicksal und Schuld zusammengesehen, und in unseren Tagen haben Männer wie Wilhelm Kütemeyer und Max Picard einen Zusammenhang zwischen dem Mikrokosmos des Menschen und dem Makrokosmos seiner Umwelt erkannt. Kütemeyer sah in den ausgebombten Städten Bilder dessen, was in unserer Gesellschaft vorgeht, und nach Picard entspricht die Atomzertrümmerung der Auflösung der Person in uns. Im sichtbaren Bilde werden dagegen Vorstellungen realisiert und übertragbar. Sie erhalten Konturen, Farben und eine bleibende Gestalt und gehen von der Innenwelt in die Außenwelt über. Im Gegensatz zum Sprachbild, das viele verschiedene Vorstellungen auszulösen vermag, stellt das sichtbare Bild die Entscheidung für eine bestimmte Gestalt dar. Das gilt sogar von der Fotografie, die ja nicht irgend etwas Sichtbares wiedergibt, sondern von dem Fotografen eine ganze Reihe von Entscheidungen verlangt: die Entscheidung für ein bestimmtes Motiv, für den Moment der Aufnahme, für Bildausschnitt und Belichtung. Schon die Fotografie sagt allerlei über Absicht, Einstellung, Stimmung des Fotografen aus. Beides, die Orientierung auf den ersten Blick und die ständige Gegenwart des Bildes, macht sich die Bildreklame zunutze. Sie liefert aber auch ein gutes Beispiel dafür, daß Wort und Bild sich nicht auszuschließen brauchen. So stellt sie zum Beispiel eine hübsche, adrette Hausfrau dar, die uns anguckt und anspricht, und schreibt neben ihrem Mund in das Bild hinein, was zum Lobe des angepriesenen Fabrikates zu sagen ist. Das ist nichts Neues. Der mittelalterliche Maler, der Propheten oder Engeln Spruchbänder in die Hände gab, tat nichts anderes. Verwunderlich ist freilich, daß dieses Verfahren, dessen die sakrale Kunst sich einst mit gutem Grund bediente, heute nur noch bei Reklamebildern und in funny papers angewendet wird. Aber kehren wir zu den Darstellungen zurück, die sich von selbst verstehen und keiner Beschriftung bedürfen! Wir sprachen von Bildern, die einen Informationsdienst leisten. Die Absicht, die mit der Information verbunden ist, bestimmt die Darstellungsweise. Das Wahrnehmungsschild muß in die Augen springen: daher die weithin sichtbaren Silhouettengestalten. Das Croquis muß vereinfachen und auf Einzelheiten verzichten, um den Charakter einer Landschaft um so deutlicher hervortreten zu lassen. Eine geometrische Figur verlangt Exaktheit, ein Reklamebild Kenntnis der Massenpsychologie. Nun gibt es aber auch Darstellungsweisen, die nicht in der Sache begründet sind, sondern eine bestimmte Haltung des Menschen ausdrücken. Wir reden dann von Stil und von Stilrichtungen. Stil ist Gestalt gewordener Geist. Der Geist eines einzelnen, eines ganzen Volkes, einer Zeitepoche findet seinen Niederschlag in der Sprachgestalt ebenso wie in der Bildgestalt (natürlich auch in der musikalischen, die hier nicht unerwähnt bleiben darf, wenn sie auch nicht in die Untersuchung einbezogen werden kann). Daß der Geist oder das Lebensgefühl einer Zeit die Künste eine bei aller Verschiedenheit gemeinsame Sprache finden läßt, ist erstaunlich. Wie kommt es, daß wir, nicht aus äußeren chronologischen Gründen, sondern in einem tieferen Sinn, etwa von der Malerei und Dichtung des Barock oder des Expressionismus reden können? Es ist die Schicksalsgemeinschaft, das gemeinsame Erlebnis geistesverwandter Menschen, das hinter den Künsten steht und in Wort und Bild Gestalt anzunehmen vermag. Die Technik des Dichtens und Malens ist dabei so nebensächlich, daß man von Malern, die eine Aussage machen, ebenso reden kann wie von Dichtern, die ein Bild entwerfen. Vor einer Darstellung des Jüngsten Gerichts packt mich derselbe Schauer wie vor dem