|
von Wilhelm Stählin |
Am Grabe der von uns allen betrauerten Gattin des Bundespräsidenten, Frau Elly Heuß-Knapp, möchte ich statt eines Nachrufs, der die vielen Zeugnisse tiefer Verehrung nur um ein weiteres vermehren würde, eine persönliche Erinnerung als das Zeichen tiefer Dankbarkeit wachrufen. Im Jahr 1926 hatte ich gemeinsam mit Frau Elly Heuß-Knapp eine Freizeit für Sozialbeamtinnen zu leiten; die täglichen Arbeitsbesprechungen mit ihr gehören zu meinen wertvollsten Freizeiterinnerungen. Mehrere der Teilnehmerinnen hatten den Wunsch geäußert, es möchte am Sonntag, als dem letzten Tag des Zusammenseins, eine Abendmahlsfeier gehalten werden. Es entsprach unserer damaligen Auffassung von Gemeinsamkeit, daß wir auf diese Feier verzichten wollten, falls nicht alle Teilnehmerinnen der Woche die Freudigkeit hätten, auch an dieser Feier teilzunehmen. Zwei Teilnehmerinnen meldeten sich und trugen ihre Bedenken vor: Die eine stellte sich mir als Katholikin vor, die zwar mit ihrer Kirche gänzlich zerfallen und .eigentlich entschlossen sei, aus ihr auszutreten, aber eben doch nicht wisse, ob sie nun an einer evangelischen Abendmahlsfeier teilnehmen könne; die andere bekannte Frau Heuß gegenüber, daß sie weder jemals eine christliche Unterweisung empfangen habe, noch auch nur getauft sei; sie sei völlig religionslos erzogen, sei durch merkwürdige Umstände auf diese Freizeit geraten, habe hier zum erstenmal eine Bibel gesehen, und alles, was sie gehört habe, sei ihr völlig neu und unbekannt gewesen, was das Heilige Abendmahl sei, davon habe sie vollends keine Vorstellung; da sie sich in diesem Kreis überaus wohl gefühlt habe, müsse es wohl etwas sehr Gutes und Seltenes sein, aber sie wisse natürlich nicht, ob ihre Teilnahme überhaupt möglich sei. Die Beratung zwischen uns beiden, die wir für die Leitung dieser Woche die Verantwortung trugen, war eine denkwürdige Stunde. Daß es in beiden Fällen völlig wider alle kirchliche Ordnung war, eine Katholikin und gar eine Ungetaufte zum Heiligen Abendmahl zuzulassen, war uns sehr wohl bewußt; aber durften wir die beiden, die, jede in ihrer Weise, begehrten, das Heilige Mahl feiern zu dürfen, ausschließen und durften wir um der beiden willen (von deren Schwierigkeiten der übrige Kreis keine Ahnung hatte) allen die Feier des Sakraments versagen? Ich entsinne mich nicht der Einzelheiten unseres Gesprächs; aber ich entsinne mich sehr wohl unserer Entscheidung. Frau Heuß überredete mich, und ich ließ mich nicht widerwillig, sondern mit vollem Bewußtsein überreden, die beiden zum Tisch des Herrn zuzulassen. Wie sehr sich dieser Entschluß bei der katholischen Teilnehmerin als ein Segen für ihr ganzes Leben ausgewirkt und sie zu einer bewußten Teilnahme an dem sakramentalen Leben ihrer Kirche zurückgeführt hat, davon ist hier nicht zu erzählen. Aber jene andere, die Ungetaufte, kam nachher zu Frau Heuß-Knapp und sagte ihr (dem Sinn nach): Es sei ihr zwar alles völlig fremd gewesen, und sie habe eigentlich nichts verstanden; aber sie meinte, das sei doch wohl eigentlich das „Evangelium”, daß wir sie einfach mit hineingenommen hätten. Das berichtete mir dann Frau Heuß und fragte mich, ob jene damit nicht eigentlich alles verstanden habe, und sie meinte, also hätten wir doch wohl recht getan, sie nicht auszuschließen. Vielleicht gehört auch diese kleine Erinnerung zu dem Bild der verehrungswürdigen Frau, daß sie durch eine kühne Entscheidung, die wider alle äußere Ordnung war, einem Menschen in einer solchen Weise das Evangelium erschlossen hat. Schon in Edinburgh (1937) wurde die