dies irae; eine Hymne an den Mond kann dieselbe Wirkung hervorrufen wie das Bild einer Mondlandschaft (Goethe - C. D. Friedrich); ich spüre dieselbe Beklemmung, wenn ich eine Geschichte von Kafka lese oder ein Bild von Chirico betrachte. Mit dem Wort teilt das Bild auch einen gewissen Bedeutungsumfang. Es wird fast immer in seinem eigentlichen und in einem übertragenen Sinne gebraucht: Die Höhle kann die Hölle bedeuten, aber auch den Mutterschoß der Erde. Der Baum steht für „Paradies”; Felsenkulissen bedeuten die Einsamkeit und Verlorenheit des Menschen. Im Hochmittelalter wird die Bildvokabel „Altar” zugleich für das Grab und für den Thron Christi gebraucht. Das Kreuz hat immer den Sinn des Marterpfahls und des Siegeszeichens oder Lebensbaums. Wie steht es mit der Grammatik und Syntax dieser Sprache? Lassen sich Bildvokabeln deklinieren? Deklination heißt Biegung. Man biegt eine Gestalt zurecht, um sie auf eine andere zu beziehen und in den Zusammenhang der Aussage einzuordnen. Zwei unvermittelt nebeneinander stehende Gestalten verstehen wir als Nominative. Neigt sich die eine Gestalt der anderen zu, so wird sie zum Dativ (= Hingabe). Die Hauptgestalt - meistens Christus - dekliniert die anderen, bewegt und beugt sie und bringt sie in das rechte Verhältnis. Ich glaube, daß den Beziehungen, die wir zwischen unseren Worten herstellen, wenn wir deklinieren, solche Bilder zugrunde liegen. Das Eigenschaftswort ist in der Erscheinungsweise der Bildgestalt enthalten oder auch in ihren Attributen. Für die Steigerung steht der Kunst das Mittel der Größensymbolik zur Verfügung. Der Negation dient das „Unten” des Bildes, die schwarze Farbe, die Fratze und Karikatur. Auch Vorgänge, Tätigkeiten und Leiden sind darstellbar. Was die Zeitformen anbetrifft, so kennt das Bild allerdings nur den Indikativ praesentis. Mag der Maler nun Vergangenes oder Zukünftiges schildern, er kann das nicht anders tun als in der Form der Vergegenwärtigung, und, wenn er eine Geschichte wiedergeben will, dann muß er sich in der Weise helfen, daß er Querschnitte legt und die wichtigsten Momente in einer Folge von Bildern nebeneinanderstellt. Er kann zum Beispiel nicht den Kreuzweg Christi in seinem Verlauf darstellen, sondern muß ihn in einzelne Stationen zerlegen. Erst recht fehlt es ihm an Ausdrucksmitteln für das Mögliche und Unmögliche (Potentialis und Irrealis); denn, was er sichtbar macht, erlangt eben dadurch, daß er es sichtbar macht, Realität. Dieser Mangel erweist sich jedoch für eine liturgisch bestimmte Kunst als Gewinn. Denn auch die Liturgie kennt weder Vergangenheit noch Zukunft noch kausale Zusammenhänge, sondern faßt die Heilsgeschichte und die Eschatologie im Hier und Jetzt des Altargeschehens zusammen. Vor dem, der von sich sagt: „Ich bin”, ist alles Gegenwart. Dabei handelt es sich aber nicht um ein transitorisches praesens humanum, das gerade nur den Augenblick aus dem Zeitfluß herausgreifen und festhalten kann, sondern um das praesens divinum, das alle Zeiten umfaßt. So breitet auch die mittelalterliche Bildersprache das zeitlich Auseinanderliegende nebeneinander aus. Als eine Art Exegese stellt sie die verstreuten Bibelstellen zusammen, die sich aufeinander beziehen und gegenseitig erklären, sei es, daß sie Aussagen von gleichem Rang aneinanderreiht, sei es, daß sie ein Hauptbild mit Nebenbildern umgibt. Die Ähnlichkeit mit der Gliederung der Sprache in koordinierten Hauptsätzen oder in einem Gefüge von Haupt- und Nebensätzen drängt sich auf, ob wir nun an die Freskenfolge im Schiff einer Basilika, an das Tympanon einer Kathedrale, das Bildprogramm eines Heiligenschreins, an eine Ikonenwand oder