Notwendigkeit erkannt, auch die gottesdienstlichen Überlieferungen in den Kreis der theologischen Untersuchungen einzubeziehen, und es entstand eine eigene Commission on Ways of Worship, die freilich erst nach dem Krieg ihre Arbeit aufnehmen konnte. Schon vor zwei Jahren wurde im Rahmen dieser Kommission darauf hingewiesen, wie wichtig es sei, nicht nur die geschichtlich überlieferten und in den einzelnen Kirchen vorgeschriebenen oder vollzogenen gottesdienstlichen Ordnungen zu beachten, sondern vor allem die persönliche Art, wie diese gottesdienstlichen Ordnungen vollzogen werden, also die Art des Betens, das persönliche geistliche Leben und die Hilfen, die in den einzelnen Kirchen zur Pflege dieses geistlichen Lebens gebraucht werden, also, um die ohne weiteres verständlichen, aber nicht ohne Schwierigkeit übersetzbaren englischen Termini zu gebrauchen: devotional life, mental prayer, meditation, contemplation. Es wurde eine Unterkommission zur Untersuchung dieser Frage auf weiter ökumenischer Grundlage gebildet; Angehörige ganz verschiedener Kirchen kamen (bis jetzt wenigstens einmal) in einem der retreat-houses der englischen Kirche zusammen, um einander in diesem innersten Leben der einzelnen Kirchen besser zu verstehen, miteinander zu beten, nicht nur in die Formen, sondern in den Geist der verschiedenen liturgischen Überlieferungen einzudringen, und einander teilnehmen zu lassen an den besonderen geistlichen Übungen und Erfahrungen der einzelnen Kirchen. Diese Frage wurde auch in Lund von neuem ins Licht der allgemeinen Aufmerksamkeit gerückt; einstweilen nur in einem Diskussionsbeitrag eines anglikanischen Laien, der nicht einmal Delegierter, sondern nur „Berater” war; aber ich glaube, daß doch viele die Tragweite dieser (auf diesem Boden neuen) Fragestellung unmittelbar erfaßt haben. Es ist eine der vielen Fragen, die quer hindurchlaufen durch die verschiedenen konfessionellen Gliederungen und Spaltungen, eine Frage zudem, in der die Bereitschaft, voneinander zu lernen, um so größer ist, als jede Kirche den Mangel an geistlichem Leben, an Übung und Erfahrung als eine lebensgefährliche Krankheit empfindet. In dem von eben jenem Anglikaner (Eric Hayman) mitherausgegebenen Sammelband Ways of Worship (London SCM Press 1951) ist als letzter Beitrag ein Aufsatz enthalten, der sich mit der Bedeutung eines tieferen gemeinsamen Verständnisses für das geistliche Leben (Common devotional understanding) für die Einheit der Kirche befaßt; diesen Aufsatz müßten alle studieren, die mit diesem Kreis der Überzeugung sind, daß die gemeinsame Pflege und wechselseitige Förderung im geistlichen Leben für die christliche Einheit ebenso wichtig und ebenso notwendig ist wie das sorgfältige theologische Gespräch. Auf der anderen Seite möchte ich, daß in der Frage der konfessionell gemischten Ehen unsere Leser ernsthaft bedenken, was mir dazu aus einer solchen Ehe geschrieben wird: „Ich glaube, daß christlichen Eheleuten verschiedener Konfession etwas besonderes aufgetragen und auferlegt ist, und daß mit dem einfachen Herüberziehen eines Teils die eigentliche Aufgabe nicht erfüllt ist. . . Beide müssen sich erst ganz in Christus finden, dann werden sie durch Gottes Gnade eines Tages erkennen, daß die Bekenntnisse ein Bekenntnis werden. Wer von seinem konfessionellen Eigenleben um Christi willen etwas aufgibt, der wird es erst recht gewinnen. Das geht nicht ohne Schmerzen, aber die Liebe überwindet alles . . . Wenn die Eltern nicht ablassen, Gott um seine Führung und seinen Segen auf diesem nicht leichten Weg zu bitten, wird ihnen auch