auch eine einzelne Ikone denken. So finden wir beispielsweise auf der Weihnachtsikone (vergl. Evangelische Jahresbriefe 1950/1951) die Geburt Christi (Hauptsatz) umrahmt von einer ganzen Reihe von Nebensätzen: dem grübelnden Joseph, der Prophezeiung des Jesaja, dem Stern des Bileam, der Botschaft der Engel an die Hirten, der Reise der Magier und der Hebammenlegende aus dem apokryphen Jakobus-Evangelium. Neben der Bildexegese hat die Kunst der Kirche schon früh eine Dogmatik in Bildern entwickelt. Wir greifen zwei zentrale Dogmen heraus: das Gottmenschentum Jesu Christi und Gottes Erlösungswerk. Ehe das Konzil von Chalkedon das Verhältnis zwischen der göttlichen und menschlichen Natur Jesu Christi bestimmte, stellte die Kunst diesen als jugendlichen Heros und Halbgott dar, das heißt, sie suchte seine Gottheit bildhaft zu machen, indem sie seine Menschheit idealisierte. Eben das aber widersprach der Lehre der Konzilsväter, wonach sich die beiden Naturen unvermischt und unverwandelt, ungespalten und ungetrennt in ihm finden. Es gehört zu den größten Leistungen der Kirchenkunst, daß sie einen Weg fand, diese komplementären Aussagen bildhaft zu machen, indem sie Christus fortan in zwei Gestalten darstellte: in dem Menschensohn auf Marien Schoß und in dem Weltenherrscher auf dem Himmelsthron. Immer wieder finden wir beide Bilder aufeinander bezogen und im Schiff der Kirche, in Kuppel und Apsis, im Bogenfeld der Kirchenportale gegenübergestellt. Erst als man sich der Untrennbarkeit dieser Aussagen nicht mehr bewußt war und das Bild der Gottesmutter aus dem Zusammenhang herausriß, büßte dieses seinen christologischen Sinn zugunsten eines übersteigerten Marianismus ein: Auch bei Bildern kommt es also auf den Kontext an. Die schönste und tiefste Darstellung des Erlösungswerkes verdanken wir wohl einer Schöpfung der deutschen Gotik (Titelbild). Es ist schwer zu sagen, ob das Bild des „Gnadenstuhls” einfach Röm. 3, 25 veranschaulichen sollte oder ob es sich aus Bildwerken wie dem Wechselburger Triumphkreuz ableiten läßt, das von dem Brustbild Gottvaters mit der Taube des Heiligen Geistes gekrönt ist. Die knienden Gestalten Marias und Johannes des Täufers gehen jedenfalls auf die ostkirchliche Darstellung der Deesis zurück. Die Mutter und der Täufer sind die Chorführer der Heiligen und bringen die Fürbitten der Kirche vor Gott. Gottvater trägt, in Übereinstimmung mit der Ikonographie, die wiederum auf dem Selbstzeugnis Jesu Christi fußt (Joh. 14, 9), die Züge des Sohns. Auch bezeugt der Kreuzesnimbus, der sein Haupt umgibt, die Einheit des Vaters mit dem Sohne. Thema des Bildes ist der Opfertod des Menschgeborenen als Ratschluß der Heiligen Dreifaltigkeit und als das Herzstück unseres Glaubens. Die durch den Kreuzespfahl und die übereinander angeordneten Gestalten der Trinität betonte Vertikale wird durch den horizontalen Kreuzesbalken geteilt. Er erscheint wie der Balken einer Waage, der durch die ausgespannten Arme Christi abgestützt und im Gleichgewicht gehalten wird. Dieser Balken, der Maria und Johannes und in ihnen Adam und Eva und das ganze Menschengeschlecht miteinander verbindet, ist gleichsam die Ebene des Weltgeschehens und zugleich die Todesgrenze. Christus ist gestorben und in das Reich des Todes hinabgesunken. Aber schon läßt sich der Heilige Geist in Gestalt der Taube auf ihn herab, schon bricht er in die Todeszone ein, um ihn aufzuerwecken (Röm. 8, 11). Die Taube fährt herab auf das Lamm Gottes, und die Mutter und der Täufer des Herrn folgen ihrem Flug mit gläubigem Blick. Das Ganze wird von Gottvater zusammengehalten, in dessen großer, umfassender Gestalt Raum und Zeit aufgehoben