geholfen, ihre Kinder zu Gottes Kindern zu erzielten. Es gilt dabei, ihnen das Beste und Bleibende aus den beiden christlichen Konfessionen zu geben. Man wird dabei letzten Endes viel mehr selbst erzogen, als daß man seine Kinder erzieht. Nach Jahren entdeckt man dann, daß man selbst gewandelt wurde und Neuland betreten hat: man paßt nicht mehr völlig in die Konfessionen, aber man liebt sie beide,” Ist das nun eine wirklich überlegene Lösung, die unter bestimmten seltenen Voraussetzungen möglich ist, oder ist dieses Neuland ein Land Utopia, von dem die, die es zu betreten meinen, auf den Boden der nüchternen Wirklichkeit, nämlich der, Gott sei es geklagt!, gespaltenen Christenheit zurückgerufen werden müssen? Ich stelle die Gegenfrage, ob hier nicht Vorgänge und Verfahrungsweisen auf eine Ebene gerückt werden, die ihrem Wesen nach grundverschieden sind. Wenn wir besser darin geübt wären, die schöpfungsmäßigen Gegebenheiten in ihrer besonderen Struktur und ihrem eigentümlichen Wesen (wozu auch ihre besondere Sinnbildlichkeit gehört!) meditierend zu erfassen, dann würden wir unmittelbar erkennen, daß Bronze (oder Goldschmelz) zwar auch nicht in der Natur vorgefunden werden, daß sie aber in einem anderen Sinn „künstlich” sind als der Beton. Wer von unseren Lesern vermag uns weiterzuhelfen in dem Bemühen, diesen schwer faßbaren Geheimnissen - zu denen in der katholischen Theologie unter dem seltsamen Namen der Pastoralchemie einige sehr wesentliche Erkenntnisse ausgesprochen sind - besser auf die Spur zu kommen? Ich würde nur von vorneherein bitten, dabei das naheliegende Argument bei Seite zu lassen, Beton sei eben der zeitgemäße, dem heutigen Menschen gemäße Baustoff. Ich fürchte sehr, daß diese Frage durch die Sorge um die Nähe der Kirche zu der gegenwärtigen Wirklichkeit des Menschen nur heillos verdunkelt und verwirrt werden kann; anders ausgedrückt, daß die Kirche, wenn auch sie sich an der Jagd nach Modernität beteiligt, leicht auf Wege gerät, auf denen sie selbst den Dämonien der Zerspaltung und Seinszerstörung verfällt. Menschen, die nur noch in Beton denken können, werden nicht nur bestimmte sakrale Aufgaben, sondern wahrscheinlich auch bestimmte Seiten des menschlichen Seins überhaupt nicht mehr verstehen können. Im übrigen hat Max Picard in seinem Beitrag in dem vorliegenden Heft gerade zu dieser Frage einiges gesagt, was vor der üblichen Hochschätzung der „Zeitgemäßheit” eindringlich warnen müßte. „An Gottes Altar will ich treten l voller Ehrfurcht l voller Andacht l voller Freude l voller Bereitschaft.” Wenn dieses Wort auch vor allem dem Pfarrer helfen will, in der rechten Weise zum Dienst am Altar sich zu bereiten, so gilt es doch zugleich allen, die als Glieder der Gemeinde vor Gottes Angesicht treten und den Gottesdienst mit-vollziehen. Ich glaube sagen zu dürfen, daß die Schrift in einer auch für nicht-theologische Leser durchaus verständlichen Sprache geschrieben ist, und möchte hoffen, daß auch nicht-theologische Leser die Tragweite jener „vor-theologischen Entscheidungen” erkennen werden. Mit all dem war und ist es mein Anliegen, die notwendige Selbstbesinnung des Luthertums über den Raum einer unfruchtbar gewordenen theologischen Polemik hinaus und in die Weite ökumenischer Verantwortung zu führen, und gerade diese ganz zentralen Entscheidungen rechtfertigen den Satz, daß wir „nur mit schlechtem Gewissen die katholische Kirche Augsburgischen Bekenntnisses als lutherisch bezeichnen” können. Quatember 1953, S. 58-61 |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-02-05 Haftungsausschluss |