erscheinen. Er weiß um die Not der Kreatur, er weiß aber auch um den Sinn des Leidens und seine Grenzen und sendet seinen Heiligen Geist auf die Erde herab. Ich habe dieses Beispiel ausführlicher behandelt, um zu zeigen, was alles sich aus einem solchen Bilde herauslesen läßt. Die Bildersprache verdient in der Tat ihren Namen, wenn sie sich auch von der gesprochenen in mancher Beziehung unterscheidet. Hierüber ist jetzt noch etwas zu sagen: Da ist zunächst festzustellen, daß das sichtbare Wort als solches immer eine Qualität enthält. Reine Ordnungsbegriffe und Denkkategorien lassen sich nicht sichtbar machen: Schon das nackte Koordinatenkreuz qualifiziert, indem es gliedert. Die Kunst des Mittelalters hat zwar Bildvokabeln für „Liebe” gefunden, sie hat auch noch die „Tugenden” bildhaft machen können, aber weiter zu abstrahieren und den Begriff „Eigenschaft” darzustellen - das übersteigt die Möglichkeiten der Kunst. Sätze wie „Die Liebe ist eine Eigenschaft” oder „Die Liebe ist eine Beziehung” lassen sich nicht in Bildern aussagen. Deshalb kann die Bildersprache nicht Urteile fällen und Schlüsse ziehen. Dafür gibt sie aber eine Evidenz, die unmittelbar einleuchtet und sich nicht weiter auszuweisen braucht. Das sichtbare Wort ist ferner der Zeit entnommen. Es fließt nicht dahin, es nimmt uns nicht mit, sondern es ist da, überschaubar und zu einer festen, bleibenden Gestalt zusammengeronnen. Wenn wir dem gesprochenen Worte folgen, sind wir in der Lage eines Menschen, der unterwegs ist, der die Landschaft auf sich zukommen sieht und an sich vorbeiziehen läßt. Von dem sichtbaren Bilde gleichen wir einem, der diese Landschaft von einer Ruhebank aus überblickt. Es wäre verfehlt, sich für einen dieser Aspekte zu entscheiden. Sie schließen sich zwar aus. Aber sie widersprechen sich nicht, sondern ergänzen einander. Schließlich und vor allem: Das gesprochene Wort setzt den Menschen voraus, der spricht. In dem, was der Mensch zu sagen hat, ist er selber enthalten. Wir können uns aus seinen Worten ein Bild von ihm machen, und wir brauchen nur sein Bild zu betrachten, um uns seine Worte ins Gedächtnis zu rufen oder vorzustellen, was er sagen würde. Der Mensch selber ist in einem ausgezeichneten Sinne sichtbares Wort. Adam liefert zum Beispiel die Bildvokabel für das Namen gebende Wort, mit dem er sich die Erde untertan macht, Abraham und Maria sind die Antworten des gläubigen Menschen, den Gott in seiner Niedrigkeit „angesehen” hat, Johannes der Täufer ist die Stimme des Predigers in der Wüste, die von sich selbst weg auf Gott weist. So sind die Bildgestalten in der alten Kirche durchweg nicht als Porträts oder Idealbilder zu verstehen, sondern als Bildvokabeln für das Wort, das Gott ihnen eingegeben hat. Erst in dieser Zuordnung zur Person, in dieser Identifizierung mit ihr bekommt das Wort seine Aussagekraft und seinen Wahrheitsgehalt. Schon die altjüdische Kunst hat das Wort Gottes in der Hand Gottes bildhaft gemacht. Die Fresken in der Synagoge von Dura Europos aus der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts n. Chr. liefern dafür zwei Beispiele: Die Visionen des Hesekiel und die Opferung Isaaks. Genau genommen gehören die Visionen des Hesekiel noch nicht hierher, weil der Prophet selbst von der Hand Gottes spricht (1, 3; 3, 22; 37, 1; 40, 1) und der Maler noch keine Übersetzungsarbeit leistet, sondern einfach den Namen „Hand” durch das Bild „Hand” ersetzt. Der Opferung Isaaks liegt dagegen ein Bericht zugrunde, in dem das Wort „Hand” überhaupt nicht vorkommt. Hier werden nur die Worte wiedergegeben, mit denen sich der Engel Gottes an Abraham wendet, und der Maler ersetzt nicht den Namen „Hand” durch das Bild „Hand”, sondern findet in der Hand eine Bildvokabel für den Deus absconditus, der in die Opferhandlung eingreift, eine Bildvokabel für das Wort Gottes. Die christliche Kunst hat diese Vokabel dann übernommen und überall benützt, wo die Bibel von einem Eingriff Gottes in das irdische Geschehen berichtet, vor allem bei Mariä Verkündigung und bei der Taufe, aber auch bei der Kreuzigung Jesu. Für das Wort Gottes, das in Jesus Christus Menschengestalt angenommen hat, kam man freilich mit dieser jüdischen Bildvokabel nicht aus. Schon für die Frommen des Alten Bundes war Gott nicht nur als eine Stimme aus dem Jenseits dagewesen. Sie wußten sich Ihm gegenübergestellt, sie suchten Sein Antlitz. Immer wieder ist in der Bibel vom Antlitz Gottes die Rede, davon, daß Er uns ansieht oder ansehen möge und daß Seine Augen auf uns ruhen. Wenn Er uns anspricht, dann will Er eine Antwort von uns haben. Wenn Er uns ansieht, dann tut Er das nicht, um von uns angesehen zu werden, sondern um uns Seine Gnade oder Ungnade fühlen zu lassen. Das Wort Gottes, das von Fall zu Fall an uns ergeht, verlangt von uns Gehorsam. Das Auge Gottes, das ständig auf uns ruht, macht uns zu seinen Untertanen. Beides gehört zusammen: daß wir unser Leben lang Gott vor Augen und im Herzen haben und daß wir heute, wenn wir seine Stimme hören, unser Herz nicht verstecken. „Gott schuf den Menschen sich zur Ikone”, heißt es 1. Mose 1, 26, und in 2. Mose 20, 4 lesen wir: „Du sollst dir kein Idol machen!” Deutlicher als Luther, der Ikone mit Bild, Idol mit Bildnis übersetzt, unterscheidet die Vulgata zwischen imago und sculptile, Abbild und Schnitzwerk. Das Idol ist nach 3. Mose 26, 1 ein Schnitzwerk oder eine Skulptur, also ein materieller Gegenstand, der von Menschenhänden gemacht ist. In solchen Skulpturen bannten, in ihnen vergötterten und beschworen die Heiden die Kräfte und Mächte, von denen sie sich abhängig glaubten. Der 115. Psalm spricht von goldenen und silbernen Idolen, der Prophet Jesaja kennt geschnitzte und gegossene Bilder, die geradezu für die Träger jener Kräfte gehalten wurden (42, 8; 44, 15; 48, 5). Für den Apostel Paulus sind die Idole stumme Götzen (1. Kor. 12, 2). Er unterstellt den gebildeten Athenern zwar nicht, daß sie das Material anbeten, aber in seiner Rede auf dem Areopag kennzeichnet er ihren Bilderdienst doch so, daß sie meinen, sie könnten sich etwas ausdenken und in Gold, Silber oder Stein gestalten, was dem göttlichen Wesen ähnlich wäre. Idol - so können wir zusammenfassend sagen - ist das Bild, das der Mensch sich von Gott macht und das als solches Ausgeburt und Trugbild seiner Phantasie ist. Es ist kein echtes Gegenüber, sondern nur eine vergrößerte und idealisierte Projektion des Menschen. Deshalb bleibt es auch stumm. Das Wort Ikone geht auf die altgriechische eikŏn zurück. Eikŏn hieß ursprünglich jedes Abbild, einerlei ob es sich um ein Porträt, um eine Statue oder um ein Gleichnis handelt. Was ein Bild zur eikŏn machte, war die Ähnlichkeit mit dem Original. Nach dem Alten Testament war der Mensch darauf angelegt, eikŏn oder Ebenbild Gottes zu sein. Eikŏn wird aber auch die goldene Statue genannt, die Nebukadnezar anbeten ließ, obwohl sie fraglos ein Idol war, mit dem er Idolatrie trieb. Ebenso bezeichnet das Neue Testament das Bild des zum Gott erklärten Kaisers, ja sogar das Bild des apokalyptischen Tiers als eikŏn. Im Römerbrief verwendet auch der Apostel Paulus diese Vokabel für das pervertierte Gottesbild (1, 23). Abgesehen von dieser Stelle gebraucht er sie aber immer in einer das Idol ausschließenden Weise für das Bild Gottes (Röm. 8, 29; 1. Kor. 11, 7; 15, 49; 2. Kor. 3, 18; 4, 4; Kol. 1, 15; 3, 10). Aber der Maler, der uns Christus vor Augen führen will, muß es im Blick haben, er muß hören, was es zu sagen hat. Man kann auch aus Christus ein Idol machen, wenn man ihn nämlich so sieht und darstellt, wie er nach unserer Meinung ausgesehen haben könnte. Gerade darauf kommt es nicht an. Und ebensowenig kommt es darauf an, wie Christus heute aussehen würde, in den Elendsvierteln einer Großstadt oder unter den Palmen Afrikas oder im Grauen einer Materialschlacht. In solchen Bildern, an denen das 19. und 20. Jahrhundert reich sind, ist Christus zur Maske der Menschen und zum Götzenbild gemacht. Man meint, man beklagt, man idealisiert oder mißgestaltet sich selbst, wenn man Christus sagt. Wir wissen nicht, wie Christus ausgesehen hat, und eben darin scheint die Verlegenheit unserer Maler zu bestehen. Wer aber meint, dem Maler aus dieser Verlegenheit heraushelfen zu können, der sollte sich durch die Entgleisung warnen lassen, die Goethe passiert ist, als er ein Christusbild entwarf, bei dem „die herabsinkenden Grabestücher Gelegenheit geben würden, den göttlich aufs neue Belebten in herrlicher Mannesnatur und schicklicher Nacktheit darzustellen”. Statt zu phantasieren, täten wir wohl besser daran, das Bild festzuhalten, das eine fromme, wenn auch ungesicherte Tradition überliefert hat und das die Völker und Menschengeschlechter von alters her miteinander verbindet, ich meine das Bild des bärtigen Christus. Der Bart typisiert und verdeckt Teile des Gesichtes. Er ist ein Attribut, an dem Christus besser erkannt wird als an einer mehr oder weniger willkürlichen Charakteristik. Er leistet auch einen Beitrag zur Dogmatisierung des Christusbildes (zum Beispiel für den Sohn als Abbild des Vaters). Aber das nebenbei. Und eben diesen personalen Charakter der Macht, der Gerechtigkeit, der Wahrheit, des Heils bezeugen die Christus-Bilder der Kirche: der Pantokrator, der Weltenrichter, der göttliche Lehrer, der uns in dem aufgeschlagenen Evangelienbuch sein Wort vorhält: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben” und sich dadurch mit dem Evangelium identifiziert. Und weiter: der Gottmensch in den komplementären Gestalten des Marienkindes und des himmlischen Königs, der gute Hirte, der Herr in der Gleichnisgestalt des barmherzigen Samariters und in der getarnten Gestalt des Notleidenden und des Gastes, der Crucifixus und der Schmerzensmann, der Sieger über Tod und Teufel - all diese Bilder sind nicht Porträts, nicht Illustrationen, nicht die Schöpfungen größerer oder kleinerer Künstler, sondern Selbstzeugnisse des Wortes. Die Aussagen der Bibel ziehen sich in diesen Bildern zusammen zu dem einen namentlichen Wort Jesus-Christus. Man kann sie nicht mehr als Berichte behandeln, die man sich anhört, über die man nachdenkt, aus denen man Lehren zieht, an denen man aber auch Kritik übt und in denen man sich selbst bestätigt finden möchte, sondern man sieht sich von dem angeredet, zu dem diese Aussagen gehören. Das Bild stellt mich. Es stellt mich gegenüber und macht mich aus einem Menschen, der sich mit der Bibel beschäftigt, zum Du des göttlichen Anrufs. Es erlöst den Menschen aus seiner Ich-Situation, in die er sich durch den Sündenfall gebracht hat, und macht ihn wieder zum Du Gottes. Das kann natürlich nur von dem Bilde gesagt werden, das aus dem Wort Gottes hervorgegangen ist. Was hier fortwirkt, ist nicht irgendeine Magie des Bildes, sondern die Kraft Gottes, die aus dem Evangelium in das Bild hineinströmte. Quatember 1964, S. 11-21 und S. 55-64 |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-11-27 Haftungsausschluss |